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Fünfzehn Schritte gradaus. Gedichte von Hasso Grabner
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
30.03.2021
ISBN:
978-3-96521-302-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 80 Seiten
Kategorien:
Lyrik/Deutsch, Belletristik/Politik
Lyrik, Poesie, Moderne und zeitgenössische Lyrik (ab 1900), Einzelne Dichter
KZ Buchenwald, Zuchthaus Waldheim, Nachkriegszeit, Strafbataillon 999, Griechenland, Korfu, Partisanen, Walzwerk Gröditz, Maxhütte Unterwellenborn, Stalinallee, FDJ, SED, Lyrik, KPD
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Essenausgabe

Täglich sind sie am Stacheldraht
zum Essenfassen.
Links ein Kamerad,
rechts ein Kamerad,
und sie lassen
einen dritten
in ihrer Mitten
nicht allein.
Aber während sie bitten,
es möge nicht zu wenig sein
von der schönen Suppe,
mischt der sich nicht ein,
als sei es ihm schnuppe,
ob er sie frisst,
weil es ja doch nur
Kohlrübenwasserbrühe ist,
was sie hier kochen.

Wenn sie sich dann zum Gehen wenden,
ihre drei Näpfe in den Händen,
schleift er so merkwürdig seine Knochen
hinterher.
Aber den Napf hält er ganz fest,
wie jemand die Zügel führt,
er scheint ihm
weder heiß zu sein noch schwer.
Er hatte auch keine Miene gerührt
und nicht gestöhnt,
als ihm der Kalfakter die heiße Brühe
über den Daumen spülte,
als ob er nichts fühlte.

Wahrscheinlich ist er Gießer,
so einer gewöhnt
sich mit einiger Mühe
und nach einiger Zeit
an das Heiße,
konnte man denken.
Doch dieser
erwarb sich die Unempfindlichkeit
auf andere Weise.

Vor einigen vierzehn Tagen
hörten die Zwei den dritten sagen:
„Ich werde sterben“,
und haben dazu genickt.
Anderswo ist das sicherlich ungeschickt
und ohne Pietät.
Aber hier war es schon ein Trösten,
nicht zu widersprechen, wenn einer weiß,
dass er in der Erlösten
Ruhe eingeht,
denn was kann er hier schon noch erben?
Und außerdem dachte von beiden jeder:
Ich auch, nur etwas später.
So lehrte sie die Erfahrung.
Und das schwiegen sie sich
ins Gesicht,
denn die Stimmbänder
brauchen auch ein wenig Nahrung,
und die hatten sie nicht.

Dann begann der dritte wieder:
„Tote haben steife Glieder,
aber mit glasigen Augen
haben sie keine Ruh,
bitte drückt mir die Augen zu.“
Die beiden senkten die Lider
zu einem „So sei es“.
„Und noch eins“, sprach die Stimme,
„Maria, verzeih es!
Gebt mir den Essnapf in die Hand,
solange sie warm ist,
ganz fest,
den Daumen über den Rand,
die Finger an den Boden gepresst,
und dann winkelt den Unterarm empor,
haltet ihn, dass er sich nicht bewegt,
so eben!“
Dann spielt er ihnen die Szene vor,
wie einer einen Essnapf trägt,
sein erstes Theaterspiel im Leben.

„Legt mich in die Ecke im Zelte.
Und seid nicht bange,
bei dieser Kälte
halte ich mich lange.
Bei der Essenausgabe nehmt ihr mich dann,
aber ihr dürft mich nicht fallen lassen,
und einer sagt: Essen für drei Mann.
So kann ich jeden Tag
für euch einen Schlag
mit fassen.“

Und als er so spricht,
steht in seinen Augen beinah ein Rausch,
in dem vergnügliche Lichter zucken.
Aber die andern wissen nicht
wohin mit dem Schlucken.
Jetzt schien ihnen doch der Tod zu frühe
und ein allzu verzweifeltes Stück
der Tausch,
der ihnen hier empfohlen:
Tägliches Entsetzen gegen Kohlrübenwasserbrühe.

Aber der,
der ihnen mehr
als das letzte Hemd anbot,
legte den Kopf zurück.
„Grüßt Polen“
und war tot,
als müsst es so sein.

Täglich sind sie am Stacheldraht,
dem dornigen Gitter.
Links ein Kamerad,
rechts ein Kamerad,
aber ein Dritter
lässt sie nicht allein.

KZ Buchenwald, Februar 1940

Appellplatz Buchenwald

Marsch durch den Lehm
und Takt, Kameraden,
und wenn uns der Dreck
in die Stiefel läuft.
Haben wir Buchenwald-Soldaten
andere Dinge schon in uns ersäuft.

Seitenrichtung und
links, Kameraden,
Tuchfühlung ist
viel mehr als ein Wort.
Alles Zaudern und alle Taten
pflanzen sich in der Tuchfühlung fort.

Die Augen links!
Durchzähln, Kameraden!
Zahl ist Masse,
und Masse ist Schritt.
Vor die Weltgeschichte geladen
zählt die Masse zum Wollen mit.

Arbeitskommando weg!
Kameraden –
Arbeitskommando
am großen Ziel.
Marsch, ihr Buchenwald-Soldaten!
Zehn für einen jeden, der fiel!

KZ Buchenwald, März 1940

Für Rudi Arndt

Der eben an uns vorbeiging,
das war ein Mensch wie wir.
Man trug ihn auf einer Bahre
hinunter ins Revier.

Die Träger wussten beide,
der macht nicht mehr lange mit.
Es lag ein letzter Freundschaftsdienst
in ihrem leisen Schritt.

Ihm brennen zwei Kugeln im Rücken
und eine in der Brust.
Er hat, dass er heute sterben muss,
gestern schon gewusst.

Viel Tränen seh ich rinnen,
sie sind Gebet und Fluch.
Sie weben dem Kameraden
ein leuchtendes Leichentuch.

KZ Buchenwald, Mai 1940

Fünfzehn Schritte gradaus. Gedichte von Hasso Grabner: TextAuszug