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Petermännchen. Der geheimnisvolle Zwerg. von Erika Borchardt, Jürgen Borchardt (Autor)
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
01.01.1994
ISBN:
978-3-86394-032-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 77 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Märchen und Folklore/Land und Ethik, Kinder-und Jugendbuch/Legenden, Mythen, Fabeln/Andere, Kinder-und Jugendbuch/Kurzgeschichten, Kinder-und Jugendbuch/Horror- und Geistergeschichten, Belletristik/Sagen, Belletristik/Kurzgeschichten
Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Kinder/Jugendliche: Märchen, Sagen, Legenden, Kinder/Jugendliche: Horror- und Geistergeschichten, Kinder/Jugendliche: Kurzgeschichten, Mecklenburg-Vorpommern
Schwerin, Petermännchen, Schlossgeist, Schloss, Pfaffenteich, Schweriner See, Poltergeist, Unterirdische Gänge, Prinz, Schatzkammer, Schutzgeist, Großherzog, Sagen, Sagengestalt
6 - 99 Jahre
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Eine Ohrfeige für den Herrn Mundschenk

In Gardemins Kopf nistete die Unruhe. Sie ließ ihn auch diese Nacht nicht schlafen. Was konnte es mit dem Männchen bloß auf sich haben? Ob der Hofnarr vielleicht diesen bösen Scherz mit ihm trieb? Unmöglich! Nie dürfte der wagen, sich einem Herren Kammerlakaien gegenüber so ungebührlich zu betragen, obwohl ... So klein war das Männchen vorhin tatsächlich gewesen. Aber es hatte einen langen, spitzen, bis auf die Brust hängenden Bart, während der Hofzwerg einen kleinen Kinnbart trug. Der liebte auch hohe Hüte, das Männchen aber trug eine flache schwarze Kappe auf dem Kopf. Der Hofzwerg kleidete sich auch auffallend farbenprächtig in ein kurzes, meist mit bunten Bändern besetztes Wams. Und das Männchen? Das hatte bloß einen unscheinbaren, schwarzen Rock an. Ob es die gleichen krummen Beine besaß wie der Hofnarr, hatte er nicht erkennen können, der Rock reichte ja bis auf die Füße. Aber vielleicht hatte sich der Giftzwerg nur verkleidet? Und wenn das Männchen nun doch ein Geist war? Und nur die Gestalt eines Zwerges angenommen hatte? Mit Geistern durfte man nicht spaßen und sie keinesfalls anfassen. Nicht einmal ansprechen war erlaubt! Der Lakai wusste ganz genau, Schreckliches passierte denen, die sich nicht daran hielten. Das hatte er schon oft gehört. Mit Krankheit und Elend, sogar mit dem Tode bestraften die Geister, wer sich ihnen fürwitzig in den Weg stellte. Tage und Wochen vergingen. Zum Erstaunen aller ließ Gardemin den Hofnarren in Ruhe. Und dieser sah auch zu, dass er nicht öfter als nötig in dessen Nähe geriet.

Der Herbst ging ins Land. Die Tage wurden kürzer, die Nächte kühler. In den Spinnstuben erzählten die Mägde Geschichten, während die Spinnräder surrten, vom Wilden Jäger und der Weißen Frau, von Hexen und Kobolden ging die Mär. Manche flüsterten, auch im Schloss spukte es. Niemand vermochte mit Gewissheit zu sagen, von wem er die Kunde vernommen. Ein kleines Männchen von geheimnisvoller Herkunft wäre dort gesehen worden. Es soll doch tatsächlich dem hochnäsigen Kammerlakaien Gardemin vor dessen Augen eine Lammkeule gestohlen haben! Zuvor hätte es ihn mit Blicken gelähmt, so dass ihm alles Blut aus dem Kopf entwichen und er leichenblass und unfähig gewesen wäre, auch nur einen Finger zu rühren. Danach habe er tagelang vor Angst geschlottert, dass man eine Meile weit seine Zähne hat klappern hören. Geschieht ihm ganz recht, sagten sie. Endlich erhält er mal seine Strafe. Wer aber mochte diese Kühnheit besessen haben? Doch wohl nicht der Hofzwerg!? Eine weißhaarige Alte konnte sich dunkel erinnern, von ihrer Muhme vernommen zu haben, dass schon seit grauer Zeit ein Geist das Schloss hüte. Ob er sich nun wieder den Menschen zeige? Sie wusste zu berichten, immer dann, wenn jemand im Schloss Unrecht tat, würde es dort gewaltig rumoren. Auch jetzt hätte man es des Nachts so schrecklich poltern hören, dass keiner ein Auge zutun könnte. „Das war ganz gewiss wieder der Schlossgeist, das könnt ihr mir glauben.“

Die Herren des Hofes trafen sich jetzt wieder früher und häufiger als in den Sommernächten. In einem der gemütlichen Kaminzimmer tranken sie dann ein Gläschen Wein. Manchmal wurden es auch zwei oder deren drei. Nicht selten zechten sie bis weit nach Mitternacht. So konnte es schon mal vorkommen, dass der Wein nicht reichte. Da musste dann der Mundschenk noch einmal in den Keller, um weitere Flaschen zu holen.

*

Es war eine nasskalte, stürmische Novembernacht. Mit sauertöpfischer Miene stand der Mundschenk in angemessener Entfernung zur erlauchten Runde und wartete. Die Herrschaften schienen heute wieder kein Ende zu finden. Wie gewöhnlich bei solch vorgerückter Stunde schenkten sie sich selber ein. In immer kürzeren Zeitabständen waren die Gläser geleert. Manch einer trank schon aus der Flasche.

Gardemin ahnte, was da wieder auf ihn zukäme. Daher seine mürrische Laune. „Geh! Hol Wein!“ wurde er tatsächlich zu mitternächtlicher Stunde angefahren. „Ein bisschen plötzlich! Oder sollen wir dir Beine machen? Und vom Besten! Hast du verstanden?“ Kerzengerade hatte der Mundschenk gestanden. Nun klappte er wie ein Taschenmesser halb zusammen. Eilfertig murmelte er rasch: „Sehr wohl. Ganz zu Diensten. Wie es den Herren beliebt.“ Und untertänigst lächelnd und dienernd verließ er rückwärts den Raum.

Kaum war er aus dem Blickfeld der Herren, da verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse. „Elende Säufer! Ersticken sollen sie an dem Wein!“ fluchte er vor sich hin. Wütend nahm er das Wachslicht und stieg die schmale Wendeltreppe zum Keller hinunter. Nicht genug, dass er mitten in der Nacht und allein durch finstere Gänge musste, obendrein sollte er sich beeilen und trotzdem noch den besten Wein auswählen! Und doch eilte er. Er fürchtete den Unwillen der Herren. Auch wollte er selbst unverzüglich wieder nach oben, ins Helle, unter Menschen. Allein zu sein, und dann noch in den finsteren Kellerräumen, bereitete ihm neuerdings große Pein. Also schnell, nur schnell wieder nach oben!

Die Gänge waren schmal und finster. Der Kerzenschein scheuchte so manche Fledermaus auf, vor denen der ängstliche Gardemin erschreckt zurückwich. In den düsteren Kellergewölben angekommen, hielt er sich nicht lange mit dem Suchen nach einer bestimmten Weinsorte auf. In ihrem Rausch merkten die Herren sowieso nicht, was sie tranken. Deshalb legte der Mundschenk rasch einige der nächst lagernden Flaschen in den Korb, verschloss hinter sich die Kellertür und machte sich eilig auf den Rückweg, immer noch missmutig und übler Laune. Nur flink in den hellerleuchteten Saal zurück und dann so bald wie möglich ins Bett, das war sein einziger Wunsch.

Plötzlich, Gardemin schauderts, dicht vor ihm eine kleine Gestalt. Bebend blickt er auf das unheimliche Wesen. Wie seine Augen sich aber vor Schreck weiten, da hat er die Erleuchtung! Das ist ja der Hofzwerg!

Eine grenzenlose Wut überkommt den Lakaien. Also der narrte ihn. Der hat seine Lammkeule gestohlen! Der hat ihn in Angst und Schrecken versetzt, dass er jämmerlich zitterte wie ein Waschweib!

Oh! Diese lächerliche Verkleidung! Und er wäre jetzt beinahe wieder darauf hereingefallen. So eine Unverschämtheit! So eine, so ein ... Nein! Er findet einfach keine Worte dafür. Und der Kerl macht noch nicht einmal Platz! Stellt sich einfach in den Weg! „Du elende Kreatur! Hab ich dich endlich! Du Wicht, du erbärmlicher! Du elender nichtsnutziger Giftzwerg! Was hast du Scheusal hier im Keller zu suchen? Ekelhafte Kröte! Aus dem Weg! Oder ich schlage dir die Flasche auf deinen Kürbisschädel, dass du Sterne siehst!“ Schon will sich der Mundschenk auf das kleine Männchen stürzen, das vor ihm auf den Stufen der Kellertreppe steht. Bevor er jedoch mit der Weinflasche zuschlagen kann, geschieht das Unerhörte. Das Männchen dreht sich unversehens um, wortlos, und versetzt dem unflätig fluchenden hochmütigen Herren Lakaien eine solche derbe Ohrfeige, dass dieser ohnmächtig auf die Treppenstufen sinkt. Dort bleibt er liegen. Der Zwerg jedoch verschwand. Die Herren, die auf ihren Wein gar zu lange warten mussten, schickten einen anderen Diener danach. Der fand den Mundschenk wie tot daliegend, holte rasch Essigwasser und hielt es ihm unter die Nase. Von dem scharfen Geruch kam Gardemin bald zu sich. Er betastete die schmerzende Wange. Der Diener stützte ihn, während sie die Treppe hinaufstiegen. Wortlos ging er auf sein Zimmer. Noch etliche Tage danach war seine Wange dick angeschwollen.

Wenn er seitdem das Männchen auch nur von weitem sah, versuchte er, einen großen Bogen darum zu machen. Und war das nicht möglich, ging er still und bescheiden vorbei. Nach Jahren, Gardemins Frau hatte es schon aufgegeben, das veränderte Wesen ihres Mannes zu ergründen, da erst erzählte er ihr seine Erlebnisse mit dem kleinen Männchen, flüsternd und stockend. Und er gebot ihr, keiner Menschenseele auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen, solange er lebe.

Aus Scham, dass ihn ein Zwerg geohrfeigt? Aus Furcht, dies wäre doch ein Geist, der die Gestalt eines Zwerges angenommen hatte? Hin und her hatte Gardemin überlegt. Seiner Frau erzählte er nur von einem kleinen Männchen, nichts von einem Geist, aber auch nichts von dem Hofzwerg. Der Hofnarr hatte von nun an seine Ruhe. Überall in der Stadt, in den Spinnstuben der Dörfer und anderswo verbreitete sich von Mund zu Mund, welch erfreuliches Missgeschick dem hochmütigen Kammerlakaien widerfahren wäre. Liebevoll nannten die Leute den geheimnisvollen Zwerg Petermännchen. Sie hielten das mutige kleine Männchen für einen guten Geist. Wenn irgendein Unrecht im Schloss ruchbar wurde und der Bösewicht dafür seine Strafe erhielt, ohne zu wissen, wie ihm geschah, dann, so meinten sie, war es bestimmt der Schlossgeist, der für Gerechtigkeit sorgte.

Bald erzählte man sich auch, dass Petermännchen nicht nur die Bösen bestraft, sondern auch die Guten belohnte.

Niemand zweifelte mehr daran, dass es den Schlossgeist wirklich gäbe.

Petermännchen. Der geheimnisvolle Zwerg. von Erika Borchardt, Jürgen Borchardt (Autor): TextAuszug