Home
eBook-Shop (nur Verlagstitel)
Links
Warenkorb
An einem Sonntagmittag zog das Leid, wie sonst auch, durch die Lande. Für das Leid gibt es kein freies Wochenende. Es ist immer auf der Suche nach Opfern. Weitab eines Dorfes begegnete ihm ein kleines Bauerngehöft. Das kommt mir bekannt vor, dachte es, woher nur? Ja, dieser Bauer Balthasar hatte schon einmal das Glück um Hilfe beschworen. Es sah sich um, bemerkte aber draußen niemanden. Im Hause saß der Bauer wohl bei Tische und es ging recht fröhlich zu. Der Mann war besonders arm, aber er war eine Frohnatur und so die ganze Familie. Gerade das erweckte bei dem Leide das dringende Gelüste, sich bei dem Bauern für die letzte Niederlage zu rächen. Es trat an das Stallgebäude heran, sah durch das Fenster und überlegte: Eine Kuh für die ganze Familie, das ist wenig.
Nun keimte im Leide der Gedanke, dem Bauern das Letzte, was er für sein Fortkommen hatte, auch noch zu nehmen, seine einzige Kuh. Was das Leid nicht wusste: Die Bauernkinder liebten diese Kuh über alles. Sie kletterten auf ihr herum, streichelten und neckten sie und dem Tiere behagte das auch noch. Umso erbarmungsloser sollte sie das Werk des Leides treffen. Augenblicklich machte es sich ganz, ganz dünn und schlüpfte durch die Gitterstäbe. Ihr müsst wissen, für das Leid gibt es keine verschlossenen Türen, es kommt allerorts hinein. Schließlich zog es ein strenges Kraut aus der Tasche den Stechapfel hielt es vor das Maul des Viehs und murmelte dabei absonderliche Verse:
Ernährer des Hauses du, fleißige Kuh,
dein Leib werde zur Stund ungesund buh, buh, buh.
Liege darnieder, steh nie mehr auf,
nehme das Schicksal seinen Lauf.
Und wahrlich hob die Kuh den Kopf und fraß alles bis auf den letzten Halm.
So nahm tatsächlich das Schicksal seinen Lauf. Bei der Abendfütterung bemerkte der Bauer den besonders dicken Bauch seines Stallbewohners. Zum nächsten Morgen hin war er längst so dick wie früher die ganze Kuh. Jedes Mal, wenn das Leid zur Kontrolle seiner Untaten durch das Fenster schaute, war es zufriedener. Am späten Abende begann die Kuh, Fratzen zu schneiden, warf dabei den Kopf nach hinten und der Bauer hatte Furcht, sie könne sich mit ihren eigenen Hörnern verletzen. Alsbald brachen aus dem Tiere Stimmen heraus. Die hörten sich gequält an. Mal jammerten sie, dann winselten sie und brüllten am Schluss mit unerträglichem Getöse. Zwischen den Schreien waren immer deutlich die Worte zu hören: Ihr Kinderlein, kommt doch herein. Nicht auszudenken, die Kinder wären zu dem wilden Unholde in den Stall gelaufen. Wohl hätte er sie in Stücke gerissen. Aus dieser Sorge verbot der Vater den Kindern, den Stall zu betreten. Sie standen draußen, hörten alles mit an und zitterten bei dem Gedanken, ihr Lieblingstier könnte an dem Bösen verenden. Wenn Ihr nun genau hinschaut, seht Ihr an den Spitzen der Hörner kleine, ganz schwach leuchtende Flammen. Dieses sind die Zeichen, dass hier Kräfte der Unterwelt sich mit Macht regen. Wer aber diese Flammen ausbläst, wird des Teufels schutzlose Beute. Er wird für immer in den schwarzen Schlot der Finsternis gesogen. Viel derber konnte es wohl nicht kommen. Und doch konnte es dies.
Immer schlimmer wurden die Grimassen und Schreie des Viehs. In seinem Bauch gluckste es laut und die Haare des Felles standen steil nach oben. Aus den Nüstern blies es übel riechende Wolken wie von Schwefeldampf. Der Bauer raufte sich die Haare und fragte, warum ihm dieses Leid geschehe.
Ist denn wohl der Teufel in seine Kuh gefahren? Er lief hinaus auf sein Feld und rief in die Winde: Glück, liebes Glück, Du hast mir schon einmal geholfen. Hilf bitte auch gegenwärtig.
Das Glück saß gerade bei einem Kaffeepott. Es war dabei, kurz zu verschnaufen, hörte aber dennoch das Klagen des Landmannes. Noch einen kräftigen Schluck und es war wieder auf den Beinen, in Richtung Bauernhof. Von Weitem schon hörte es das Brüllen des gequälten Getiers. Es musste nicht lange überlegen, wer dort wohl seine Hand im Spiele hatte. Schon aus dieser Ahnung heraus hatte das Glück eine kleine Flasche mitgebracht und den festen Vorsatz, das Leid aus dem Felde zu schlagen. In der Flasche war ein klebriger Trank aus Kuhkraut, Donnerlauch und Gruserich. Alles in einer Vollmondnacht gesammelt und in der Johannisnacht zu einer dicken Brühe verkocht. Das Glück gab nun die Anweisung, das verhexte Rind am Halse recht stramm mit Stricken zu binden. Dasselbe diente dem Schutze der Kuh vor dem in sie gefahrenen Quälgeist. Und ihr dürft es glauben, selbst dem Glücke war bei seiner Verrichtung in der Dunkelheit des Stalles nicht besonders wohl zumute. Kaum war die Fesselung vollzogen, begann es, den Inhalt der Flasche in den Schlund des Getiers zu schütten. Und es sprach dazu:
Des Leides Flüche treibe aus,
all Schmerz und Gram aus diesem Haus.
Bring Segen und Gesundheit her,
keine Krankheit nimmermehr!
Das verhexte Wesen versuchte, sich aufzubäumen und loszureißen. Nichts war zu machen, die Seile waren zu fest. Als die Flasche leer war, befahl das Glück den Bauersleuten, sich schlafen zu legen und den nächsten Morgen abzuwarten. Beizeiten, die Sonne war kaum zu sehen, wachten die Kinder auf. Ihr erster und recht ängstlicher Weg führte sie in den Stall. Damit handelten sie zwar gegen das ausdrückliche väterliche Verbot, aber sie konnten eben keine weitere Geduld aufbringen.
Dort nun endlich fanden sie ihre liebe Kuh, die freundlich um sich blickte, und ihr dicker Bauch war gewichen. Alles war wieder so, wie es sich wohl jeder gewünscht hatte. Die Kleinen liefen in das Haus, sprangen in die Ehebetten und jedes Einzelne redete so hastig und durcheinander, dass es lange dauerte, bis die Landleute begriffen hatten.
Durch das Glück hatte sich alles zum Guten gewendet und die Sonne schien, schön wie schon lange nicht, über die Felder, die Wiesen und das Gehöft.