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Der Winter ist ein anderes Land. von Gabriel Gafita, Holda Schiller (Übersetzer)
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
11.04.2013
ISBN:
978-3-86394-959-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 488 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Familienleben
Karrierismus, Korruption, Autoritätsmissbrauch, Engstirnigkeit, Diktatur, Zensur, Journalist, Pädagoge
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Die Reinigungskräfte kamen um halb sieben Uhr und schlossen, nachdem sie sich umgezogen und gefrühstückt hatten, gegen halb acht die Tür auf, worauf die wartende Menge den Eingang stürmte. Die Frauen und Männer stießen einander und drängelten, jeder wollte als erster in die große Vorhalle zum Flur gelangen, die im Juli einen so friedlichen Eindruck gemacht hatte, als Filip zum ersten Mal in dieses sein Wahlstädtchen gekommen war, um als frischgebackener Lehrer sein Glück zu versuchen, das Meer mit dem Finger zu erproben, wie er sagte.

Drinnen in der Halle war die bisherige Ordnung der Schlange zwangsläufig durcheinandergeraten, und es begann ein Streit, der ein bis anderthalb Stunden dauerte. Bis Dumitranas Sekretärin kam, zankte sich jeder mit jedem, entweder, um den verlorenen Platz zurückzuerobern, oder, um den neu besetzten zu behalten. Der Kampf um jede Handbreit Boden vor Dumitranas magischer Tür wurde mit Erbitterung ausgetragen, wollte man sich doch den Vorteil sichern, als erster zur Sprechstunde eingelassen zu werden, zu einer Zeit, wo man den Inspektor noch einsichtiger vorfand. Rückten die Uhrzeiger erst auf zwölf, wurde der „General" hungrig und nervös und genehmigte nichts mehr, wie Filip den Äußerungen der Lehrer um ihn herum entnahm. Vom Essen zurückgekehrt, hatte der Inspektor dann meistens das frühere Wohlwollen zurückgewonnen.

Um halb neun etwa erschien Frau Camelia, die Sekretärin des Chefs. Sie bahnte sich den Weg durch die Menge und belegte die Versammelten mit den verschiedenartigsten Adjektiven. Als sie im Vorzimmer verschwunden war, verschloss sie die Tür von innen und rief nur noch von Zeit zu Zeit etwas durch die Füllung. Auf die Zurufe der Wartenden von der anderen Seite der Tür her reagierte sie nicht. Sie blieb ungerührt. Erst kurz vor neun Uhr öffnete sie die Tür und ließ ein paar Lehrer eintreten.

„Also Ruhe bitte und der Reihe nach! Was zum Teufel soll das! Ich mache gleich zu und lasse überhaupt keinen mehr rein."

In dieser Phase des Vordringens zum Büro des Bezirksinspektors hatten die Männer fatalerweise die Priorität errungen. Mit kräftigen Muskeln begabt, machten sie regen Gebrauch davon, benutzten die Ellbogen, boxten die anderen Wartenden zur Seite, um vorwärtszukommen. Eine Frau, eingequetscht zwischen drei Männern, die gleichzeitig durch die Tür wollten, schrie auf. Man teilte großzügig Rippenstöße aus, trat sich gegenseitig auf die Füße. Aus dem Wogen der Menschenmenge ragte zuweilen ein Gesicht heraus, dem das verzweifelte Ringen um den in der Reihe angestrebten Platz abzulesen war, oder auch ein anderes, verspanntes, das im Aufruhr der Masse ergebenes Warten auf Dumitranas Schiedsspruch ausdrückte, besiegelte er doch das Schicksal des Betreffenden zumindest für ein ganzes Jahr. Wenn sich plötzlich eine schrille Stimme fluchend aus der Anonymität heraushob, dann wurde auch gelacht, doch das Drängeln ließ keinen Augenblick nach, man stieß, schob, schubste, um sich der Glastür zum Zimmer des Schulinspektors weitmöglichst zu nähern.

Endlich, nach neun Uhr, kam Dumitrana in einem grauen Pobeda angefahren, der wie eine alte Blechkiste schepperte. Während des Anstehens hatte Filip erfahren, dass dieser Wagen der Anlass zu manchem Stoßseufzer und der stille Gram im Leben des Inspektors war. Wie oft schon hatte auch er einen Dacia beantragt, doch niemand genehmigte ihm das schöne Auto, er musste mit der alten Karre von rattengrauer Farbe und einem Fahrer, der ständig unrasiert und betrunken war, durch den Bezirk kutschen. Später konnte Filip einmal selbst beobachten, wie Dumitranas Pobeda zum Parken hinter das Gebäude der Bezirksleitung geschickt wurde, damit er den schönen Anblick vor dem Haus, wo die schwarzen, noch glänzenden Autos standen, nicht verschandelte.

Als Herr Dumitrana die Lehrer vor seiner Tür Schlange stehen sah, rief er amüsiert und jovial aus: „Was ist denn hier los, Herrschaften? Gibt es etwas Besonderes, weil ihr so zusammengeströmt seid?"

Alle lachten freundlich und gönnten sich eine kleine Atempause im harten Kampf um die Vorherrschaft. Sie machten dem Inspektor Platz, und er ging selbstbewusst und gemessenen Schrittes durch die Menge, überflog die Wartenden mit aufmerksamem Blick, grüßte unbestimmt nickend, als habe er Bekannte mit den Augen ausfindig gemacht und bedenke sie mit einem flüchtigen „guten Morgen". Von der Türschwelle zu seinem Büro aus warf er die Lehrer, die sich den Weg so mühsam ins Vorzimmer gebahnt hatten, aus diesem wieder hinaus, als Begründung Sauerstoffmangel und Lärm anführend und mit weicher Stimme darum bittend, doch Ruhe und Disziplin zu bewahren.

 

Der Winter ist ein anderes Land. von Gabriel Gafita, Holda Schiller (Übersetzer): TextAuszug