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In Narem hatte ich einen Literaturklub aufgebaut mit einem festen Kern an Teilnehmern. Ich stellte dort Schriftsteller der Weltliteratur vor und holte auch Autoren der DDR zu Lesungen. Als Erich Loests Buch Es geht seinen Gang erschienen war und für Unruhe in den oberen Regionen sorgte, sandte ich ihm eine Einladung in den Literaturklub. Er sagte zu. Meine Einladung war eine Trotzreaktion gegen alle, die bedenkliche Entwicklungen in unserem Land nicht sehen wollten oder das Benennen als feindliche Haltung sahen. Ich schrieb eine Vorankündigung für die Lokalpresse, in der ich auch Erich Loest vorstellte. Der Artikel erschien einige Tage später. Darin war zu lesen, die Veranstaltungen des Literaturklubs seien schon zu einer guten Tradition geworden. Am kommenden Mittwoch fände wieder ein solcher Abend statt. Das Gespräch führe Wolfgang Eckert. Kein Wort vom Gast dieses Abends, Erich Loest! Ich erhielt Anrufe, ob es wahr wäre, dass Loest aus seinem Werk liest? Als ich bejahte, kam die Frage, warum ich das nicht erwähnt hätte. Ich erwiderte, ich hätte das, man habe es nur nicht gedruckt. Da kam meistens ein längeres Schweigen und dann ein bedeutungsvolles Aha!. Ich ärgerte mich über die Fehler, welche solche Ahas hervorriefen. Auf der Suche nach dem Übeltäter verwies mich die Lokalredaktion an die Bezirksredaktion, die Bezirksredaktion an einen Sekretär für Kultur und Bildung der Bezirksleitung der SED. Der führte mich zum Ziel: Es ist der Nachtredakteur gewesen. Damit endete für mich die Nachforschung, wie es sich bei einem Nachtredakteur gehörte, im Zappendusteren. Hell wurde es nur für einige Unterfunktionäre: Sie gerieten in helle Panik. Es wäre vielleicht besser, empfahlen sie mir, Loest zu antworten, im Kreiskulturhaus gäbe es eine Heizungshavarie und die Veranstaltung müsse deshalb leider ausfallen. Ich sagte ihnen, sie könnten das selber tun, die Anschrift Loests hätte ich. Nun wussten sie überhaupt nicht mehr weiter, denn der Kreissekretär befand sich im Urlaub. Sie riefen ihn an. Er soll ihnen geantwortet haben: Der Eckert wird schon wissen, was er macht. Er war ein Mann, der nicht aus Repräsentationsgründen, sondern aus Freude gern ins Theater ging und begeistert Gegenwartsliteratur las, ja, Stellen daraus in seinen Referaten zur kritischen Argumentation verwendete. Solches Verhalten weckt noch heute in mir die schwache Hoffnung, Liebe zur Kunst und Literatur führt vielleicht doch zu vernünftigem Denken bei Politikern.
Ein Oberfunktionär des Bezirkes nahm mich bei einer Tagung beiseite und sagte: Ich habe gehört, Du hast Loest eingeladen. Warum? Weißt Du nicht, was mit ihm ist? Ich habe Loest eingeladen, erwiderte ich, weil mir sein neues Buch gefällt. Da ist ein mittlerer Ingenieur drin, wie ich ihn im Leben kenne. Was soll daran schädlich sein? Du schadest uns nicht, bemerkte er, aber Du nützt uns damit auch nichts.
Derselbe Oberfunktionär schrieb übrigens gleich nach dem Zusammenbruch der DDR Rezensionen in der Presse über Loests Bücher. Ich holte Loest vom Bus ab, der aus Leipzig kam. Meine Einladung in die Wohnung nahm er an. Er machte einen müden Eindruck. Zu Hause bat er mich, sich ein bisschen auf das Sofa legen zu dürfen. Danach besprachen wir den Abend. Ich erzählte ihm von den unliebsamen Vorgängen. Er überlegte und sagte: Ich mache Ihnen keinen Kummer.
Dann erzählte er mir seine Bautzener Geschichte, von der ich bisher nichts gewusst hatte, und von seinen kommenden Vorhaben, die weit kritischer als Es geht seinen Gang schon jetzt in seinem Kopf waren. Er deutete die Möglichkeiten an: Entweder erneut Haft oder Ausreisegenehmigung in den Westen. Ich war ganz schön durcheinander. So eine Geschichte wie die Bautzener hatte ich bisher nicht für möglich gehalten. Es fiel mir schwer, sie in meine einigermaßen geordnete DDR-bürgerliche Gedankenwelt zu fügen. Aber Loests plötzliche Zornesausbrüche zwischendurch in den Gesprächen konnte ich jetzt begreifen. Trotzdem sagte ich ihm, wenn dann eines Tages der Kommentator des Westens Gerhard Löwenthal seinetwegen Krokodilstränen vergösse, könne ich nicht mitweinen. Loest machte keinen Kummer. Der Abend verlief fast normal. Der Raum war gerammelt voll. Es kamen mehr Leute als sonst. Neben den bekannten Gesichtern sah ich viele unbekannte. Loest fragte mich vorher, ob ich wüsste, wo hier die Stasi sitzt. Einige Männer ähnelten von der Statur und vom Alter her Unterleutnant Setzer und Leutnant Tüftler. Soviel Erfahrung besaß ich. Das war aber auch gleich alles.