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… wie eine Schwalbe im Schnee.Historischer Abenteuerroman von Wolfgang Held
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
10.07.2020
ISBN:
978-3-96521-039-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 386 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/Allgemein, Belletristik/Thriller/Geschichte, Belletristik/Familienleben
Historische Abenteuerromane, Historischer Roman, Thriller / Spannung, Historische Liebesromane, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Thüringen, erste Hälfte 18. Jahrhundert (1700 bis 1750 n. Chr.)
18. Jahrhundert, Fronarbeit, Gutsherr, Willkür, Recht, Gesetz, Auflehnung, Liebe, Familie, Jäger
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In den vergangenen zehn Wochen waren von den fürstlichen Kanzleien in Gotha vier Klagen aus Großkornberg aufgenommen worden, die sämtlich den dortigen Gutsherrn beschuldigten. Die Petition zur Rettung des Waldes war nur der Anfang dieser Kette gewesen. Das Verfahren hatte sich über anderthalb Monate hingezogen. Endlich entschied ein herzoglicher Erlass, dass dem Schönbacher nicht mehr als ein Viertel des Holzes vom Hummelsberg zum Einschlag gestattet sein, doch zu diesem Zeitpunkt waren die Hänge dort, von einem knappen Dutzend übrig gebliebener Bäume und spärlichem Buschwerk abgesehen, schon grau und kahl.

Der Schlossherr musste daraufhin eine Strafe von fünfzig Reichstalern an die Landeskasse zahlen. Seine Wut brannte noch, als er von der Klage des Anspänners Kämpe erfuhr. Der Einspruch des Bauern galt der Fronforderung des Kammerjunkers.

Nach Recht und Ordnung begann in den Wochen zwischen dem Bartholomäustag am 24. August und dem Osterfest der Frondienst mit dem Sonnenaufgang und endete bei Sonnenuntergang. Während der Zeit der kürzeren Nächte zwischen Ostern und jenem Tag des Schutzheiligen der Fischer, Fleischer und Handschuhmacher musste der Frondienst von vier Uhr in der Frühe bis sechs Uhr am Abend geleistet werden. Die Wegezeit vom heimatlichen Hof bis zu dem Ort, an welchem der Frondienst gefordert wurde, zählte nur dann zu Gunsten des Fröners, wenn diese Strecke mehr als eine halbe Meile maß.

Der Bauer Kämpe war beauftragt worden, im Laufe der Wintermonate das gesamte Mobiliar aus dem Stadthaus der Familie von Schönbach in Rudolstadt nach Schloss Großkornberg zu bringen. Der Kammerjunker hatte verlangt, dass der Anspänner mit Pferd und Wagen bei Tagesanbruch vor dem Haus in Rudolstadt zu stehen habe. Die Anfahrt von Großkornberg bis zur Hauptstadt des souveränen Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt betrug jedoch reichlich anderthalb Meilen. Kämpe hätte bald nach Mitternacht mit Laternenlicht aufbrechen müssen, wenn er trotz Dunkelheit, Frost und verschneiter Straße pünktlich zur Stelle sein wollte. In seiner Klageschrift berief er sich auf Particular II, Kapitel 2, Titel 15 der Fürstlich-Sächsischen Landesordnung, wo eine solche Forderung ausdrücklich für unbillig erklärt wurde. Ein Untergericht der Hochfürstlich-Friedenssteinischen Regierung hatte Johann Friedrich von Schönbach gerügt und bestimmt, dass er dem Anspänner die bereits geleisteten Tagwerke zur Hälfte als Lohnarbeit zu bezahlen habe.

Zuerst gaben die beiden verlorenen Prozesse dem Kammerjunker Rätsel auf. Die aus den Klageschriften ablesbare, genaue Rechtskenntnis beunruhigte ihn. Für kurze Zeit hegte er sogar den Verdacht, dass Friedemann von Volthen seine Hände im Spiel hatte. Klarheit brachte erst die dritte Beschwerde.

Der als frommer, fleißiger und gehorsamer Untertan bekannte Bauer Bertram Nussohr aus dem Großkornberger Vorwerk Rottenhein hatte seinen Fronherrn beim Herzog Friedrich II. verklagt. Der Schönbacher war nach einer Fuchsjagd, von drei herrschaftlichen Gästen begleitet, zu abendlicher Stunde auf dem Hof des Anspänners erschienen. Dort fand gerade eine kleine Familienfeier statt. Die Zwillingstöchter des Ehepaares Nussohr wurden vierzehn Jahre. Die vier Adelsherrn hatten sich am gedeckten Tisch breit gemacht und der Familie wie den anwesenden Gratulanten, dabei auch Pfarrer Klagebusch, kaum einen Bissen vom Braten oder einen Schluck vom Bier übrig gelassen. Allein dem beherzten Einspruch des Geistlichen war es zu verdanken gewesen, dass sich die hochwohlgeborenen Herrn gegenüber den beiden Mädchen mit unzüchtigen Handgriffen begnügten.

Umreiten, so nannte man landauf, landab, dieses dreiste Treiben der Gutsherren und nahm es als lästige, aber unabwendbare Gepflogenheit hin.

Für Johann Friedrich von Schönbach stand außer Zweifel, dass seine Dörfler, vom ärmsten Tagelöhner bis zum Heimbürgen keine Ahnung von der Existenz eines juristischen Schutzes vor solchen Überfällen gehabt hatten. Nun aber zitierte dieser des Schreibens völlig ungeübte Bauer in einer wohlgesetzten Klageschrift beinahe wörtlich aus der Landesordnung: Keiner soll ungeladen bei des anderen Ehrengelage erscheinen, noch als Hausherr ungeladene Gäste dabei aufnehmen.

Friedemann von Volthens Geschick vor Gericht hatte den Kammerjunker in dieser Sache vor Geldbuße oder gar Gefängnis bewahrt, denn in diesem Falle hätte es den Kläger gleichermaßen mitbetroffen. Der betreffende Titel in der Rechtsschrift bestimmte, dass bei vorgegebenem Tatbestand das Gericht den Geschädigten ebenfalls bestrafen konnte, wenn er die unerwünschten Besucher an der Festtafel geduldet hatte. Bauer Nussohr war heilfroh gewesen, dass die Gerichtsherren seinen Vorwitz nicht übel vergolten hatten. Unbedacht war ihm über die Lippen gekommen, dass er sich nicht ein zweites Mal vom Jäger Roth beraten lassen würde.

Diesen Satz hatte der Gerichtsverwalter von Volthen gehört!

Der Kammerjunker schmetterte einen Kelch aus bestem Ilmenauer Glas gegen die Tapete, als er davon erfuhr. Während er noch auf Rache schwor, erreichte ihn die Nachricht von erneuter Beschwerde, die in Gotha gegen ihn vorlag. Im vergangenen Sommer hatte er dem Tischler und Zimmermann Haubold auf dessen inständiges Bitten zwanzig Taler geliehen, die der Mann dringend zur Ausrichtung der Hochzeit seiner Tochter brauchte. Für einen auf zwanzig Taler ausgestellten Schuldschein hatte er dem Bittsteller achtzehn Taler ausgehändigt und zwei gleich als Zinsen einbehalten. Zehn Prozent waren nur zweieinhalb mehr als er selbst bei seinem Jenaer Geldverleiher zahlen muss, und Wohltat ohne jeden Nutzen galt in seinen Augen soviel wie Angeln ohne Köder.

Nun hatte Leberecht Haubold seinen herrschaftlichen Gläubiger wegen Wuchers verklagt, denn die Landesordnung erlaubte auf geliehenes Geld nur einen Zinssatz von höchstens fünf Prozent.

Johann Friedrich von Schönbach stützte die seitlich ausgestreckten Hände auf und nahm so die ganze Breite der Kutschbank in Anspruch. Er saß in Fahrtrichtung, zurückgelehnt gegen das gesteppte Polster, die stämmigen, kurzen Beine gegrätscht hingestemmt wie Säulen. Auf seinem Gesicht lag bläulicher Schimmer. Er brütete einen Racheplan aus.

Das Gericht in Gotha hatte die Verhandlung unterbrochen. Der Prozess sollte eine Woche nach dem Osterfest fortgesetzt werden. Es ging dabei nur noch um die Höhe der Strafe, die dem Kammerjunker auferlegt werden würde, deshalb war er entschlossen, in dieser Angelegenheit nicht noch einmal in die Residenzstadt zu reisen. Er wollte künftig seinen Gerichtsverwalter in diesem unseligen Streitfall allein nach Gotha senden und sich die erniedrigenden Auftritte vor Gericht ersparen. Eine der Sachen, die er aus tiefster Seele heraus hasste, war das Verlieren.

In den Augen des Kammerjunkers war einer, der solche demütigenden Niederlagen hinnahm und dabei nicht sofort über Vergeltung nachdachte, ein erbärmlicher Wicht und somit des Herrschens über andere Menschen völlig unfähig. Das traf nach seiner Überzeugung in ganz besonderem Maße zu, wenn die Abfuhr einem Angehörigen des Adels von einer Person aus den unteren Ständen erteilt wurde. Erfolg macht hochmütig, und ein Untertan bekam dabei womöglich Hunger nach weiteren Triumphen über seine Obrigkeit.

„Was wir jetzt nötig brauchen, von Volthen, das ist ein strenges Exempel“, erklärte Johann Friedrich von Schönbach unvermittelt und entschieden. „Furcht allein ist die Mutter des eisernen Gehorsams. Der Toffel braucht einen Streich, der ihn auf drei Meilen weit hörbar schreien lässt, anders macht er uns im Großkornbergischen selbst die Hasen noch rebellisch!“

Philipp sah von seinem Malblock auf und schaute den Vater an, dessen Tonfall von Wut geschärft war. Unmerklich rückte er ein wenig tiefer in die Sitznische am Fenster.

„Es ist wahr“, pflichtete der Jurist dem Kammerjunker bei. „Dem Roth juckt die Schwarte, und nun reibt er sich an Euch wie das Schwein an der Eiche.“

Der Vergleich gefiel dem Schlossherrn offensichtlich. Er spitzte die Lippen und nickte.

„Das kommt, weil der Kerl ganz und gar aus Zucht und Zügel ist“, sinnierte er laut. „Jede Daumenbreite mehr an Freiheit nutzen Leute niederer Herkunft lediglich dafür, alle in ihnen schlummernden bösen Eigensüchte und Gelüste rücksichtslos auszuleben. Beim Toffel ist es vor allem die Eitelkeit, von Volthen. Ich hab’ es immer gespürt, dass in ihm ein Hang dahin lauert.“

„Mit Verlaub, Exzellenz, solches Streben nach Bewunderung des gemeinen Volkes verschafft noch keine dermaßen profunde Rechtskenntnis. Die Particularien der ernestinischen Landesordnung samt Strich und Kommata hat der Roth doch gewiss nicht als Eleve in der Obhut des sachsen-gotha-altenburgischen Oberforstmeisters einstudiert.“

Philipp starrte hinaus in die Landschaft. Er wollte bei diesem Gespräch nicht länger Zuhörer sein und nutzte die wunderbare Fähigkeit aller mit Fantasie Begabten zur unauffälligen Flucht aus der Wirklichkeit in jene fernen, zauberhaften Regionen, die allen Verfolgern verschlossen blieben.

„Das Lesen ist es!“, entgegnete Johann Friedrich von Schönbach seinem Gerichtsverwalter. Er kramte in den Taschen seiner langen Weste und fand endlich die Schnupftabakdose. „Er hat die Nase schon immer lieber in ein Buch als in einen Krug gesteckt, der Hundsfott. Wer erst einmal mit den Buchstaben zurechtkommt, der findet auch die Wege zu den Büchern, meine ich. Und Lesen heizt die Denklust an!“

… wie eine Schwalbe im Schnee.Historischer Abenteuerroman von Wolfgang Held: TextAuszug