Specials
Firmenlogo
Verlag für E-Books (und Bücher), Handwerks- und Berufszeichen
Sie sind hier: Plötzlich lachte Dr. Bunsen. Zehn Geschichten und ein Nachwort von Wolfgang Eckert: TextAuszug
Plötzlich lachte Dr. Bunsen. Zehn Geschichten und ein Nachwort von Wolfgang Eckert
Format:

Klicken Sie auf das gewünschte Format, um den Titel in den Warenkorb zu legen.

Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
07.12.2022
ISBN:
978-3-96521-808-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 186 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Kurzgeschichten
Belletristik: Humor, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Kurzgeschichten, Humor, Satire, DDR, Hausbau, Schriftsteller, Tauschgeschäfte, Chefarzt, Auto, Kindererziehung, Kaspertheater, Lachen, Referate, Tagungen, Konferenzen
Zahlungspflichtig bestellen

So begab sich Anton Dolbutzer pflichtgemäß zu Kollegen Flämig, von dem er durch die Verzweigtheit der einzelnen Betriebsteile keinerlei Ahnung hatte, eben nur, dass er bisher zehnmal im Theater gewesen war. Anton Dolbutzer kramte in seinem Hinterkopf Bruchstücke über die darstellende Kunst zusammen, die ein Kulturkommissionsmitglied hin und wieder klug bei solchem bevorstehenden Fall in das Gespräch werfen musste. Herr Puntila fiel ihm ein, Wallenstein und eine Matinee, bestehend aus Artistik, Zauberei und einer Hundedressur. Die Sonne stand nun steil über seiner durchschimmernden Kopfhaut und dem groß karierten Cowboyhemd. Aufgeregt transpirierte er ein bisschen.

Der Kollege Flämig empfing ihn tief bewegt, ja, seine Augen wurden sogar feucht. Groß, hager und aufrecht hörte er sich die Glückwünsche an. Man sah, dass Anton Dolbutzer für ihn die Leibhaftigkeit aller leitenden Bereiche des Großbetriebes war. Und Anton Dolbutzer, beflügelt von dieser Wirkung, ließ sich kräftiger als beabsichtigt zu einem nicht endenwollenden Händeschütteln hinreißen. Als hätte der Kollege Flämig durch eine geniale Idee die schriftlichen Erfolgsmeldungen des Betriebes so entwickelt, dass sie auch im volkseigenen Kindergarten zu den Märchenstunden vorgelesen werden konnten.

Der Gast wurde in die Wohnung gebeten. Frau Flämig versorgte die etwas schlaff gewordenen Tulpen mit frischem Wasser. Anton Dolbutzer fiel ihr aufgeschreckt in den Arm, als sie auch den zweiten Strauß aufschneiden wollte. Nein, der wäre für den Genossen Roggenpfuhl!

„Und was machst du, Kollege – Kollege –?“, fragte Flämig.

„Dolbutzer“, beeilte sich Anton Dolbutzer zu sagen, „Dolbutzer aus der Verwaltung.“

Er hatte das Gefühl, Flämig dachte für einige Augenblicke, er sei von Beruf Gratulant.

Frau Flämig brachte zwei Gläser und eine Flasche Kristallklaren. „Sie müssen wissen“, sagte sie, „seit heute früh wartet mein Mann auf diesen Augenblick. Ständig fragte er mich: Hat es nicht eben geklingelt?“

Anton Dolbutzer forschte überrascht, ob in Frau Flämigs Augenwinkeln Spottlust blitzte. Doch sie sah ihn freundlich an, und er beruhigte sich wieder. Er glaubte sogar, bei dem Kollegen Flämig eine gewisse Ähnlichkeit zu erkennen, was das Herabhängen der Schultern betraf. Spontan hob er sein Glas und sagte: „Ich heiße Toni.“

„Willy“, erwiderte der Kollege Flämig feierlich, „aber sie rufen mich alle Will.“

Der Klare kühlte Tonis Kehle und prallte dann heiß auf sein Pflichtgefühl, das sich sofort in Bewegung setzte. „Ich vergaß, dir auch noch zum Theaterjubiläum zu gratulieren.“

Will traf während des Nachgießens die Tischdecke.

„Ich bin doch gar nicht beim Theater.“

„Nicht beim, sondern im“, zwinkerte Toni, „wir haben herausbekommen, du warst zehnmal im Theater. Ja, ja, wir kriegen alles heraus. Ich gratuliere!“

„Mein Gott“, hauchte Will, „das letzte Stück war, glaube ich, Emilia Galotti. Und das noch zu meiner Schulzeit.“

„Aber der Vorsitzende sagte doch, du wärest zehnmal –!“, stammelte Toni.

„Ich hab' die Karten nur genommen“, gestand Will gequält. „Unser A-Ge-El tat mir immer so leid. Und bezahlt waren sie ja! Toni, das kannst du mir glauben, ich schwöre das! Schauspieler wollen auch leben. Versteh mich mal, Toni, ich konnte doch als Leiter –“

„Auch ich war nie im Theater!“, rief Toni erfreut.

Will beugte sich fassungslos nach vorn. „Aber – du bist doch in der Kulturkommission“, flüsterte er.

„Dort bin ich nur, weil ich ein Autogramm Lutz Jahodas besitze“, flüsterte Toni zurück.

„Das ist ja fantastisch“, jauchzte Will, „du interessierst dich also ebenfalls für Sport! Ich hätte beinahe mal von Täve Schur eines bekommen. Aber er fuhr zu schnell vorbei. Im Theater kannst du die Beine nicht ausstrecken, das ist es, Toni, deshalb.“

„Und sie machen jetzt kaum noch Pausen, hab' ich gehört“, erklärte Anton Dolbutzer.

Sie lehnten sich beide erleichtert zurück, und es wurde noch eine schöne Geburtstagsfeier.

Als Anton Dolbutzer zur Haustür geleitet wurde, trug er die Tulpen für den Genossen Roggenpfuhl, als hätte er eine Flasche in der Hand. Grell flimmerten einige Sonnen vor seinen Augen.

„Hier um die Ecke ist eine Bushaltestelle“, sagte Will Flämig, „an der vierten Station aussteigen. Es ist ein Viertel mit Einfamilienhäusern. Dann rechts einhundert Meter zurücklaufen, warte mal – das siebente Haus ist das vom Genossen Roggenpfuhl. Besuche mich wieder, Toni, und ich dank' dir und …“, er legte verschwörerisch den Zeigefinger an die Lippen, „Lutz Jahoda.“

„Täve Schur“, sagte Anton Dolbutzer geheimbündlerisch. Er wippte die Straße entlang. Seine Schultern berührten fast die Ohren.

Der Bus war zum Bersten gefüllt mit Jugendlichen, die trotz der Hitze lange farbige Schals trugen, Trompeten und Rasseln mit sich führten und nach Bier stanken. „Blau-weiß-Rot – schlagt sie tot!“, schrien sie.

Anton Dolbutzer, der keine Ahnung von Fußballleidenschaft hatte, dachte, dass irgendwo wieder ein Rockfestival ausgebrochen war. Er zwängte sich in die stickige Luft des Busses. Mit dem Rücken schützte er die kostbaren Tulpen. Der Lärm verursachte bei ihm als Gegenwehr eine lähmende Müdigkeit. Sein Atem roch nach Schnaps. So unterschied er sich wenigstens nicht in dieser Hinsicht von seinen Mitreisenden. Aber er hätte jetzt lieber auf seinem Sofa ein Nickerchen gemacht oder glücklich versunken vor seiner Kakteensammlung gesessen. Zu beiden Seiten ließen die Häuserreihen nach, und der Blick in die Ferne wurde frei. Anton Dolbutzer zählte krampfhaft die Haltestellen. Bungalowgrundstücke tauchten auf mit Menschen darin, die sich in Swimmingpools tummelten, Rasenmäher wie Kinderwagen vor sich her schoben, die Gartensauna verkleideten, hinter Sichtschutzwänden bräunten: die also alle etwas Wichtiges zu tun hatten. Und er fuhr zu einem Genossen Roggenpfuhl! Diesmal aber nahm er sich vor, die fünffachen volkseigenen Glückwünsche gleich an der Tür loszuwerden, damit er am Kaffeetisch seiner Frau die restlichen Stunden des Sonntags endlich die zweiundfünfzigste Wiederkehr seiner Geburt feiern konnte. Er taumelte an der vierten Haltestelle aus dem Bus, lief auf der rechten Seite zurück, zählte bis sieben und bog in den Kiesweg eines weiß gestrichenen Hauses ein. Hohe Fichten spendeten ihm zum ersten Mal wohltuende Kühle. Er tastete nach dem Glückwunschkuvert, sah an der Beschaffenheit der Tulpen, dass er sich beeilen musste, und stieg die Vortreppe hinauf.

Durch die Glasscheibe der Haustür wurde Anton Dolbutzer bereits gesichtet. Ein Mann, dem anzusehen war, dass er sich irrtümlicherweise in den besten Jahren vermutete, riss die Tür auf und rief: „Ahoi, mein Freund, tritt ein, damit das Haus voll werde, ich bin es schon!“

Plötzlich lachte Dr. Bunsen. Zehn Geschichten und ein Nachwort von Wolfgang Eckert: TextAuszug