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Der Schwarze Peter von Günter Görlich
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
24.05.2022
ISBN:
978-3-96521-677-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 606 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Moderne und zeitgenössische Belletristik, Zeitgenössische Liebesromane, Familienleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Heranwachsen, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Liebe und Beziehungen, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik
DDR, Berlin, Nachkriegszeit, Westberlin, Buntmetalldiebstahl, Kinderheim, Jugendwerkhof, Antifaschist, Faschist, Liebe, Freundschaft
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Meinen ganzen Körper packt ein Schütteln. Die Zähne schlagen aufeinander, und ich kann sie nicht festhalten. Ich krümme mich zusammen und zerre mit aller Kraft die Decke an mich heran.

Der Ofen glüht, das dünne Blech leuchtet rot im dämmrigen Halbdunkel.

Zwischen dem Klappern meiner Zähne höre ich den Wind heulen; er pfeift durch die Ritzen der Tür und rüttelt sie hin und her. An die Fenster klatschen Regentropfen und rinnen in vielen kleinen Bächen die Scheiben hinunter. Manchmal sind es schon pappige, feuchte Schneeflocken.

Ich kneife die Augen zusammen und verfolge die rinnenden Bächlein. Meine Schultern zucken noch, aber das Schütteln hört allmählich auf.

In meinem Kopf sticht es, als ob mir jemand eine lange, spitze Nadel hineinsticht.

Schon ein paar Tage geht es mir so. Das wird eine Krankheit sein. Das Laufen fällt mir schwer. Wenn ich längere Zeit stehe, wird mir schwindlig im Kopf, und ich muss mich hinlegen. Es kommt keiner, der mir hilft.

Früher, wenn ich krank war, hat sich immer jemand um mich gekümmert.

Großmutter steckte mich ins Bett und kochte Fliedertee.

Dann lag ich einige Tage, blätterte in Bilderbüchern und war bald wieder gesund.

Bruno und die anderen haben wahrscheinlich Angst, dass meine Krankheit ansteckend sei, deswegen kommen sie nicht mehr. Seitdem ich nicht mehr arbeiten kann, bin ich für Brandler nicht mehr auf der Welt. Eigentlich war ich für ihn noch nie richtig da, weil ich schwarzgearbeitet habe. Ich muss wieder gesund werden. Dann werde ich allen ins Gesicht schreien, was sie für Kameraden sind.

Aber das wird ja doch keinen Zweck haben. Ich weiß, wie sie denken. Ich habe auch schon daran gedacht, dass ich zum Jugendhelfer gehen könnte oder zu Herrn Merk. Das war, als das Fieber durch meinen Körper jagte, mein Herz wie ein Hammer schlug, schnell und hastig, und vor meinen Augen rote Kreise tanzten. Ich kann aber nicht mehr zum Jugendhelfer und zu Herrn Merk auch nicht. Ich habe doch was Politisches mitgemacht.

Es war noch etwas Schlimmeres als die Zettelverteilerei.

Der Fremde sagte, dass ich jetzt ein richtiger Politischer sei, und wenn sie mich im Osten schnappten, würden sie mich viele Jahre hinter Gitter setzen.

Ich wollte kein Politischer werden, ich wollte bloß Geld verdienen, weil ich Schuhe brauchte und warme Sachen für den Winter. Aber sie haben mich dazu gezwungen.

Der Fremde und der Bruno, das sind alles Politische, die haben eine Wut auf die Parteileute und die Russen.

Bruno hat deshalb eine Wut, weil sein Vater wieder ein Hoher im Westen ist, zwar noch kein ganz Hoher, aber wenn die Russen kämen, wäre er gar nichts mehr, dann müsste er auf den Bau schippen gehen.

Der Fremde ist ein Politischer, weil wir den Krieg verloren haben. Er sagt, dass die Russen und die anderen da drüben schuld daran seien und dass es auch wieder anders kommen würde. Herr Merk und Lehrer Mathes haben uns das mit dem Krieg anders erklärt.

Ich habe keinen Grund, ein Politischer zu sein. Ich brauche Geld, damit ich essen kann, das ist alles. Aber bei mir wird immer alles anders, als ich es eigentlich will. Ich bin eben ein richtiger „Schwarzer Peter“.

Der Schwarze Peter von Günter Görlich: TextAuszug