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Natürlich hatte er vorher den alten Lehrer noch gesehen. Ein paar Wochen hatte er sich in der Heimat aufgehalten, bevor er mit Sack und Pack in die Kutsche stieg. Nun wurde es schon eine weitere Reise; eine längere Trennung von seiner Familie stand bevor. Es war sein Aufbruch nach dem Süden. Das hier war sein Italien, die Stadt, die sich zwischen lieblichen Höhen an den Strom schmiegt, in einer ihm unbekannten, ungemein reizvollen Landschaft. Parks und Schlösser bot ihm dieses Florenz und eine Vielfalt von Kunst. Um einen Raffael zu sehen, brauchte er nicht Rom. Tizian fand er in Dresden. Nach den Ruinen des römischen Kolosseums stand nicht sein Sinn. Nicht die geborstenen Säulen des Forum Romanum, nicht die verfallenen antiken Tempel wollte er sehen.
Lund hatte ihm in Kopenhagen genug vorgeschwärmt, was für prächtige, für einen angehenden Künstler unerlässliche Dinge ihn jenseits der Alpen erwarteten. Und wenn ers gewollt hätte: Die Trauben hingen zu hoch. Wer hätte ihm jahrelangen Aufenthalt in Italien bezahlt? Es war ihm leid, seinen Leuten länger auf der Tasche zu liegen. Er musste Geld verdienen. Wie konnte er das in römischen Gefilden? Wenn er Antikes wollte, dann musste er sich mit dem Antiken Saal zu Dresden begnügen. Die Mengssche Sammlung im Stallgebäude zeigte Abgüsse klassischer Skulpturen. Er wollte keinen Aufguss der Klassik, er brauchte Landschaft. Die hatte er in natura und in Hülle und Fülle rings um die Stadt. Die fand er auch in der Galerie in den Bildern Claude Lorrains und Ruisdaels. Vor allem aber hatte er hier die besten Leute, von denen er lernen konnte, Landschaft zu malen: Adrian Zingg, Johann Christian Klengel, Johann Philipp Veith.
Quistorp hatte ihm ein paar Hinweise geben können, wie es langgeht, da in Dresden, wo man wohnen könne und essen, an wen man sich halten müsse. Vielleicht hatte er ihm ein kleines Empfehlungsschreiben an jemanden mitgegeben. Geh mal bei Graff vorbei.
Und dennoch war Friedrich nicht schnurstracks nach Dresden gefahren, sondern eine Zeit in Berlin hängengeblieben und hatte da herumgerochen. Vielleicht, weil es näher zum Meere lag. Man war eher in der Heimat. Wenn einem nur der verdammte Norden nicht so anhinge und einen so schwerfällig machte. Indem er nach Dresden ging, sprang er wohl auch über den eigenen Schatten.
Berlin war ihm zu laut, zu streng, zu militärisch, in Berliner Luft konnte er nicht malen. Er packte gar nicht groß aus.
An der Dresdner Akademie ließ er sich eintragen und trabte dann auch tapfer hin. In Dresden begann er dort, wo er in Kopenhagen aufgehört hatte, im Aktsaal.
Seinem Freund Lund schrieb er darüber, wie miserabel er sich anfangs als Zeichner vorgekommen sei, unter aller Kritik (2/217), aber das Blatt hat sich gewendet und mein dritter Akt ist nicht so übel ausgefallen, so dass ich gewiss noch viele unter mir habe .
Das erste Mal in die Dresdner Akademie zu gehen, das war ja auch nicht einfach. Ausführlich schrieb er es seinem Lund, wie sie da vorm Aktsaal standen und einer ihn anging: Sie sind doch wohl der größte Aktzeichner hier. Und nach einer Kunstpause: Ich meine, der längste Aktzeichner Gelächter. Er hatte kräftig zurückgegeben.
Der größte wollte er nicht sein, aber gut in dem, was er machte, und das Höchste in der Kunst anstreben. Er ist der Friedrich aus Schwedisch-Pommern. Die da seinen Namen etwa notierten, also zu Papier brachten, schrieben das nach Gehör und Tradition, und er buchstabierte ihnen das nicht vor.
Den Namen Friedrich gab es die Fülle, vor allem in der Malerei. Da gab es die Caroline Friederike Friedrich, geboren zu Friedrichstadt, die der Kurfürst in Anerkennung ihrer Leistungen zur Pensionärin der Dresdner Akademie ernannt hatte und die gerade dabei war, ihre Allegorie auf den Weltfrieden zu malen. Deren Vater David hatte in der Friedrichstadt eine Werkstatt für Öltapetenmalerei gehabt. David Friedrich. Und da sollte ein Caspar David Friedrich in Dresden seinen Namen durchsetzen. Der eine Bruder dieser malenden Caroline war Geschichtsmaler, der andere hatte erst kürzlich ein Werk herausgegeben. Auf sechsunddreißig gestochenen Platten zeigte er die Anfangsgründe Blumen zu zeichnen und zu malen. Dieser Blumenmaler und Kupferstecher hatte wiederum zwei Söhne, die jetzt freilich noch Kinder waren, aber doch bald ans Malen gehen würden, Papageien und Blumen der eine und Stillleben der andere. Deren Kinder würden wiederum Maler werden. Caspar hieß zum Glück keiner. Es gehörte schon etwas dazu, sich gerade in Dresden in der Malerei mit dem Namen Friedrich zu behaupten. Bisher war der Riese aus Pommern nur der längste Aktzeichner.
Caspar David Friedrich schrieb sich in den Briefen an Lund alles vom Herzen, was ihn in Dresden bedrängte, was er aufzunehmen und zu verarbeiten hatte. In dieser Stadt musste er erst Freunde gewinnen. Also hing er umso mehr an den alten vertrauten. Auch an der Familie natürlich. Manches aus seinem Dresdner Leben wird er nach Greifswald mitgeteilt haben. Aber über diese Anfangszeit ist nichts erhalten geblieben.
Wahrscheinlich war es ganz einfach den Angehörigen nicht wichtig, seine Briefe aufzubewahren; und mit dem Brand des Stammhauses 1901 ist gewiss manch persönliches Zeugnis vernichtet worden. Erst im Jahre 1924 wurde veröffentlicht, was bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch an Briefen an die Geschwister aufzufinden war. Allerhand war über die Jahrzehnte hin in der sich immer mehr verzweigenden Familie vererbt worden, ausgesondert, verbrannt, vernichtet, unnützes Gerümpel in den Augen mancher, die längst nicht mehr Friderich hießen, sondern Sponholz, Pflugradt und so weiter. In einem Leinwandsäckchen hatte einiges überdauert, vergilbte Briefreste, deren Wert und Bedeutung so viele Jahre völlig verkannt worden waren, wie überhaupt das Werk des Malers.
Friedrichs Briefe an Lund sind als Zeugnisse seiner frühen Dresdner Zeit umso wichtiger. Der junge Maler schrieb sie in einer seltsamen Orthografie. Er, der als Halbwüchsiger kalligrafische Blätter mit Sprüchen gestaltet hatte und sich auch im Lateinischen auskannte, bekümmerte sich plötzlich um keinerlei Regel. Ja, es schien ihm Spaß zu bereiten, recht kauderwelsch die Worte aus sich herauszulassen. Und er fügte Satz an Satz, ohne durch einen Punkt oder auch nur einen Zwischenraum zu erkennen zu geben, wo der eine Gedanke endete und der andere anfing. Und was noch an diesen Briefen an Lund auffällt: Er nennt den langjährigen Freund immer noch Sie.