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Meldestelle für Bedenken. Geschichten, Satiren und Grotesken von Matthias Biskupek
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
04.05.2021
ISBN:
978-3-96521-445-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 112 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Satire, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Politik, Belletristik/Kurzgeschichten
Belletristik: Humor, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Humor, Satire, DDR, Sächsisch, Sachsen, Reichsbahn, Wohnungspolitik, Künstler, Studenten, Bürokratie, Politik, Kritik, Eingaben, Schriftsteller, Party, Brecht, Johannes R Becher
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Briefwechsel über Bäume

An den

Rat der Stadt

– Abteilung Wohnraumwirtschaft –

Betrifft: Wohnsitz

Auf diesem Wege möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich meinen Wohnsitz in einem der Bäume des Stadtparks zu nehmen wünsche. Ich bitte um die Erteilung der Genehmigung dazu.

Herzliche Grüße

F. Quercks

 

Herrn

F. Quercks

Betrifft: Wohnraumgesuch

Werter Herr Quercks!

Bezug nehmend auf Ihr Schreiben teilen wir Ihnen mit, dass die Bäume des Stadtparks nicht in unser zur Vergabe anstehendes Wohnraumkontingent fallen.

Darüber hinaus möchten wir Sie darauf hinweisen, dass ein Zuzug nur erfolgen kann bei Nachweis eines Arbeitsverhältnisses in einem volkswirtschaftlich wichtigen Betrieb bzw. aus familiären Gründen.

Die Wohnraumzuweisung erfolgt dann über die zuständige betriebliche Stelle.

Mit sozialistischem Gruß

Sitz

Sachbearbeiter

 

Rat der Stadt

Abteilung Stadtwirtschaft

– Ressort Grünanlagen –

Betrifft: Stadtpark

Ich bitte um die Genehmigung, meinen Wohnsitz in einem der Bäume (Baumkrone) des Stadtparks nehmen zu können.

Die zuständige Abteilung Wohnraumwirtschaft sah sich außerstande, mir einen Baum zuzuweisen. Ich bitte, dass Sie sich der Sache annehmen.

Herzliche Grüße

F. Quercks

 

Sehr geehrter Herr Quercks!

Ihre Anfrage wegen eines Baums (Großgrün) in unserem Park haben wir erhalten. Wir sind sehr erfreut, dass sich Bürger für die ständige Verbesserung der Parksituation einsetzen. Unsere Arbeitskräftelage ist derzeit sehr angespannt. Daher sind wir für jeden ehrenamtlichen Mitarbeiter dankbar, der sich tatkräftig für die Belange des Umweltschutzes einsetzt.

Zurzeit sind wir dabei, die persönliche Betreuung der Parkbäume durch die Bürger vollinhaltlich durchzusetzen. Zur persönlichen Betreuung gehören: – regelmäßiges Säubern der Baumscheibe – ständige Untersuchung auf Befall von Schädlingen – Stichproben zur Unterbindung regelwidriger Aktivitäten, die zur Schädigung des Baumes führen können (Beklettern durch Kinder z. B.)

– Sammeln von evtl. anfallenden Nutzfrüchten und Verbringung derselben zur Sammelstelle (bes. Kastanien und Eicheln)

– terminliche Registrierung des baumspezifischen Jahreszyklus (Knosp-, Blüh- und Entlaubungstermin) zur Erstellung eines Baumkatasters

Über weitere Einzelheiten der persönlichen Baumbetreuung würde ich gern mündlich mit Ihnen verhandeln. Selbstverständlich erhalten Sie das Arbeitsgerät von uns gestellt.

Mit sozialistischen Grüßen Minschke

Ressortleiter Grünanlagen

PS: Ihren Scherz, betreffend einen Wohnsitz in einem Baum, haben wir verstanden. Wollen Sie nicht in unserem Karnevalvorbereitungskomitee mitarbeiten? Humor ist eine Hauptschlagader des Sozialismus.

Herzlich M.

Koll. Minschke

Ressortleiter

 

Lieber Herr Minschke!

Haben Sie vielen Dank für Ihr ausführliches Schreiben. Auch ich bin der Meinung, dass Parkbäume besser geschützt werden müssen. Jedoch bitte ich dringend, meinen Wohnsitz auf einem der Parkbäume nehmen zu können. Selbstverständlich bin ich gern bereit, die von Ihnen aufgeführten Arbeiten, soweit dies in meinen Kräften steht, durchzuführen.

Ich grüße Sie ganz herzlich

F. Quercks

 

Koll. Quercks!

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Bäume für private Zwecke, die unseren gesamtgesellschaftlichen Belangen zuwiderlaufen, nicht zur Verfügung gestellt werden.

Ich warne Sie, in Ihrem eigenen Interesse, die Stadtparkbäume zu betreten!

Maria Minschke

Ressortleiter Grünanlagen

Durchschlag an das Volkspolizei-Kreisamt

 

Rat der Stadt

Abteilung Sozialfürsorge

Liebe Genossen!

Es gibt in unserem Staat Gesetze. Gute Gesetze. Und diese Gesetze gelten besonders auf dem Gebiet des Mutterschutzes. Vor geraumer Zeit suchte ich darum nach, meinen Wohnsitz auf einem der Parkbäume nehmen zu können. Leider gab es bürokratische Vorbehalte.

Inzwischen bin ich durch Verkettung von Umständen schwanger. Sollte es wirklich in unserem Staat nicht möglich sein, mir einen Wohnsitz – im Rahmen der Gegebenheiten – zuzuweisen?

Ich weiß um die Probleme der zuständigen Kollegen. Deshalb verlange ich auch lediglich einen gutgewachsenen Baum.

Nach Besichtigung einer Reihe von Parkbäumen fand ich dieselben in gutem Zustand und leer. Somit dürfte bei einigermaßen gutem Willen die Möglichkeit bestehen, mir einen der Bäume als Wohnsitz zuzuweisen. Den Ausbau würde ich, unter Inanspruchnahme der dafür bilanzierten Kontingente, selbst übernehmen.

Es geht nicht nur um mich. Es geht um mehr!

Mit kommunistischem Gruß!

F. Quercks

 

Liebe Frau Quercks!

Wir haben eingehend über Ihr Problem beraten und es zum Gegenstand einer Leitungssitzung gemacht.

Die besondere Fürsorge unseres Staates für alleinstehende Mütter erlaubt uns in Ihrem Fall, schnell und unbürokratisch eine Sonderregelung zu treffen.

Sie werden in Kürze eine angemessene Wohnung bekommen. Wir haben den Bürgermeister persönlich für Ihre Angelegenheit verantwortlich gemacht. Er wird sich umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen.

Mit sozialistischem Gruß!

Das Kollektiv der Abteilung Sozialfürsorge

i.                 A. Kunz

ii.                 

Sehr geehrte Frau Quercks!

Ich bitte Sie zu einem Gespräch am 12. d. M. 7.30 Uhr in mein Büro.

Einziger Tagesordnungspunkt: Schrittweise Verbesserung Ihrer Wohnsituation.

Mit sozialistischem Gruß!

Müller

Bürgermeister

 

Werte Frau Quercks!

Da Sie zu dem vereinbarten Termin nicht zur anberaumten Aussprache erschienen sind, nehme ich an, dass Ihre Wohnungsangelegenheit nunmehr gelöst ist.

Ich wünsche Ihnen und Ihrem Kinde noch viel Glück und persönliches Wohlergehen auf Ihren weiteren Lebenswegen.

Mit sozialistischem Gruß!

Müller

Bürgermeister

 

Koll. Müller

Bürgermeister

Sehr geehrter Herr Bürgermeister!

Selbstverständlich war ich am 12. um 7.30 Uhr vor Ihrem Büro. Es dachte aber niemand daran, mich hereinzubitten. Offenbar war das Gespräch nur als formaler Akt gedacht, durch den Sie eine Eingabe „abrechnen“ wollten. Wenn Sie auf diese Weise gedenken, den Kommunismus aufzubauen, frage ich nur: Mit wem? Genießt nicht besonders eine alleinstehende Mutter alle Rechte? Ihre Handlungsweise muss auch das friedfertigste Wesen auf den Baum treiben!

Da ich meine Entbindung herannahen fühlte, musste ich mir und meinem Nachwuchs auf gesetzwidrige Weise eine Unterkunft beschaffen. Ich wohne jetzt in einer der Parkeichen, rechts des Hauptweges. Nun fragen Sie mich aber nicht, wo ich das Baumaterial hernahm! Wurde ich durch Sie und Ihre unzuständigen Organe nicht geradezu auf einen unlauteren Weg gedrängt?

Inzwischen habe ich mich mit meinen Kindern behaglich eingerichtet. Ich würde Ihnen nicht raten, mich zu vertreiben! Kein Gesetz dieses Landes gibt Ihnen das Recht, eine alleinstehende Mutter mit ihren Kindern auf die Betonstraße zu setzen.

Felindae Quercks

und Kinder

 

Aktennotiz

zur Eingabe

„Wohnsitz der Familie Quercks“

Auf einen entsprechenden Hinweis der Kollegen des Rates der Stadt wurden eine Reihe von Bäumen des Stadtparks von Mitarbeitern der VP durchsucht.

Es wurde nichts Auffälliges festgestellt. Lediglich in der Krone einer Eiche befand sich ein Nest (Kobel) eines Eichhörnchens (Scirius vulgaris).

Aus tierpsychologischen Erwägungen verzichteten die Genossen der VP auf eine eingehende Untersuchung besagten Nestes (Kobel).

Zusatz: Eine Bürgerin Felindae Quercks konnte nicht ermittelt werden.

F. d. R. Sitz (Sachbearbeiter)

Meldestelle für Bedenken. Geschichten, Satiren und Grotesken von Matthias Biskupek: TextAuszug