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Der Russenpelz. Eine Erzählung aus Deutschland 1941-42 von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
07.08.2024
ISBN:
978-3-68912-174-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 358 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg
Arbeitermilieu, Deutsche Industrie, Drama, Einsamkeit, Familie, Familienkonflikte, Familienleben, Fischfang, Flucht, Frauen im Krieg, Frontsoldaten, Geheimnisse, Gestapo, Hafenstadt, Heimatfront, Heimkehr, Hoffnung, Intrigen, Kriegsfolgen, Kriegspropaganda, Kriegsrealität, Kriegstrauma, Liebe, Manipulation, Menschliche Schicksale, Menschlichkeit, Moral, Mut, Nationalsozialismus, Nazi-Bürokratie, Nazi-Terror, Niederrhein, Pflicht, Propaganda, Resilienz, Sabotage, Schicksal, SS-Offizier, Tragödie, Transportarbeiter, Überleben, Überlebenskampf, Verlust, Verrat, Verwundung, Verzweiflung, Wahrheit, Widerstand, Zivilcourage, Zweiter Weltkrieg
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In der Kistenfabrik, wo Lisbeth arbeitet, war bloß eine offizielle Feier mit einer Ansprache des Betriebsführers und Absingen einiger Lieder. Das alles war schon gegen 10 Uhr beendet.

Die Lisbeth und der Ferd hätten gleich an ihre Arbeit gehen können. Aber der Ferd riet, lieber noch bis nach Mitternacht zu warten. Dann habe der Alkohol bei der „Rhenania“ und bei vielen am Hafen gelegenen ähnlichen Betrieben seine Wirkung getan. Die Posten am Quai und die Mannschaft der Wachtboote auf dem Rhein hätten heute Abend bestimmt auch nicht von Zichorienkaffee gelebt.

In einem der großen leer stehenden Fischkästen am Ufer hat der Ferd einen schweren Sack deponiert. Darin ist eine Gusseisenbombe mit Wasserstoffgas, so wie es die Metallarbeiter als Knallgebläse zum autogenen Schweißen benutzen. Dieses leichteste aller Gase dient aber auch zum Füllen von Luftballons. Die beiden laden diesen Sack und noch einen kleineren, leichten mit Ballonhüllen von irgendwoher aus den Krefelder Seidenfabriken in den Nachen.

Es ist fast ein Uhr. Eine der wenigen trockenen Frühlingsnächte am Niederrhein.

„Wir haben mächtigen Dusel, dass es heute nicht regnet; sonst kämen unsre Wölkchen nicht weit.“

„Wenn du dabei bist, Ferd, klappt’s immer!“

„Mach schnell, Lis!“

Lautlos stößt der Nachen vom Ufer. Die Lisbeth rudert ihn hart um die Krippen stromaufwärts. Nachher, wenn die Ballons steigen, muss der Nachen mitten im Strom liegen und geräuschlos ohne Ruder treiben. Das Gas bläht die Hüllen der kleinen Ballons. Jeder Ballon wird an einem Faden an der vorderen Ruderbank angebunden; oben an die Ballonschnute kommen vierzig bis fünfzig kleine Flugblätter, auf Zigarettenpapier getippt:

 

Deutsche Männer und Frauen!

Wie lange noch soll dieser mörderische Krieg dauern? Soll wirklich der letzte unsrer Söhne auf den endlosen Schlachtfeldern Russlands verbluten? Willst du, deutscher Arbeiter, etwa in den fernen Erzgruben des Ural arbeiten? Willst du, deutscher Bauer, in der Ukraine jemals die Felder bestellen, auf die schon jetzt die ostpreußischen Junker spekulieren? Für wen also werden Millionen deutscher Söhne geopfert? Für die, welche an diesem Krieg interessiert sind, für die Kriegsgewinnler und Kriegsspekulanten, für die Junker, die Nazifabrikanten und ihre Helfershelfer, für Hitler und seine Hintermänner! Das deutsche Volk aber braucht keinen Krieg! Das deutsche Volk braucht keine Millionen Witwen und Waisen! Schluss mit dem Krieg! Schluss mit Hitler und seiner Kriegstreiberbande!

 

Weit ausholend, doch lautlos, zieht die Lisbeth die Riemen durch das Wasser. Ab und zu tanzt ein Reflex von dem Schein, den die Hochöfen an die Wolken werfen, auf dem schwarzen Strom. Dann beugen sich die beiden tief hinter den Rand des Nachens. Der Wind steht günstig. Der Westnordwest, der vom holländischen Tiefland herüberbläst, wird die Ballons mitten ins Ruhrgebiet und ins Wuppertal treiben. Sie werden fünfzig bis hundert Kilometer weit gelangen. Heut früh werden die Kumpels des Ruhrbeckens und des „Pütts“ diesen Geburtstagsgruß an den Führer finden. Sie werden erkennen: Wir sind noch da! Wir haben den Kampf nicht aufgegeben! Wir verstärken den Kampf! Das kommende Deutschland beginnt zu atmen!

Auch die Lisbeth hat wohl darüber nachgedacht. „Die werden heut früh Augen machen, Ferd, die in Dortmund und Essen, in Wuppertal, Remscheid und Solingen, in Mülheim, Bottrop, Gelsenkirchen und überall im Pütt, wenn die zur Arbeit gehn!“

„Es wird vielleicht wieder Leben kommen ins Land!“, erwidert der Ferd.

Der Russenpelz. Eine Erzählung aus Deutschland 1941-42 von Friedrich Wolf: TextAuszug