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Zu seinem Neunzigsten
kommen seine Schüler
fünfundsiebzigjährig.
Alte Männer. Alter Mann.
Verzeiht mir! ruft er.
Bringt eure Abschlusszeugnisse.
Ich mache aus den Fünfen,
die ich euch einst gab,
jedem eine Eins.
Ach, lass mal, sagen sie,
das ändert uns nicht mehr.
Es ist schön, dass wir jetzt
für eine Stunde bei dir
wieder die Schüler sind.
Ein Freund ruft mich am Abend an.
Die Stimme wirkt wie gebrochen,
er selber wie ein alter Mann.
So hat er noch nie gesprochen.
Er sagt, es geht ihm gar nicht gut,
er weiß nun nicht mehr wie weiter.
Zu Asche wurde ihm die Glut,
die Traurigkeit zum Begleiter.
Ich legte in meine Stimme
einen optimistischen Ton
und sagte ihm, solche schlimme
Stunden kenne ich schon.
Er hörte mich stillschweigend an,
als wenn er mich ertrüge.
Wir sagen uns oft dann und wann
eine gut gemeinte Lüge.
Unsere tröstenden Worte
machen uns auch noch stolz darauf.
Die kleinen freundlichen Morde
sind getan. Dann legen wir auf.
Ein Tag vorbei wie im Fluge.
Unter mir liegt meine Zeit.
Am Morgen, da warens noch kluge
Ideen, die mich trieben weit
in den Tag hinein.
Ich wollte ein Werk vollbringen
mit viel Witz und mit viel Kraft,
wollte mein Leben besingen
und habe es nicht geschafft.
Das musste wohl so sein.
Denn meine Nabelbetrachtung,
das Spiel mit meiner Seele,
ist doch nur eine Verfrachtung,
Zeit, die ich mir stehle.
Und sie macht mich klein.
Ach, Schlaf, du verlässlicher Freund.
Du sollst des Todes Bruder sein.
Aber meine Seele, sie streunt
ruhelos immer aus und ein.
Hüllt die Nacht meine Ängste zu
wie eine wärmende Decke,
komm ich auch im Traum nicht zur Ruh.
Ich wache auf und erschrecke.
Mir sind alle Zeichen der Zeit
auf Bedrohungen eingestellt.
Da hilft auch keine Christenheit.
Ich bin erkrankt an dieser Welt.
Die krank sind, erkannten das Leben.
Die Gesunden leben es nur.
Sie können bloß nehmen, nichts geben.
Das Dasein als Erholungskur.
Schlaf, du bist nicht Todes Bruder.
Du trägst mich in ein fernes Land.
Meine Angst zerstiebt zu Puder.
Die Nacht hat sie mir sanft verbannt.