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Hilfe, ein Wildschwein kommt von Wolfgang Held
Autor:
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
11.07.2020
ISBN:
978-3-96521-033-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 135 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Action und Abenteuer/Allgemein, Kinder-und Jugendbuch/Tiere/Schweine, Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Humorvolle Geschichten, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Freundschaft, Kinder-und Jugendbuch/Thriller und Spannung
Kinder/Jugendliche: Action- und Abenteuergeschichten, Kinder/Jugendliche: Natur- und Tiergeschichten, Kinder/Jugendliche: Lustige Romane
Wildschwein, Naturforscher, Kinder, Jagd, Humor, Kinderstreich, Pioniere, DDR, Naturschutzstation, Freundschaft, Ehrlichkeit, Mut
9 - 99 Jahre
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Allmählich wurde Maxi Stadtgespräch. Löffel konnte sich davon überzeugen. Er hatte nicht den kürzesten Weg zurück zum Rathaus genommen, um vielleicht doch irgendwo noch ein Zipfelchen von Maxi zu entdecken. Bald aber musste er erkennen, dass die Aussichten dafür hier im Zentrum sehr gering waren. Für die fleißigen Frauen und Männer in den Betrieben war inzwischen das Schichtende herangekommen. In bunten Scharen strömten sie ihren Wohnungen zu, und es ging hoch her in den Straßen. Unmöglich, dass Maxi hier unbemerkt bleiben konnte. Und weil es ja kein dummes Wildschwein war, hatte es sich bestimmt in die weniger belebten Winkel der Stadt zurückgezogen.

An einem Straßenübergang musste Löffel bei rotem Licht warten. Er stand inmitten einer Menge Leute, als er plötzlich aufhorchte. Was war denn das? Achtung, Löffel, die Ohren auf!

„… und es soll so groß sein wie ein Löwe. Vielleicht noch größer!“

„Was Sie nicht sagen! Frau Klabanschke hat gehört, dass ein kleiner Junge schon von dieser Bestie verletzt wurde. Lebensgefährlich, heißt es. Der Krankenwagen kam mit Signal und Fahne.“

An der Verkehrsampel flammte erst das gelbe und gleich darauf das grüne Licht auf. Löffel heftete sich dem Mann und der Frau an die Fersen. Wenn die nicht von Maxi reden, fresse ich einen Besen, überlegte er. Die beiden hatten keine Eile. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie den Jungen neben sich übersahen.

„Also wenn Sie mich fragen: Ich würde mein Kind nie in so eine Station lassen, wo die Kleinen von Raubtieren umgeben sind!“, erklärte die Frau energisch und schrieb mit ihrer spitzen Nase ein unsichtbares Ausrufezeichen in die Luft.

„Auf jeden Fall ist es unverantwortlich von den Erwachsenen, die dort die Leitung haben“, pflichtete der Mann ihr bei. Wieder nickte sie eifrig. „Unverantwortlich, jawoll! Vor ein Gericht gehört so eine Person!“

Lüge! Klatsch! Das war für Löffel zu viel. Wenn sie noch zehn Minuten so weitertratschen, dann ist für sie unsere Station ein Kannibalenlager, dachte er. Mit zwei großen Schritten hatte er sie überholt und baute sich wie ein Fels vor ihnen auf. Finster blickte er sie an. Plötzlich sah er viel älter aus als dreizehn Jahre. Und seine Stimme war wie Eis. „Unser Stationsleiter ist lässig!“, posaunte er aufgebracht. „Damit Sie das wissen! … Und Maxi ist kein Raubtier. Wildschweine sind … Wildschweine sind nämlich Schwarzwild. Sie haben bestimmt in der Schule nicht aufgepasst. Bei uns in der Station können Sie das lernen! Unser Maxi tut keinem was. Und Sie schwindeln! Und das ist gemein! Ich … Sie … Ach!“

Löffel wischte mit der Hand durch die Luft, drehte sich um und rannte fort. Oh, er hätte den beiden Erwachsenen, die verblüfft hinter ihm herschauten, noch manches zu sagen gehabt, zum Beispiel, was er von Gerüchteverbreiten hielt und von Leuten, die ein Vergnügen daran fanden, ihre Zungen bei jeder Gelegenheit boshaft zu wetzen. Leider war ihm etwas dazwischengekommen. Etwas höchst Unangenehmes. Schon mehr als einmal hatte es ihn aus dem Konzept gebracht. So sehr er sich auch immer dagegen zu wehren versuchte, er konnte nicht damit fertig werden. Stets, wenn Zorn in ihm hochstieg und er maßlos wütend wurde, trat ihm auch das Wasser in die Augen. Wie hatte er diesen peinlichen Tränendrang schon verwünscht. Bei einem Mädchen mag das vielleicht noch angehen, aber für einen Jungen ist so etwas schlimmer als ein Floh unterm Hemd. Dagegen ließ sich nichts machen. Man musste ausreißen. Jungentränen sind schließlich ein Geheimnis und gehen niemanden etwas an.

Erst ein paar Straßen weiter bremste Löffel seinen Lauf, rieb mit dem Hemdärmel über das Gesicht, schluckte ein paarmal, schnaufte ein bisschen und dachte dann: Trotzdem, ich habe es ihnen gehörig gegeben!

Die Sonne stach heiß auf die Stadt. Über dem Pflaster flimmerte die Luft, und die Asphaltdecke des Bürgersteigs war wie ein grauer, weicher Teppich. Löffel hatte die Richtung zum Rathaus eingeschlagen, aber er kam nicht weit. Unter dem Sonnendach eines Schaufensters blieb er stehen. Es war ein Juweliergeschäft. Hinter der großen Glasscheibe tickten viele kleine und große Uhren. Schmuck glitzerte auf dunklen Samtkissen. Löffel hatte für all das keinen Blick übrig. Nachdenklich betrachtete er sein Spiegelbild. Ein mürrischer Junge mit zerzausten Haaren und nicht sehr sauberem Gesicht schaute ihm da von der gläsernen Wand entgegen, spöttisch und vorwurfsvoll. Was bildest du dir ein? schien dieses Gesicht zu sagen. Denkst du vielleicht, diese beiden Erwachsenen vorhin waren die einzigen Leute in der Stadt, die jetzt Gruselgeschichten über Maxi erzählen und auf Herrn Karst schimpfen? Einen Tropfen Wasser hast du ins brennende Ölfass geschüttet, nicht mehr. Bestimmt gibt es tausend Mütter in der Stadt, die ihre Kinder nun auch nicht mehr zur Station lassen wollen. Und alle werden böse auf den Stationsleiter sein, der uns soviel Interessantes über Tiere und Pflanzen erzählt hat. Bei ihm ist nie eine Stunde langweilig gewesen. Er hat es nicht verdient, dass er sich jetzt so ärgern muss. Würde es dich denn wundern, wenn er nun nicht mehr unser Freund sein will?

Löffel nagte betroffen an seiner Unterlippe und rieb abwechselnd mit der linken und mit der rechten Hand seinen Hinterkopf. Am liebsten hätte er die Scheibe eingeschlagen. Aber damit wäre alles nur noch schlimmer geworden. Auch als er sich abwandte, wurde er die quälenden Gedanken nicht los. Verflixt, das darf einfach nicht sein, dachte er. Und wenn ich durch die ganze Stadt von Haus zu Haus gehen muss, um allen die Wahrheit zu sagen.

Bei diesem Gedanken wurde ihm einen Augenblick lang schwindlig. Wenn er sich vorstellte, was ihn da an den vielen Türen alles erwartete … Hoffentlich fällt mir noch etwas Besseres ein, um die Ehre der Station und unseres Leiters zu retten, wünschte er inbrünstig.

Als Löffel seinen sorgenschweren Kopf um die nächste Straßenecke trug, ertönte irgendwo hinter den Häusern ein Lautsprecher. Er stutzte und hastete dann dem Geräusch entgegen. Sicher hatten Volker und Doktor beim VEB Elektroapparate Erfolg gehabt, und er wusste, dass alles viel leichter sein würde, wenn er mit seinem Freund zusammen war. Vielleicht kam Volker sogar auf eine bessere Methode, als es dieser jammervolle Weg von Tür zu Tür war. Oder auch Doktor? Nein, Doktor bestimmt nicht! Er ist und bleibt ein lahmer alter Giftzahn und hat nicht solche lässigen Ideen!

Gleich darauf sah Löffel den Wagen. Er lief auf ihn zu, doch da begann der Lautsprecher zu summen, und was nun geschah, brachte ihn völlig aus dem Konzept. Die sind wahnsinnig geworden, dachte er. Komplett verrückt!

Doktor und Volker hatten wirklich Glück gehabt. Sie brauchten nicht zweimal um den Lautsprecher zu bitten, und es gab auch keine langen Diskussionen. Der dafür zuständige Kollege war von Herrn Karst bereits telefonisch informiert worden. Beim Eintreffen der beiden Jungen stand der Wagen abfahrtbereit. Es war ein umgebautes Personenauto. Die Lautsprecheranlage befand sich im rückwärtigen Teil des Wagens und ließ gerade noch Platz für die beiden Pioniere. Der freundliche Kollege erklärte ihnen die Bedienung, freute sich, dass sie so schnell begriffen und setzte sich dann selbst hinter das Lenkrad.

Zuerst durchfuhren sie die Außenbezirke der Stadt. Volker und Doktor nahmen abwechselnd das Mikrofon in die Hand. „Achtung, Achtung, liebe Einwohner! Die Pioniere der Station Junger Naturforscher bitten um Ihre Hilfe!“, schnarrten Volkers und Doktors Stimmen nacheinander in kurzen Abständen aus dem eimergroßen Trichter über dem Wagendach.

Die Leute an den Fenstern und an den Bürgersteigen hörten zu, lächelten oder schüttelten die Köpfe und glaubten wohl alle nicht recht daran, dass ihnen an diesem schönen Nachmittag tatsächlich ein Wildschwein über den Weg laufen könnte. Immerhin wussten sie nun, dass sie nichts zu befürchten hatten und nur beim Rathaus anzurufen brauchten, um beim Einfangen des Ausreißers mitzuhelfen.

In der ersten halben Stunde war die Sache mit dem Mikrofon für Volker und Doktor mächtig interessant. Sehr eifrig widmeten sie sich ihrer Aufgabe. Jeder wartete ungeduldig darauf, dass er den anderen ablösen konnte. Der Mann am Lenkrad beobachtete die beiden im Rückspiegel. Gescheite Kerlchen, dachte er schmunzelnd. Sie gehen mit der Technik um, als hätten sie nie etwas anderes getan. Hoffentlich bekommen sie ihr Borstentier bald wieder!

Mikrofon ein, sprechen, Mikrofon aus, kleine Pause – in diesem Rhythmus verging Viertelstunde um Viertelstunde. Gemächlich durchrollte der Wagen die Straßen. Als Volker und Doktor sich mit der Ansage ungefähr ein dutzendmal abgelöst hatten, verflüchtigte sich der Reiz des Neuen langsam. Ihr Interesse schrumpfte zusammen wie ein leck gewordener Luftballon. Immer häufiger hüpften ihre Gedanken weg von der Lautsprecheranlage. Volker dachte an Löffel und hätte zu gern gewusst, wo sein Freund jetzt steckte. Dabei wurde ihm die Ansagerei nun sogar lästig. Vielleicht ist Maxi längst gefunden worden, überlegte er. Wir reden und reden und reden, und in der Station feiern sie womöglich schon die Rückkehr unseres Wildschweins.

„Träum nicht“, murrte Doktor und nahm Volker das Mikrofon aus der Hand. „Jetzt bin ich wieder dran!“

Der Wagen bog um eine Straßenecke. Volker warf seinem Partner einen misslaunigen Blick zu. „Meinetwegen quatsch dir Fransen an die Lippen, du Brummer“, meinte er spitz und knipste an einem kleinen Schalthebel.

Doktors Augen wurden schmal. „Wer ist ein Brummer?“, zischte er zurück. „Ich oder solche wie du und Löffel, die einfach Wildschweine rauslassen? Und Äpfel klauen außerdem noch!“

Mit einem scharfen Ruck blieb plötzlich der Wagen stehen.

„Seid ihr verrückt geworden dahinten?“, wetterte der Mann am Lenkrad. Sein Gesicht war mit einem mal rot wie eine reife Tomate. Die beiden Jungen starrten ihn verwundert an. Sie verstanden nicht, was diesen freundlichen Mann so schnell wütend gemacht hatte. Wegen so eines kleinen Meinungsstreites kann man sich doch nicht ärgern, oder?

„Der da hat Brummer zu mir gesagt! Dabei ist er mit seinem Freund an allem schuld! Sie haben nämlich das Wildschwein rausgelassen!“, verteidigte sich Doktor.

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