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VEB Arche Noah. Roman von Hasso Grabner
Autor:
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
30.03.2021
ISBN:
978-3-96521-426-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 340 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Psychologisch, Belletristik/Liebesroman/Aktuelle Zeitgeschichte, Belletristik/Moderne Frauen
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Liebe und Beziehungen
Jugend, Metallarbeiter, FDGB, Gewerkschaft, Maxhütte, Unterwellenborn, Liebe, Arbeiter, Parteistrafe, Seitensprung, Menschlichkeit, Erfindergeist, Elan, Walzwerk, DDR, Sozialismus, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Kollektiv, gegenseitige Hilfe, Kameradschaftlichkeit
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Ein bisschen nassforsch, und dann wird es schon gehen, hatte sich Kruse am Morgen gesagt, ehe er Bruchmüller zu sich bat.

Der Diplomingenieur hatte aufmerksam und wie es schien mit wachsender Belustigung zugehört.

„Kennen Sie die Demag?“, fragt er und spricht den Firmennamen aus, als spräche er von Kaviar und Champagner.

Kruse hat nicht das Vergnügen. Er weiß, das ist ein Betrieb im rheinischen Industrierevier, eine der großen Schmieden der Schwerindustrie.

„Haben Sie sich da mal umgesehen?“, bohrt Bruchmüller weiter. Kruse verneint. „Na also!“, sagt Bruchmüller.

Ein Meisterwerk der lapidaren Kürze, dieses ,Na also!‘. Der alte Cato würde vor Neid erbleichen. Tiefschürfend, ja, bis zum Urgrund ist bewiesen, warum der VEB Arche Noah keinen Roheisenmischer bauen kann. Frieder Kruse, mehr Zwerg- als Werkleiter, bekennt mit der Unschuld eines Säuglings, die Demag nicht zu kennen, den Maßstab der Dinge, mit denen er spielen möchte.

„Ich hab’s zugesagt“, sagt Kruse.

Ein alberneres Argument hätte Kruse gar nicht vorbringen können: Ich hab’s zugesagt. Da sagst du eben wieder ab. Deine Genossen werden sagen: Na ja, der … und den Fall zu den Akten legen. Punkt …

Solche Gedanken spiegeln sich im Gesicht wider. Kruse reagiert sauer.

„Ich hab’s zugesagt! Basta! Jetzt reden wir nicht über ,ob‘, sondern über ,wie‘, bitteschön!“

Nein, Bruchmüller ist nicht so berechnend, dass er sich sagt: Jetzt hat der sich aber verrannt, jetzt kannst du mal drauf hauen, dass die Fetzen fliegen, er muss sowieso klein beigeben. Jetzt ist Bruchmüller wirklich wütend. ,Basta‘ sagt dieser Mensch. ,Basta!‘ Und dann schreibt er einem noch vor, worüber man zu reden hat und worüber nicht.

Wenn Bruchmüller wirklich wütend ist, rappelt es. Vokabeln wie Affenstall, Saftladen, volkseigener Schrotthaufen, übergeschnappt, größenwahnsinnig, Leute, die sich ihr Lehrgeld wiedergeben lassen sollten, zieren seine Rede. Kruse hat es im Grunde gern, wenn einer richtig wütend ist, und ,übergeschnappt' und ‚größenwahnsinnig' kratzen ihn überhaupt nicht. Dafür wurmen ihn ‚Affenstall' und ‚Saftladen'. Er knurrt: „Ein bisschen stolz bin ich schon, Werkleiter im VEB Eisen- und Stahlbau zu sein.“

Bruchmüller sieht ihn schaudernd an, so wie einer seinen eben entwichenen Bandwurm betrachtet und zischt: „Sie, ja! Sie sind ja auch ein Parvenü!“

Er schnieft befriedigt. Jetzt hat er doch einmal den Abstand deutlich gemacht. Und mit gutem Recht. Da sind der Herr Papa, Sanitätsrat Bruchmüller, der Herr Großvater, Regierungsbaumeister Bruchmüller und noch zwei, drei feine Leute vorher. Und auch Mama und Grand mere sind ,geborene'. Da kann die Bogenanlegerin Grete Kruse nicht mit. Sie ist keine ‚geborene', sondern nur geboren. Außerdem hat sie sich mit dem Matrosen Friedrich abgegeben und was weiß man von dem …

Hier ist Frieder Kruse wirklich im Nachteil. Er weiß eben leider nicht, dass der Matrose Friedrich mit einem kurzen kernigen Spruch seines Kapitäns versehen in einem Segeltuch über Bord gehen musste, nachdem er bei dem Versuch, einen Schiffsjungen von der Großbrahmrahe zu holen, abgestürzt war. Der Schiffsjunge, davongekommen, hätte das ja liebend gern der Bogenanlegerin erzählt, aber er wusste nichts von ihr. Friedrich hatte sich immer gesagt: Dat geiht nümand nüx an, wenn eck wedder tu Hus ben, mack eck dat kloor. Grete Kruse nannte das, was ‚niemand was anging', dann Frieder. Verdient hatte es der Matrose wohl nicht, aber egal, er war ein Mann mit einem Blick wie die blanke See und einem Brustkasten, breit genug, um den Stürmen zu trotzen, von denen er sang, obwohl er auch ‚leeve Dern' sagen konnte wie ein Gebet.

Als kriegsfreiwilliger Fähnrich im ersten Weltkrieg war Bruchmüller ein paarmal auf dem Schießstand. Er besinnt sich noch der Verblüffung, wenn da hinten ‚Fahrkarte' angezeigt wurde. So geht es ihm jetzt. Kruse ist, deutlich sichtbar, nicht getroffen. Dem Mann gelten andere Worte als Schimpf. Opportunist. Linker Sektierer. Oder gar: Liquidator und Feigling. Auf das ,Kömmling‘ in ‚Emporkömmling' kann man pfeifen. Übrig bleibt ‚empor'. Ein großes und stolzes Wort seines Sprachschatzes. Brüder, zum Licht empor! Das ist jetzt schon mehr als nur ein Lied. Da sind wir gerade dabei. Damit ist es zur heiligen Pflicht geworden. Pflicht einer ganzen Klasse. Schon um deretwillen, die dafür gefallen sind. Und darauf willst du spucken, Bruchmüller …?

Wer bist du denn …?

Bruchmüller begreift nicht, was in seinem Partner vorgeht. Er spürt nur, dass er dabei nicht gut wegkommt. Eine Art Panik überfällt ihn. Nur noch eine Rettung: die Flucht. Aber eine, die nach etwas aussieht. Die gibt es. Man kann schreien: „Mit mir nicht“, die Tür hinter sich ins Schloss donnern, und schon ist aus dem Flüchtigen ein Sieger geworden: Dem habe ich’s aber gegeben!

Kruse bestimmt gern selbst, wann eine Unterredung beendet ist. Nun ärgert er sich doch. So etwas riecht Josephine. Sie kommt und fragt: „Den hat wohl der Mond gebissen?“ Daran kann Kruse erkennen, dass er sich ärgert. Wenn er dagesessen und sich eins gegrinst hätte, hätte Josephine gesagt: Sie sind aber auch ein Ekel, den armen Kerl so zu behandeln!

Kruse erzählt ihr die Geschichte. „Ein passender Name“, sagt Josephine, „Tausendtonnenmischer. Passend zu dem Tausendsassa Kruse.“

„Nicht wahr?“, sagt er und strahlt übers ganze Gesicht.

Josephine schaut ihn liebevoll-bekümmert an. Er kann lesen, was sie sagen will: Die Verrückten werden eben nicht alle. Das vernimmt er nicht zum ersten Mal. Schon der Wachtmeister Huber sagte Fünfunddreißig in der ,Mathilde‘: So verrückt möchte ich auch mal sein, mich für nichts und wieder nichts hier hereinzusetzen. Und der hat das auch nicht erfunden, steht doch schon in der Bibel: Die Kinder der Welt sind klüger als die Kinder des Lichts.

„Sie müssen mit Karl-Heinz und mit Karl sprechen“, sagt Josephine.

„Erst mal ein Tässchen Kaffee“, sagt er.

VEB Arche Noah. Roman von Hasso Grabner: TextAuszug