Specials
Firmenlogo
Verlag für E-Books (und Bücher), Handwerks- und Berufszeichen
Sie sind hier: Der Sprung durch den Tod von Friedrich Wolf: TextAuszug
Der Sprung durch den Tod von Friedrich Wolf
Format:

Klicken Sie auf das gewünschte Format, um den Titel in den Warenkorb zu legen.

Preis E-Book:
2.99 €
Veröffentl.:
01.08.2024
ISBN:
978-3-68912-100-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 95 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Psychologisch, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Tod, Trauer, Verlust, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Seelenleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik
Erinnerungen, Erster Weltkrieg, Freundschaft, Frontalltag, Heldenmut, Kriegserlebnis, Kriegsgeschichte, Kriegstrauma, Literaturklassiker, Menschlichkeit, Naturbilder, Opfermut, Reflexion, Seelenfrieden, Sinnsuche, Soldatenleben, Tod, Tragik, Überleben, Verlust
Zahlungspflichtig bestellen

Da schreckt mich ein Schrei empor, ein Schreilein, ein deutlicher zwerghafter Todesschrei, und nochmals, ich fahre auf die Knie: Vor mir hat eine große Natter einen Frosch am Vorderbein gepackt, umringelt mit mörderischer Umschlingung seinen Bauch und beginnt mit ihrem Leib nachschiebend langsam und unaufhaltsam das andere Froschbein und den Kopf zu schlingen. Immer noch zappelt, quackt, ja schreit der Frosch wie ein Erstickender, es ist satanisch, bannend, das Blut erstarrt, aber man muss hinsehen, ohne sich zu rühren; schließlich hat ihn die graue Schlange ganz, das Zappeln lässt nach, die Hinterbeine strecken sich im Todeskrampf, sein Kopf ist in den riesig gedehnten Natternrachen hineingestopft … ein Klatsch! Als ob man einen nassen Sack aufs Wasser schlägt. Ein Blindgänger von ferner Fliegerbeschießung saust in flacher Kurve bei uns ins Erdreich.

Mir schwindelt; träume ich, ich reibe mein Auge … da liegt der Frosch, wischt sich mit dem Hinterbein den Schädel, bläht sich, quackt einmal ärgerlich über die unbegreifliche Belästigung und hüpft in flachen Sätzen ins dichte Gras. Und vor mir liegt die Natter tot. Und neben ihr, unter ihr liegen vier weiße, glatte Haselnüsse, vier weiße Schlangeneier, eben im Luftdruck der Granate und Todeskrampf der Mutter geboren.

Gottesurteil! spricht der Mensch, bemüht, alle Begebnisse im Hauptbuch des Lebens mit Soll und Haben zur Deckung zu bringen; Gottesurteil! und er springt empor und hebt – selbst ein Gott – den Fuß, die Schlangenbrut mit einem Tritt zu zermalmen. Aber da liegen die vier Eilein so sauber und weiß, und die große Sonne scheint so mütterlich an ihre dünne Schale, dass der Gottmensch schwach wird und die Wolke seines Schicksalsbeines wieder sinken lässt. Da liegen die vier Natterlein, und die Sonne brütet an ihnen.

Der Mensch aber ging dahin, nachdenklichen Hauptes, durch die blühende Landschaft, an deren Rande der Geschützwirbel rollte und in deren Schoße Frösche, Schlangen und Erinnerungen sorglos und begierig um ihren Platz rangen.

 

Am Nachmittag erreichte mich der Befehl, die „Gruppe Süd“, südwestlich Langemarck, als vorgeschobenen Verbandplatz einzurichten und zu besetzen; ein Gefechtsstand der Artillerie, Paulus war dort. Ich hieß Hattlieb, meinen Sanitätssergeanten, sich sogleich fertig machen. In einer Stunde fuhren wir auf unserem Dogcart gen Poelcapelle. Aber schon hinter dem Dorf kam die erste Abreibung, das Pferd bäumte im Feuer, der Wagen schmiss um, ich schickte ihn mit einer Kolonne heim.

Den Rucksack geschultert, Verbandtasche und Maske an der Seite, die Mütze im Nacken, so zogen wir los, Hattlieb und ich, fast wie im Frieden. Den festen Boden unter den Füßen, fühlten wir uns frisch und leicht; wir hatten die Straße satt und schlugen querfeldein. Wir schritten langsam und ruhig unseres Wegs und hielten den Schattenriss von Langemarck mit dem gekappten Kirchturm und den zerfetzten Pappeln am Ostrand im Auge. Es war fast still in dieser Zone, der Blick endlos, die Bodenwellen sacht, die Überschneidungen haarscharf, Kimme an Kimme; dort, wo unsere vordere Linie sein musste, stand eine dicke Staubwand. Die Erde dampfte vor Glut. Ganz leise bebte der Boden, pausenlos. In sorglosem Schreiten genossen wir unser Dasein. Meine Gedanken eilten voraus zu Paulus, dem ich einen Pack Fragen und Neuigkeiten mitgebracht. Zwischendurch kreuzten hemmungslos und spielend hundert andere Dinge: „Hattlieb, hast du Brot? Tetanus? Sind die Bücher abgeschlossen? Selbstverständlich ist das nötig! Daran denkt man nicht? Gib acht, Freundchen!“ Nun rissen die Gedanken wieder aus. Wie schade, dass ich vergessen, den Gilgamesch einzustecken! Dennoch, wir werden ihn lesen, in zwei Wochen im rollenden Zug, auf Urlaub dampfend! Federleicht war der Geist, als zöge man wie einst nach dem Kolleg mit Stock und Sack am strahlenden Samstagnachmittag ins Blaue.

So stiefelten auch wir in den Tag.

Es galt, mehr links zu halten, durch eine ausgeräucherte Langrohrbatterie: die Schanzen gebrochen, die Hürden verkohlt, die Kartuschen ausgebrannt noch in den Körben; der Boden war rot, dick, eine rote Kruste; wir sprangen hinüber, aber die Wolkenschifflein der Gedanken kehrten nicht wieder. Dann kreuzten wir unsere zweite Linie und standen auf der Heerstraße östlich Langemarck!

Eine Hölle, ein Backofen von Glut und glühendem Staub! Pausenlos wurde es in Grund und Boden gehämmert. Ein einziger Wirbel drehte über dem Trümmerhaufen. Hindurch; wir blickten noch einmal zurück und bestaunten die riesige, feuerspeiende Wolke.

Der Sprung durch den Tod von Friedrich Wolf: TextAuszug