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Thaddäus und seine Geigen von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
1.99 €
Veröffentl.:
01.08.2024
ISBN:
978-3-68912-104-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 42 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Älterwerden
Historische Liebesromane, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Liebe und Beziehungen, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Tod, Trauer, Verlust, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Drama, E-Book, Erinnerungen, Erzählung, Friedrich Wolf, Geigen, Italien, Kunst, Lebensgeschichte, Lehrer, Leidenschaft, Liebe, Literatur, Melancholie, Musik, Nostalgie, Schmerz, Schulmeister, Thaddäus, Tod
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Eines Samstags musste er zu einem Arbeitervortrag in die Stadt. Sie waren zwei Freunde und eine Frau. Natürlich versäumten sie den Zug. Sie liefen in der Sonne. Es ging über Schotterwege, Bahndämme, Moorstege und zuletzt den „langen Jammer“ entlang. Thaddäus war seit Wochen nicht mehr gelaufen. Ihm ward ganz froh und frei zumute. Er hatte die Ahorngeige mit; darauf spielte er alles herunter, wie es ihm gerade vor den Strich kam, vom Kesselflickerlied bis zum „alleinigen Trost“. Der Kamerad neben ihm lief barfuß; er hinkte, und seine Zehen bluteten. Aber er zog keine Schuhe an, weil der Schmerz läutere und jede Beherrschung einer späteren Freiheit entspreche. „Das ist ein sauberer Handel“, meinte Thaddäus, „eine Art Fußvorschussbeichte; man bestraft seine Füße, damit Hand und Mund demnächst rechtmäßig sich vergehen können.“ Und plötzlich musste er an den Wallenstein und sein eigen Leben denken; und er wunderte sich, wie weit er gelaufen, wie viel steinige und dunkle Wege, und wie wenig Reue er empfunden. Da ward ihm ganz wunderlich und schwerelos, er tat einen richtigen Luftsprung; und nun fiedelte der ehrsame Schulmeister das gottverbotene Vanitas Vanitatum. Dabei machte er lauter Zickzacksprünge über die Provinziallandstraße, die da heißt „der lange Jammer“. Der Kamerad aber predigte unentwegt von den vorbeugenden Wundern des Schmerzes. Seine Frau suchte es ihm gleichzutun, ward jedoch durch einen schlecht sitzenden Krampfaderstrumpf aufs schnödeste daran gehindert. So kamen die drei in die Stadt.

Thaddäus hatte über Zinsrechnung vorzutragen und über niedere Zahlenreihen. In der Aula saßen etwa zwanzig Arbeiter, einige Fortbildungsschüler, die als Auslandspropaganda eines hungerblockierten Landes dienen konnten, zwei runde glatzköpfige Lehrer und vier Lehrerinnen. Die hinteren Gasflammen konnten gelöscht werden. Thaddäus redete das Blaue vom Himmel herunter. Er hatte mit den geometrischen Reihen begonnen; aber nun sprach er von Achtmonatskindern, vom ewigen Kalender und von dem bevorstehenden Zusammenstoß der Erde mit einem Sternkörper im Nebel der Andromeda. Eine Lehrerin musste sofort hinausgetragen werden, zwei andere entwichen; die vierte hingegen erbat seine Anschrift zwecks brieflichen Gedankenaustausches. Er hatte noch die Geistesgegenwart, eine falsche Adresse zu nennen. Dann wurde eine Ortsgruppe gegründet.

Thaddäus saß wie auf glühenden Kohlen; endlich war er draußen. Um Mitternacht fuhr der Zug. Aber auch der Zug fuhr zu langsam. An der nächsten Halte stieg Thaddäus aus, als ginge es schneller, wenn er zu Fuß liefe. Es war die Zeit der weißen Nächte, die erste Stunde nach Mitternacht. Die Sonne stand im Norden unter dem Horizont. Ein grüngelber Lichtkegel zeichnete die ganze Nacht ihren Weg und wanderte langsam gen Osten. Noch aber war Nacht. Noch lag das Land in tiefem Schlummer. Die Kühe ruhten käuend am Weg wie Steine. Die Moorwässer glucksten. Eine Eule wischte in Haupteshöhe fast lautlos. Es war so feierlich. Solch eine tiefe Freude, solch mächtiger Einklang mit dem Leben, dass vor Dankbarkeit das Herz laut wurde:

 

Thaddäus und seine Geigen von Friedrich Wolf: TextAuszug