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Bittere Feldpost. Sketchs von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
06.09.2024
ISBN:
978-3-68912-206-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 76 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg
Familienschicksal, Feldpost, Frontbriefe, Heimatfront, Historisches Drama, Hoffnung, Krieg und Familie, Kriegsdrama, Kriegstrauma, Lebenserfahrung, Menschlichkeit, Schicksal, Sehnsucht, Soldatenschicksal, Überleben, Überlebenskampf, Unmenschlichkeit des Krieges, Verlust, Zeitgeschichte, Zivilcourage, Zweiter Weltkrieg
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Das Rezept

Sprechzimmer des Dr. Barth. – Frau Höppner, eine junge Frau mit ihrem Töchterchen Gretl, und ihr Mann, ein Kriegsblinder

 

Dr. BARTH: Also vor Smolensk haben Sie Ihren Kopfschuss bekommen, Herr Höppner? Rechts herein und links heraus, da haben Sie ja noch mächtig Dusel gehabt!

HÖPPNER schweigt.

Dr. BARTH: Und das Eiserne Kreuz haben Sie auch, alle Achtung! Wie war’s denn so vor Moskau? Erzählen Sie doch mal ’n bisschen, Höppner!

HÖPPNER: Ich habe nichts von Moskau gesehen, Herr Doktor; mir verging da Hören und Sehen.

Dr. BARTH: Na, so hab ich’s ja nicht gemeint, Höppner. Sie wissen ja, für Kriegsblinde und deren Angehörige wird besonders gesorgt.

HÖPPNER: Deshalb bin ich auch mitgekommen mit meiner Gretl. Sie sagen, Herr Doktor, die Kleine hat’s auf der Lunge?

Dr. BARTH: Na ja, so ein bisschen, wenn man genau hinhört, ein kleiner trockner Katarrh.

FRAU HÖPPNER: Aber den hat sie jetzt schon vom Herbst an, Herr Doktor.

Dr. BARTH: Etwas chronisch ist er geworden, das stimmt; aber man muss auch nicht auf jedes kleine Hüstchen achten.

FRAU HÖPPNER: Bei meiner Nachbarin ihrer kleinen Elfriede hat man auch nicht darauf geachtet, erst so ein Hüstchen und immer heiße Händchen, dann lag die kleine Göre zwei Monate und hat Blut gespuckt, und dann hat man sie in einem Holzkistchen weggeschafft! Verzweifelt. Herr Doktor, so soll’s der Gretl nicht gehn!

Dr. BARTH: Na, na, Frau Höppner, so weit sind wir noch lange nicht. Komm mal her zu mir, Gretl, so, siehst du … na, bisschen mager ist schon das kleine Haserl, da kann man ja alle Rippen zählen … hm, das faucht ja nicht schlecht in dem kleinen Blasebalg, müssen doch mal was aufschreiben. Nimmt seinen Rezeptblock und schreibt.

HÖPPNER: Was schreiben Sie da, Herr Doktor?

Dr. BARTH: Etwas gegen den Husten.

HÖPPNER: Und was, bitte?

Dr. BARTH: Ipecacuanha-infus mit etwas Dionin; aber das verstehen Sie ja doch nicht, Höppner.

HÖPPNER mit Nerven: Stimmt, Herr Doktor, das verstehe ich nicht, weil das nämlich ein falsches Rezept ist.

Dr. BARTH: Na, erlauben Sie mal! Schließlich bin ich der Arzt!

HÖPPNER: Sie sind ein Arzt, Herr Doktor, und doch kein Arzt.

Dr. BARTH: Hören Sie mal, Höppner, wenn Sie unverschämt werden! Glauben Sie, weil Sie Kriegsblinder sind …

HÖPPNER: Weil ich der Vater meines kleinen Mädels bin und weil ich als Blinder mein Kind zwar nicht mehr sehen kann, dafür aber ist mein Ohr um so feiner geworden, und da hörte ich in den Lazaretten Tag und Nacht immer das Stöhnen und Ächzen der Verwundeten, da wusste ich genau an jedem Geräusch, das aus einer Menschenbrust kam, wie es um den Menschen steht – Übung, Herr Doktor! Wie habe ich mich fortgesehnt, weit weg von diesen Geräuschen, in mein ruhiges Zimmer zu meinem Weib und meinem Kind! Und jetzt höre ich auch hier die Geräusche, immer diese Geräusche, auch bei der Gretl!

Dr. BARTH: Nerven, Höppner, nehmen Sie sich zusammen! Ein Mann mit dem Eisernen Kreuz …

HÖPPNER: Wollen Sie es haben, Herr Doktor? Hier … Er reißt es herunter; nehmen Sie es als Honorar für ein richtiges Rezept! Schreiben Sie ein richtiges Rezept für das Kind, Herr Doktor!

Dr. BARTH: Und was soll ich denn da schreiben?

HÖPPNER: Also schreiben Sie – Frau gib acht, ob er’s auch schreibt! – schreiben Sie, Doktor: Für die sechsjährige Gretl Höppner wegen Unterernährung und Lungenleiden täglich 1/2 Liter Milch, wöchentlich 1/2 Pfund Butter.

Dr. BARTH: Das ist doch unmöglich, das gibt es doch einfach nicht.

HÖPPNER: Das gibt es, Herr Doktor! Sehen Sie sich bloß unsern Herrn Luftminister Göring an, den die Landser „Deutschlands letzte Fettreserve“ nennen, oder den dicken Dr. Ley von der Deutschen Arbeitsfront, glauben Sie, die essen weniger als ein halbes Pfund Butter die Woche?

Dr. BARTH: Sie sind toll, Höppner; das darf ich nicht länger mitanhören!

FRAU HÖPPNER: Aber den Husten meiner Gretl, den können Sie sich anhören.

Dr. BARTH: Was glauben Sie, Frau Höppner, müssen wir Ärzte uns heute alles anhören und mit ansehen? Haben Sie eine Ahnung! Die Lazarette überfüllt mit Verwundeten und Krüppeln, die Isolierbaracken mit Flecktyphus überbelegt, Kinderlähmung und Diphtherie wüten im Land, Rachitis und Tuberkulose nehmen von Tag zu Tag zu, es fehlt an Ärzten, an Nahrungsmitteln …

FRAU HÖPPNER: Und das soll nun immer so weitergehn?

Dr. BARTH: Wie wollen Sie das ändern?

HÖPPNER: Schreiben Sie das Rezept, Herr Doktor! Schreiben Sie hier für die Gretl 1/2 Liter Milch täglich und 1/2 Pfund Butter wöchentlich; schreiben Sie!

Dr. BARTH: Und wenn ich’s schreibe, wie werden Sie’s bekommen?

HÖPPNER: Meine Sorge, Herr Doktor! Ich werd nicht lockerlassen, verlassen Sie sich darauf! Ich weiß, was los ist! Jeden Tag werden Tausende deutscher Jungens an der Front zu Krüppeln geschossen, Hunderte verlieren täglich ihr Augenlicht, ich weiß, was das heißt, Herr Doktor! Es ist schade um jeden Tag! Man muss anfangen, Herr Doktor; jeder muss anfangen, dass dieser gottverdammte Krieg zu Ende geht! Jeder muss da an seiner Stelle anfangen!

Dr. BARTH: Deshalb soll ich das Butter- und Milchrezept schreiben?

HÖPPNER: Deshalb.

Dr. BARTH: Aber wenn …

HÖPPNER: Sagen Sie nicht „wenn“, Herr Doktor! Ich weiß, dieses Rezept zu schreiben, von dem morgen die halbe Stadt sprechen wird, dazu gehört mehr Mut, als gegen ein Maschinengewehrnest anzurennen.

Dr. BARTH: Und Sie glauben, es nützt?

HÖPPNER: Es nützt, Herr Doktor, es nützt der Gretl, Ihnen und uns.

Dr. BARTH schreibt: Da haben Sie Ihr Rezept!

Bittere Feldpost. Sketchs von Friedrich Wolf: TextAuszug