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Lasst mich doch eine Taube sein von Wolfgang Held
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
08.07.2020
ISBN:
978-3-96521-037-0 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 333 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Thriller/Militär, Belletristik/Thriller/Spannung, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Familienleben
Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Familienleben, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Tod, Trauer, Verlust, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien
Jugoslawien, Partisanen, 2. Weltkrieg, SS, Geißeln, Gräueltaten, Kampf, Familie, Überläufer
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Die geheime Information aus der Festung erwies sich in diesem Augenblick als zuverlässig. Auf die Minute genau zur vorausgesagten Zeit, Punkt sechs Uhr morgens, rollten sechs Militärlastwagen aus dem von zwei Posten bewachten Tor der Lomaca-Burg. Vielstimmiger Gesang übertönte das dumpfe Brummen der Motoren: „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein, und das heißt Erika …“

Der vorgeschobene Abteilungsgefechtsstand lag nur knapp sechshundert Meter vom einzigen Eingang zur Festung entfernt im Schutz einer großen Buschgruppe. Draza und der Kommissar Stanko Goldstein beobachteten durch Ferngläser die Wehrmachtfahrzeuge.

„Preußische Pünktlichkeit“, murmelte der Kommandeur. Er warf kurz einen Blick auf die Uhr und strich seinen Schnauzbart. „Du kannst den Wecker danach stellen!“

Goldstein knurrte: „Barbarei, Romantik und Perfektion, eine teuflischere Mischung kann ich mir nicht vorstellen.“

Die nach Süden davonfahrende Kolonne bestätigte, was eine in der Festung beschäftigte kroatische Küchenhilfe im Bett des deutschen Zahlmeisters erfahren hatte. Ihre Meldung war auf einem der zahlreichen gutgetarnten Nachrichtenwege zum Stab der 2. Operativzone gelangt. Die in der Festung stationierten Einheiten sollten an einem groß angelegten Gegenstoß teilnehmen, mit dem die Faschisten einen wichtigen Eisenbahnknotenpunkt der Strecke Zagreb-Sarajewo zurückerobern wollten. Zur Bewachung der Gefangenen und zum Schutz der Burg blieben nur ungefähr hundert deutsche Soldaten und Ustaschen auf der Lomaca zurück.

Im Divisionsstab wurde die günstige Situation für einen Angriff rasch erkannt. Die auf sechs bis höchstens acht Stunden beschränkte Abwesenheit des größten Teils der deutschen Besatzung sowie die schwer zugängliche Lage der Burg erforderten ein ebenso überraschendes wie schlagkräftiges Handeln. Es blieb keine Zeit mehr, die weiter entfernt operierenden Einheiten der Slawonischen Brigade heranzuführen. Der Angriffsbefehl erging deshalb an die unter dem Kommando von Draza stehende Partisanenabteilung. Der Kampfauftrag lautete: Zerschlagung des Gegners und Befreiung der Gefangenen. Waffen und Munition des Feindes werden erbeutet oder unbrauchbar gemacht!

Obwohl jede Hand, die ein Gewehr halten konnte, dringend gebraucht wurde, hatte Draza lange gezögert, auch die Ernst-Thälmann-Partisanen einzusetzen. Ihm war nicht wohl bei diesem Befehl. Wie die Dinge lagen, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass ein Bruder auf den Bruder oder ein Vater auf den eigenen Sohn schießen musste. Der Gedanke, einer der Männer oder Frauen unter Heinz Adams Kommando könnte in einem solchen Konflikt versagen und sich damit zwangsläufig der unerbittlichen Strafe für Feigheit im Gefecht aussetzen, bereitete dem Kommandeur Kopfzerbrechen.

Ganz anders dachte Kommissar Goldstein. Seiner Ansicht nach hatten die Telmanovci eine solche Bewährungsprobe dringend nötig. Eine einzige mutige Tat beweist mehr als hundert schöne Sprüche, meinte er und zweifelte keinen Augenblick daran, dass die Beteiligung der deutschen Partisanen am Sturm auf die Lornaca ein möglicherweise hier und dort in Drazas Abteilung noch bestehendes Misstrauen endgültig auslöschen würde.

Das Argument des Kommissars zerstreute Drazas Bedenken keineswegs. Wer nicht imstande ist, die Belastbarkeit der seinem Kommando unterstellten Genossen richtig zu beurteilen, bewegt sich am Rande eines Abgrundes, dachte er und wog im Stillen jeden Namen auf seiner Liste. Er kam zu dem Schluss, dass sich vorbehaltloses Vertrauen erst dort als richtig erweist, wo das Handeln dem eigenen Ermessen überlassen bleibt. Dem Vorschlag des Kommissars folgend, gab er den Einsatzbefehl an die Ernst-Thälmann-Partisanen der slawonischen Abteilung.

Kurz nacheinander meldeten die erste und zweite Kompanie ihre Gefechtsbereitschaft. Ein Stoßtrupp sollte sich im Schutz der dichtstehenden Weinstöcke an den Hängen beiderseits des Tores bis auf wenige Meter an die Posten heranarbeiten. Zu den Freiwilligen für dieses gefährliche Unternehmen gehörten auch der Student Andreas Boden und der blonde Friedrich.

Die Telmanovci waren auf der linken Flanke in Stellung gegangen. Sie sollten dem Angriff Feuerschutz geben und Fluchtversuche der Besatzer über den südlichen Steilhang der Lomaca mit gezieltem Feuer unterbinden.

Der Feuerfresser und Gregor Blanuscha lagen eng beieinander hinter einem leichten Maschinengewehr. Wegen seiner SS-Vergangenheit und der in Kroatien stationierten berüchtigten SS-Division „Prinz Eugen“ wurde der junge Darovoer überall in der Abteilung nur „Egon“ genannt. Es war die spöttische Verballhornung des Namens, den sich die SS zugelegt hatte.

„Letzte Warnung!“, flüsterte der Feuerfresser. Ebenso wie sein Gefährte blickte er unverwandt zu den Torposten vor der Burg hinüber. Die nur wenige Schritte von den Deutschen entfernt sprungbereit lauernden Partisanen waren noch nicht zu sehen. „Wenn du Scheiße baust, breche ich dir das Genick, Egon. Das geht schneller, als du denkst.“

Gregor Blanuscha reagierte nicht. Er nagte an seiner Unterlippe, beobachtete die Posten und dachte an seine Angehörigen. Seit über einer Woche waren alle Familienmitglieder in den Kasematten eingekerkert. Hatten die Besatzer sie gefoltert? Und seine Frau, in welchem Zustand würde er sie finden? Womöglich waren sie alle längst umgebracht und irgendwo in der Umgebung verscharrt worden wie Dutzende andere zu Tode gequälte oder ohne Verhandlung und Urteil hingerichtete Landsleute auch.

Hinter dem zweiten Maschinengewehr kauerten Gerd Mattheis und Slavia Sulka. Sie hatten ihre Waffe in den Wochen zuvor mindestens hundertmal auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, waren aber bisher noch nie zum Schießen gekommen.

Slavia bemerkte, dass trotz der morgendlichen Kühle kleine Schweißperlen über das Gesicht des Ziegenbauern rannen. Er hatte sein Käppi unter das Lederkoppel geschoben und wieder den speckigen Schlapphut aufgesetzt. Seine Lider zuckten in kurzen Abständen.

„Angst?“, fragte sie.

„Dort drüben sind meine Frau, die Kinder und meine Eltern. Wir müssen mit jeder Kugel treffen, damit die Deutschen gar nicht erst dazu kommen, Handgranaten in die Kasematten zu werfen.“

Sie blickten stumm hinüber zur Festung.

„Noch fünfunddreißig Minuten“, sagte Draza zu seinem Kommissar. „Hoffentlich schaffen es die Jungs in dieser Zeit, sonst wird es brenzlig für uns alle!“

Der Dienstplan in der Burg war dem Stab der Partisanenabteilung dank der eingeschleusten Küchenhilfe ebenfalls bekannt. Wenige Minuten nach sieben Uhr würden die meisten Offiziere und Soldaten auf der Lomaca in den Speiseräumen beim Frühstück sitzen. Ihre Verwirrung, ausgelöst von einem plötzlichen Feuerüberfall, gehörte mit zu Drazas Angriffsplan. Er konnte sich die ungeduldigen Blicke vorstellen, mit denen seine nahe den Torposten liegenden Männer jetzt den Lauf der Uhrzeiger verfolgten.

Senf-Vlado, der die Gitarre im Stützpunkt gelassen hatte, rutschte unruhig hin und her. Aus dem Grasboden kroch Kälte in seinen Leib. „Wenn’s nicht bald losgeht, frier ich mir noch was ab“, sagte er zu dem neben ihm liegenden Milan Folk. Doch er bekam keine Antwort.

Der Gruppenführer musste an die Worte des alten Hans Sulka denken. Hundert deutsche Soldaten und Ustaschen, dachte er. Dafür werden sie tausend Leute von uns aus den Städten und Dörfern holen und eine Menge von ihnen aufhängen. Slavias Vater hat recht, lange darf es nicht mehr so weitergehen, sonst bluten wir aus wie ein Stier mit offenen Adern …

„Guck mal, da kommt einer!“, sagte Senf-Vlado plötzlich.

Milan Folk reckte das Kinn. Auch Draza, der Kommissar und die in gutgetarnten Stellungen liegenden Partisanen sahen die Gestalt. Es war ein Mann, der aus dem Sonnenblumenfeld unter dem Südhang der Lomaca auftauchte. Durch die Ferngläser war deutlich zu erkennen, dass er eine Wehrmachtuniform trug. An einem Ärmel schimmerte der Doppelwinkel eines Obergefreiten. Sein rotblonder Schopf war unbedeckt. An seiner Brust hatte er ein weißes Tuch befestigt, das für alle Beobachter hinter seinem Rücken unsichtbar bleiben musste. Er zog einen offenbar schwer beladenen Handwagen hinter sich her. Eine graue Militärdecke verbarg die Ladung.

Von den Posten am Tor unbemerkt oder nicht beachtet, näherte sich der Mann geradewegs dem Punkt, an dem Milan Folk und Senf-Vlado Stellung bezogen hatten.

„Sieht aus wie einer, der im letzten Augenblick noch vom fahrenden Zug abspringen will“, meinte Senf- Vlado. „Woher der wohl weiß, dass wir hier sind?“

„Weiß er es denn?“, fragte Milan Folk zurück.

Auch der Kommandeur der Ernst-Thälmann-Partisanen Heinz Adam und sein Kommissar Peter Johann hatten den immer näher kommenden Obergefreiten im Blick. Durch ihre Ferngläser konnten sie erkennen, wie der ungefähr dreißigjährige Mann schwitzte und immer wieder über die Schulter zur Lomaca schaute.

Peter Johann sah auf die Uhr. „Er muss sich beeilen, wenn er uns nicht ins Feuer laufen will.“

Geduckt eilten Draza und Kommissar Goldstein zu dem Platz in der Ausgangsstellung, auf den der Überläufer zusteuerte.

„Das weiße Tuch sagt noch gar nichts“, murmelte der Schnauzbärtige. „Nicht, was einer auf der Brust trägt, sondern was er in der Brust verbirgt, darauf kommt es an.“

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