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Arzt im Atlantik. Ein Brief von Bord von Dietmar Beetz
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
07.12.2014
ISBN:
978-3-95655-167-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 188 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichten vom Meer, Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Familienleben
Abenteuerromane, Familienleben
Schiffsarzt, DDR, Fischtrawler, DDR-Seereederei, Bordleben, Kanada, Fischverarbeitung
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„Oho, der Doc! Und die wasserdichten Hosen an! Willst wohl im Graben baden?“

„Dir werd ich: von wegen Graben …“

Ausführlicher erwidere ich die Anspielung nicht; denn obzwar mir das bootsmännliche Mundwerk und zudem eine gewisse Diskrepanz zwischen angekündigten und tatsächlich ausgeführten Handlungen bekannt sind, bewegt mich die Aussicht, in der nächsten Minute zum ersten Mal die JAKOBSLEITER hinab- und ins Schlauchboot übersteigen zu müssen, einigermaßen: Immerhin soll’s vor nicht mal angegrauter Zeit hin und wieder üblich gewesen sein, bei dieser Gelegenheit einem unbeliebten Fahrgast zu einem unfreiwilligen Vollbad im GRABEN, dem variablen Spalt zwischen Schiffshaut und Schlauchbootwulst, zu verhelfen. Brillenträger, wissen Augenzeugen zu berichten, wurden dabei bevorzugt; und ich trag nun mal so ein Ding auf der Nase.

Plötzlich war es so weit. Fast unmerklich hatten wir an Fahrt verloren und schließlich gestoppt. In vielleicht hundert Meter Entfernung schob sich ein Trawler längsschiffs: die ILMENAU - hell erleuchtet. Der Bootsmann und drei Matrosen verschwanden hinter der Reling; zuvor hatten sie das Schlauchboot vollends zu Wasser gebracht.

So, und nun bin ja wohl ich an der Reihe.

„Na, denn man tau!“, sagt Karlheinz. Er friert augenfällig und hat noch was hinter den Stimmbändern; das will heraus; man merkt es ihm an.

„Und für alle Fälle: Wenn ihr nach Grönland müsst oder nach Kanada - dass du mir wiederkommst; du weißt ja …“

Wie reagiert ein staatsbewusster Bürger auf einen so massiven ANWURF? - Er nimmt erst mal den Fuß vom untersten Relingsstab herab, dreht sich um und schüttelt den Kopf. Und obwohl der nächste Blick erkennt, dass keine Antwort erwartet wird, kann eine möglichst scharfe Erwiderung nicht verkniffen werden.

„Spar dir wenigstens diesmal deinen Spruch! Kinder bleiben nachts im Bett; ich bin aufgestanden, um da drüben zu helfen - also bin ich anscheinend kein Kind mehr.“

„Gut gebellt; hast recht. Na dann: Hals- und Beinbruch!“

Und das werd ich so bald nicht vergessen: die schwankenden Sprossenbretter, die griffigen Zöpfe aus Hanf; den Windstoß, der mir unter die Jacke fuhr; die Schiffshaut vor meiner Nase und auf den Wellen unter mir die huschenden Lichtreflexe ...

Ums noch ein bisschen dramatisch zu machen, sei Dir vor Augen geführt, dass ich den ganzen Abstieg über gewissermaßen zwischen Himmel und Wasser hing, natürlich mehr zum Wasser hin, auf den unteren Sprossen so zwei bis einen halben Meter darüber, je nachdem - an sich keine Positur für die Dauer; da fährst Du Deine Hausbesuche bequemer.

„SPRING!“, schrie der Bootsmann, als die Dünung das Boot in die Nähe meiner Stiefelsohlen gehoben hatte und einen Augenblick lang in dieser Höhe hielt.

Nun denn! Ich sprang, und meine - wie oben beschrieben - reichlich verpackten fünfundachtzig Kilo Lebendgewicht landeten - nicht im Graben, nein, sondern auf vorgesehener Stelle: dem freien Fleck im Zentrum eines Lattenrostes, der außer für meine schätzungsweise für noch drei Paar Sohlenflächen Größe vierundvierzig Platz geboten hätte - Dezimeterarbeit also.

Kaum saß ich, den Rücken krumm, auf dem Backbordwulst, traten die Paddel in Aktion - vergeblich, wie mir zunächst erschien: Noch sekundenlang stand hinter uns die Bordwand, haushoch, neigte sich über uns - eine stürzende Mauer, kippte hintenüber und zog uns, zog uns nach, wuchs erneut und blieb dann doch zurück: Wir hatten uns vom Mutterschiff gelöst, waren, wenn man so will, in den Atlantik hineingeboren: So, nun seht zu, wie ihr zurechtkommt!

Jetzt wären Vergleiche möglich, bei denen ein BALL, eine gewisse Rolle spielt, beziehungsweise mit sich spielen lässt; daraus könnte man aber lediglich wieder mal folgern, wozu Passivität Passagiere verleitet. Zuschauer, meine ich, sollten zuschaun und schweigen; für die Akteure sprechen ohnehin in diesem Fall der Schweiß auf der Stirn und hinterher ein gehöriger Muskelkater.

Rühren wir uns also nicht auf dem Gummiwulst; ziehn wir den Kopf zwischen die Schultern und genießen die Situation! Die ist immerhin für uns erst- und einmalig; heimwärts, schätz ich und weiß ich inzwischen, stehn wir bereits mit der See und dem Wind darüber auf du und du; dann haben wir zwar in uns einen Blickwinkel mehr, dafür aber vor uns ein Erlebnis weniger - c’ est la vie.

„Doc, wie schläft sich’s denn so?“

„Wie …“

Parier mal, wenn’s dir im selben Moment ins Gesicht sprüht und - hoppla! Das eben war aber taktlos; da hat wer gleich ein paar Zähne zugelegt; Fahrstuhl ist dagegen eine Kinderschaukel.

„Haut ran, ’s briest auf!“, rief der Bootsmann.

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