Home
eBook-Shop (nur Verlagstitel)
Links
Warenkorb
Anastassia war die erste, die das Bild in der Illustrierten entdeckte. Der Gedanke, es ihrem Mann zu zeigen, widerstrebte ihr. Schließlich siegte die Vernunft. Spiridon Tsatsos war zu Tode erschrocken. Sein Schmerz ließ ihn alle verstehen, die an Karneades Verrat nicht hatten glauben wollen. Und nun dies
Die Mitglieder der Leitung, darunter auch Daphne, erfuhren die grausame Nachricht von Tsatsos. Stavros starrte auf das Bild. Julian! stieß er erschüttert hervor. Das Schwein Julian!
Die Behauptung des Dockers, der Mann neben Karneades sei Julian, war nicht zu bezweifeln. Konstantin Stavros hatte zweimal in seinem Leben die Bekanntschaft des niederträchtigsten Bullen der Stadt machen müssen. Er konnte dessen Visage für immer unter Tausenden herausfinden. Es gab nichts daran zu deuteln: Die beiden Männer, die im Gewühl vor dem Lampropoulos-Warenhaus wie harmlose Passanten herumstanden, waren Karneades, ihr Genosse Karneades, und mit ihm Julian, die Personifizierung all dessen, was sie fürchteten und hassten. Daphne brach hemmungslos in Tränen aus. Sie warf sich mit dem Oberkörper über den Tisch, schlug mit der Stirn wieder und wieder auf die Platte und schrie: Nein! Nein! Nein! Tsatsos, Stavros und Aris standen um sie herum, viel hilfloser noch, als Männer im Allgemeinen weinenden Frauen gegenüberstehen. Jeder wusste, gegen eine solche Tragik war kein Trost gewachsen. Sie alle waren erprobte Revolutionäre. Der tiefe Fall ihres ehemaligen Genossen erschreckte und erbitterte sie, aber in diesem Augenblick schien ihnen als schwerste Schuld das, was er seiner Frau angetan hatte.
Stavros flüsterte: Es ist eine geradezu irrsinnige Situation. Man müsste sich wünschen, dass er als wimmerndes, zusammengeschlagenes Bündel in seiner Zelle liegt. Das wäre schlimm genug, aber eine Erklärung. Doch das hier frisch und munter auf der Straße es ist entsetzlich
Tsatsos sah ihn an, legte den Zeigefinger vor den Mund: Nicht jetzt, nicht vor Daphne
Sie bemühten sich um die Frau. Der Hafenarbeiter strich ihr mit seiner schweren Hand unendlich behutsam über das schwarze Haar. Weine, wein dich aus, Daphne, du meine liebe Weine dich aus
Langsam ging ihr maßloser Gefühlsausbruch in eine schmerzhafte Starre über. Sie richtete sich auf und schaute mit schwimmenden, rotgeränderten Augen von einem zum anderen. Heiser kam ihr über die Lippen: Ihr werdet ihn verurteilen. Von eurem Recht überzeugt, werdet ihr euch von ihm abwenden, aber ihr werdet ihm bitterstes Unrecht antun. Ja, ja, ich weiß: Petros und Elenis Verhaftung, der Kassiber, die Wohnung in Arezu und nun diese Fotografie So viel Recht, mein Gott, so viel Recht. Was ist dagegen ein einziges Unrecht, und sei es riesengroß? Ich kann euch um nichts bitten. Ach, wohl zum ersten Mal in unserem schweren, gemeinsamen Leben kann ich euch um nichts bitten. Aber ihr könnt von mir nicht verlangen, dass ich mich euch beuge. Nein, nein, unterbrecht mich nicht ich muss mich nicht entscheiden, ob ich den Mann aus meinem Herzen reißen oder ihn weiterlieben soll, obwohl er der Mann nicht gewesen ist, für den er sich selbst, für den ich ihn, für den wir alle ihn hielten. Er ist es. Ich weiß es, und er müsste es mir ins Gesichte sagen, sollte ich jemals anderer Meinung sein.
Tsatsos seufzte tief auf. Wir verstehen dich, wir verstehen dich so gut, Daphne. Wir wollen auch nicht verlangen, dass du uns verstehst. Aber wir müssen dennoch tun, was die Pflicht uns befiehlt.
Stavros fuhr sich mit beiden Händen durch das störrische Haar und sagte mit einem tiefen Seufzer: Ach, Daphne, ich habe ihn wohl mehr geliebt als jeder andere Mann, aber ich sage dir: Es gibt etwas, das wir auch lieben, nicht so, wie man einander als Mann und Frau liebt, anders, aber nicht weniger unsere Sache, unsere Partei. Für diese Liebe gibt es kein Entweder-Oder. Sie lässt uns nicht los auch dich nicht, Daphne. Wir können von dir keine Zustimmung zu unseren Beschlüssen fordern, aber gültig müssen sie auch für dich sein. Das ist ein Gesetz unserer Bewegung, du weißt es so gut wie wir, wenn auch weder du noch wir je geahnt haben, wie unerbittlich es sein kann.
Ich weiß nicht weiter. Ich kann jetzt nicht mehr. Heute nicht. Bitte, lasst mich gehen, sagte Daphne.
Die Männer nickten einander zu. Tsatsos sagte: Ich begleite dich nach Hause.
Sie jagten die Straße stadtwärts, am Park des Weißen Turmes vorbei. An der Anatolia-Schule sagte Daphne: Bitte, halt an, ich möchte zu Fuß gehen.
Tsatsos schüttelte den Kopf und trat auf das Gaspedal. An der Leoforos Vasilissis Sofias stoppte er vor einer Telefonzelle. Er beschwor Daphne, sitzen zu bleiben, stieg aus, um Anastassia anzurufen. Er bat sie, schnellstens in Daphnes Wohnung zu gehen. Als er zum Wagen zurückkam, war Daphne verschwunden. Er lief erneut zum Telefon und benachrichtigte seine Frau. Dann setzte er sich ans Lenkrad und fuhr suchend alle Straßen der Umgebung ab. Vergeblich.