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„Storm kam Weihnachten 1852 von Husum nach Berlin, um sich hier, behufs Eintritts in den preußischen Dienst, dem Justizminister vorzustellen. Er sah sich im Ministerium ... entgegenkommend, in literarischen Kreisen aber mit einer Auszeichnung empfangen, die zunächst dem Dichter, aber beinahe mehr noch dem Patrioten galt. Denn alle anständigen Menschen in Preußen hatten damals jedem Schleswig-Holsteiner gegenüber ein gewisses Schuld- und Schamgefühl.“ („Von Zwanzig bis Dreißig“, „Der Tunnel über der Spree“, Kapitel 4) Bei allem Wohlwollen spürte der empfindliche Storm doch, dass in Berlin selbst gebildete Kreise „den Schwerpunkt nicht in die Persönlichkeit, sondern in Rang, Titel, Orden und dergleichen Nipps“ legten (an Fontane, 23. 3. 1853)“ Fontane, obwohl er sich oft genug ob seiner Rang- und Titellosigkeit zurückgesetzt fühlte, widersprach merkwürdigerweise: „Es gibt nirgends in der Welt ... so wenig eine exklusive Gesellschaft wie hier ... Geburt, Reichtum, Rang, Talent und Wissen vertragen sich hier in wunderbarer Weise, und Graf Arnim, mit einem halben Fürstentum hinter sich, verkehrt mit dem Lokomotivenbauer Borsig oder mit Prof. Dove völlig ebenso wie mit seinesgleichen.“ (2. 5. 1853) Storm konterte: „Fragen Sie Ihren Grafen Arnim doch einmal, ob er dem Professor Dove oder dem Maschinenbauer Borsig auch seine Tochter zu Ehe geben wolle!“ (5. 6.1853)
Storm vertrat die französische Forderung nach Egalité viel radikaler, war überhaupt radikaler in politischen Fragen und „zog vor, den politischen Ankläger zu machen“. Wenn er sich „mit seiner kleinen, feinen Stimme“ über das „Inferiore preußischen Wesens“ ausließ, fühlte Fontane sich persönlich attackiert. Es kam zu Überreaktionen auf beiden Seiten. Während Fontane die patriotisch-heroische Seite preußischer Bildung hervorhob, erwiderte Storm: „Mich interessiert mehr der Mensch als die Menschheit“, lenkte aber ein, es sei wohl „das Pflanzenhafte seiner Natur“, das ihn so empfinden ließe: „Mir fehlt wohl das, was man historischen Sinn nennt.“ (5. 6. 1853)
Sie gerieten nicht nur politisch aneinander, auch ihre Temperamente, ihre Ansichten vom Leben, ihre Anschauungen, was sittlich oder nicht, was frivol und was prüde sei, führten zu Kontroversen; doch was sie immer wieder aneinander band, war das gemeinsame Schicksal junger Dichter-Ehen: zu wenig Geld, überforderte Frauen, Kinder, die im Säuglingsalter starben, Ausbleiben von Anerkennung... Und was ihnen nie verloren ging: die gegenseitige Wertschätzung. Wenn sich Fontane wieder einmal über Storms Ansichten geärgert hatte, las er nur in dessen Gedichten, und alle Dissonanzen lösten sich auf. Eine Liebe, eine Welt-Anschauung verstand er in sechs Zeilen zu fassen.
„Für Constanze
So komme, was da kommen mag,
Solang du lebest, ist es Tag.
Und geht es in die Welt hinaus,
Wo du mir bist, bin ich zu Haus,
Ich seh dein liebes Angesicht,
Ich sehe die Schatten der Zukunft nicht.“
Neidlos erkannte Fontane an, das seien „Worte, wie sie kein Dichter je schöner geschrieben hat“. („Von Zwanzig bis Dreißig“, „Der Tunnel über der Spree“, Kapitel 4)
1856 trennten sich ihre Wege für lange Zeit: Fontane ging wieder nach London, Storm als Kreisrichter nach Heiligenstadt, wo er bis zum Frühjahr 1864 blieb. Er hatte sich also gerade erst wieder in Husum eingerichtet, als Fontane, auf der Rückreise von Kopenhagen, aus Flensburg bei Storm anfragte, ob ein Besuch „auf 1/2 Stunde“ genehm sei; er habe für 14 Tage „die cimbrische Halbinsel unsicher“ gemacht und stünde nun „als Gewölk über Husum“. Hinter diesem launig-forschen Ton verbarg sich eine leise Unsicherheit, ob sein Besuch wirklich erwünscht sei; doch Storm antwortete ohne Zögern: „Hand aufs Herz, das ist wirklich eine große Freude. Sie sind natürlich zu jeder Stunde ... willkommen; leider wohnen wir ‚eng, aber mit Liebe’, sodass, da eine Verwandte auf Besuch ist, die Unmöglichkeit ist, Ihnen Nachtquartier zu schaffen. Aber in den Hotels ist überflüssig Platz, und ein paar Nächte müssen sie hier bleiben. Für den Tag nehmen wir Sie natürlich gänzlich in Beschlag. Da werden also ein paar Trümmer des seligen Rütli mal wieder Zusammenkommen.“ (26. 9. 1864) Storm, der als Landvogt und Amtsrichter das alte Predigerwitwenhaus in der Süderstraße 12 bezogen hatte, holte Fontane vom Bahnhof ab; in seiner Begleitung die beiden ältesten Söhne, die Fontane noch von Potsdam her kannte. Man ging zuerst zu Thoma’s Hotel, dann zu Storm nach Hause, wo es, wie Fontane dem Tagebuch anvertraute, ihm gefiel: „Husum und Storms Haus sehr nett. Idyll. Garten, Kinder... Die Marsch, die Geest, der Deich, die Koogs... das Meer, das Watt, die Flut – ich zähle es nur auf, wer wollte es beschreiben“. Es gab nur eine Hand, die es in vollendeter Meisterschaft bereits beschrieben hatte: „Diese Hand ist die Th. Storms.“
In Potsdam war der „Husumer Theekesselkult“ des heimwehkranken Storm für Fontane oft Anlass zu Spötteleien gewesen, nun spürte er, dass er eine Notwendigkeit war; denn hier war Storm ein anderer, „einer, der Grund gespürt hatte“, einer, der auf seinem ureigenen Boden angekommen war. Sie schieden mit seltener Herzlichkeit und Storm berichtete ihrem gemeinsamen Freund Pietsch von Fontanes Besuch: •‚...er ist trotz seiner Mitredaktionsschaft an der + + + [„Kreuz–Zeitung“] doch ein traitabler Mensch und – ein Poet. Wir haben uns in den paar Stunden fast um den Hals geredet.“
Doch bald darauf kam es zu erneuten Irritationen: Fontane hatte – wie übrigens auch Klaus Groth – die heimkehrenden preußischen Truppen mit einem „Einzugslied“ begrüßt und Storm gebeten, auch eines „aus der Sicht eines Schleswig-Holsteiners“ zu schreiben. Das traf genau dessen neuralgischen Punkt und er wetterte zurück: „Liebster Fontane, Hol Sie der Teufel! Wie kommen Sie dazu, dass ich eine Siegeshymne dichten soll!... Ihr Einzugslied ist so außerordentlich gut, dass ich gründlich dazu gratuliren muss, obgleich der Zipfel der verfluchten Kreuzzeitung aus jeder Strophe heraushängt. Möchten Sie der letzte Poet jener, doch Gott sei Dank und trotz alledem dem Tode verfallenen Zeit sein, worin die That des Volkes erst durch das Kopfnicken eines Königs Weihe und Bedeutung erhält. Ihr ... meisterliches Lied feiert lediglich die militairische Bravour, wodurch der Beifall des Königs ... erworben ist, von einem sittlichen Gehalt der That weiß es nichts. Sie hat auch Diessmal keinen.“ Nachdem er unmissverständlich seinen Standpunkt kundgetan, kam er zum Wesentlichen: Er dankte für die Freundesgabe „Jenseit des Tweed“ und bat, auch weiterhin gegenseitig Bücher auszutauschen. (19. 12. 1864)
Fontane schickte die erbetenen „märkischen Bücher“, Storm revanchierte sich mit „Bulemanns Haus“ und dem „Spiegel des Cyprianus“ und fügte hinzu: „...bleiben Sie ferner gut dem Storm, wie er nun einmal beschaffen.“ (27. 12. 1864) In demselben Brief dämpfte er den Optimismus Fontanes in Bezug auf Preußens Toleranz und prophezeite: „... nur das wird Preußen ungefressen lassen was ihm ... verwehrt wird.“ Er sollte recht behalten. Preußen schickte sich nach dem Sieg von 1866 an, aus Schleswig-Holstein eine preußische Provinz zu machen. Zähneknirschend klagte Storm in einem Brief an Pietsch: „Wir fühlen alle, dass wir lediglich unter der Gewalt leben; das ist umso einschneidender, da sie von denen kommt, die wir gegen die fremde Gewalt zu Hilfe riefen und die uns jetzt selbst als einen besiegten Stamm behandeln, nachdem sie uns von der andern Gewalt befreit haben.“ (16. 8. 1867)
Im Mai 1868 nahm Fontane Storms Gedichte mit in die Harzer Sommerfrische, las sie zum „ich weiß nicht wievielten Male in meinem Leben“ und gestand, dass ihm „beim Lesen von ‚Herbst 1850’, ‚Ein Epilog 1850’ und vor allem von ‚Abschied 1853’ wieder die dicken Wonnethränen übers Gesicht liefen...“ Und aus dieser Stimmung heraus stiftete er Storm aus vollem Herzen einen Dankesbrief: „Ja, lieber Storm, Sie sind und bleiben nun mal mein Lieblingsdichter und ich bin dessen ganz gewiss, Sie haben auf der ganzen weiten Welt keinen größren Verehrer als mich.“ (22. 5. 1868)
Als Fontane im Spätherbst 1870 unter dem Verdacht der Spionage auf der Festung d’Oleron gefangen saß, bat er seine Frau, ihm „einige Strophen verschiedener Gedichte“ (15. 11. 1870) Storms abzuschreiben, nicht nur zur eigenen Aufrichtung; er verwandte sie als Motto für zwei Kapitel des Buches „Kriegsgefangen“. Von den Prosa-Arbeiten liebte er besonders „Die Chronik von Grieshuus“, er nannte sie „ein Genre-Bilderbuch ohne Gleichen“. Storm wiederum schwärmte für Fontanes Balladen, vor allem für Archibald Douglas. „Da wollen wir fischen und jagen froh / als wie in alter Zeit...“ ging in den Hausschatz, in die Haushaltssprache der Familie Storm ein. Seiner Mutter las Storm „Ein Sommer in London“ und „Jenseit des Tweed“ vor. Von Fontanes Romanen kannte er nur „Grete Minde“, „Schach von Wuthenow“ und „Graf Petöfy“; alle anderen, die Fontane eigentlich berühmt machten, erschienen erst nach Storms Tod 1888.
Als Fontane seine Lebenserinnerungen zusammentrug, fand er für die Kontroversen während der Potsdamer Zeit eine einfache Erklärung: „Wir waren zu verschieden. Er war für den Husumer Deich, ich war für die Londonbrücke; sein Ideal war die schleswigsche Heide mit den roten Erikabüscheln, mein Ideal war die Heide von Culloden mit den Gräbern der Camerons und Macintosh.“ Mit zunehmendem Alter verblasste alles Trennende, wozu nicht nur die Weisheit der Jahre, sondern auch die Annäherung ihrer gesellschaftspolitischen Standpunkte beitrug. Zweimal noch waren sie sich in Berlin begegnet: einmal bei dem alten „Rütli“–Freund Karl Zöllner, das andere Mal zu Storms 70. Geburtstag, als ihm zu Ehren im Englischen Haus ein großes Fest gegeben wurde. Und mit dem „reinen, schönen Poeteneindruck“, den Fontane von ihm empfangen hatte, schloss er auch das Stormkapitel in „Von Zwanzig bis Dreißig“: „ln allem Guten war er der alte geblieben, und was von kleinen Schwächen ihm angehangen, das war abgefallen. Alt und jung hatten eine herzliche Freude an ihm und bezeugten ihm die Verehrung, auf die er so reichen Anspruch hatte. Als Lyriker ist er, das Mindeste zu sagen, unter den drei, vier Besten, die nach Goethe kommen. Dem Menschen aber, trotz allem, was uns trennte, durch Jahre hin nahegestanden zu haben zählt zu den glücklichsten Fügungen meines Lebens.“