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Koritke. Ein Schauspiel von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
20.12.2024
ISBN:
978-3-68912-411-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 186 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben
Historische Abenteuerromane, Familienleben, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales
Arbeiterfamilie, Arbeiterklasse, Athlet, Beruf und Berufung, Drama, Emanzipation, Familie, Gesellschaft, Gesellschaftsdrama, Glanz, Hoffnung, Industrialisierung, Jugendambitionen, Kampf, Kulturelle Erwartungen, Künstlertum, Leidenschaft, Liebe, Moral, Mut, Proletariat, Scheitern, Schicksal, Schuld, Selbstbestimmung, Sozialer Aufstieg, Sozialkritik, Träume und Realität, Überlebenswille, Vater-Tochter-Beziehung, Verantwortung, Vergebung, Verrat
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Portierraum in einem Souterrain. An der Hinterwand breites niederes Fenster mit Gitterschutz. Links erhöhter Eingang. Dort in der Ecke Nähmaschine mit Stapel Trikothemden. Unter dem Fenster ein Sofa, weiter ein weiß lackiertes Bett; an der rechten Wand tiefer Alkoven mit Bett und Vorhang. Verschiedene etwas vergilbte Plakate mit dem Bild eines Muskelriesen, der die Arme auf der Brust gekreuzt hat: Preisringer Koritke. – Die Koritkin, dreißigjährig, dunkel, kräftig, sitzt an der Nähmaschine. In dem weißen Bett wirft sich ein junges Geschöpf unruhig umher. Es ist Nacht. Links brennt ein Licht.

 

MIA im Traum: Sie spinnen wohl komplett, mein Herr … hier sehen Sie doch: a2 + 2ab + b2 oder in arithmetischer Progression … ja glauben Sie, weil wir unter dem Straßenpflaster wohnen, müssen wir muffig und blöde sein … haha, kein Schein … schauen Sie mich nicht so an, ich tanze die Spagnola nach meinem Gusto. Singend.

 

„Le Spagnole s’amar’ cosi,

Bocca al e’bocca le nott’ e di,

Stretti … stretti …“

 

Mit wiegendem, schlaftrunkenem Körper halb aus dem Bett, starrt auf Koritkin.

 

KORITKIN nähend: Lernst das auch auf der Handelsschule?

MIA auf dem Bettrand sitzend; sie ist ein siebzehnjähriges, schlankes, rotblondes Geschöpf, sie dehnt sich, reibt sich die Augen, springt dann auf: Ist’s Zeit, Mutter?

KORITKIN: Dusselchen, ’s ist erst eins.

MIA nach dem Alkoven: Ist Vater nicht da?

KORITKIN immer nähend: Kannst auch fragen! Ist Vater je vor zwei oder drei zu Hause? Sei froh, dass er die Kellnerstelle gefunden und Pinke bringt!

MIA: Jaja … aber doch …

KORITKIN: Nichts aber doch! So ’n Vater such dir mal! Bist ja sein Herzblatt! Und jetzt: Augen zu! Mondschein!

MIA: Ha, Mutter: so ’n Vater! Das ist kein Wort! Aber doch … man weiß schon gar nicht mehr, wie er aussieht…früh um sieben, wann ich fort muss, da liegt er in seiner Koje wie ’n Walfisch, um fünf, wann ich wiederkomme, ist er schon fort, und nachts um drei, wann er kommt, schlafe ich.

KORITKIN: Wem tut er’s!

MIA: Bin ich in dem Jahr nicht fertig, so sag ich: Schluss! Handtuch! Aus mit der Schule, ich geh wieder auf Fabrik, oder … - packt plötzlich die Koritkin — ach, Mutter, hör auf mit dem Geratter, ’s ist doch Nacht!

KORITKIN: Nacht oder Tag … sollst doch was lernen!

MIA: Doch dich nicht aussaugen, Mutter, wie die erste! Leg’s hin, Mutter, leg’s hin! Wie du angerückt vor fünf Jahren, wie ’ne Madame so stramm, weißt du, da war ich stolzer auf dich als auf die richtige Mutter, die ich gar nicht kannte.

KORITKIN: Gib dich, Dusselchen, steig in die Molle! Mein! Du bist ja wie ’n Eisbein! Vater wird mir den Buckel trommeln, wann seinem Liebling ’ne Gänsehaut anläuft! Führt sie zum Bett.

MIA erschrocken: Schlägt er dich?

KORITKIN: Oje! Da sind wir abends zu lahm …

MIA im Bett kauernd: Halt, Mutter, wart mal, pass auf … es muss da was anders werden, Mutter! Ein ganzes Jahr noch, das ist zu lang! Zieht sie zu sich. Hör, eben sah ich meine Hand, riesengroß, wie ’ne Plakatwand …

KORITKIN lachend: Die Katzenpfote??

MIA: Im Traum doch! Riesengroß, alle Linien so, die Herz- und Schicksalslinie stießen zu ’nem gewaltigen Strom zusammen … auf dem aber, dem grünschillernden Strom, wie unter glasdünnem Eis rollte ’ne goldene Kugel, und darauf tanzte ich, tanzte auf der Kugel, tanzte immerzu, wie närrisch, Mutter, und doch ganz glücklich, denn solang ich tanzte, drehte sich auch die Kugel und rollte über den mächtigen Strom; hielt ich aber ’ne Sekunde nur, so wurde die Kugel schwer und sank.

KORITKIN gähnend: Hast’s … wohl im Kino … gesehn?

MIA erregt: Im Traum, Mutter, versteh doch! Ein großes Glück muss kommen, Mutter, nicht Knopf um Knopf und Naht um Naht, nein, so übern Rücken, plötzlich ist es da! Sieht die Koritkin, die auf dem Bett sitzend eingenickt. Mutter! Mutter! Hörst du nicht!!

KORITKIN hochruckend: Ja doch … die Kugel! Steht auf. Menkenkens! Schluss! Streusand!! Knipst das Licht aus und geht zum Alkoven, wo sie sich niederlegt und den Vorhang zuzieht.

 

Mia hat sich langgestreckt und die Decke über die Ohren gezogen; sie liegt einen Augenblick still; dann richtet sie sich auf, lauscht auf den dumpfbrausenden Lärm der Straße, rutscht ans Fußende des Bettes und zieht leise die Vorhänge des Gitterfensters beiseite. Lichtschein und schreitende Schatten fallen ins Zimmer.

 

MIA nach draußen: Hm! Das ist Sache: Opanken und Mokassins und diese Sandalen, wie Gondeln über ’nem See, Wildleder und Saffian … ei schau, diese Bachstelzen, grüßt mir die Bulldoggen vor euch, gelbes Boxcalf, gemein, erledigt … herbei ihr Windhundschnauzen da drüben, sagt ich’s nicht, schon laufen zwei Rotkehlchen neben ihnen, hei, sehen Sie, es geht sich besser gemeinsam! Presst den Kopf an die Scheiben. Könnt man die Gesichter nur sehen! Ach was! Lauschend. Wie das tappt und gleitet und schleift … Ist aus dem Bett gestiegen und beginnt in weiten gleitenden Schritten sich zu wiegen und zu drehn. Aber doch nicht so wie meine Kugel … – auf Zehenspitzen – meine Kugel, da muss man balancieren, sich strecken, sich spitzen, oben zu sein! Klappernde Schritte auf dem Pflaster. Hoho, hoha! Was ist! Zum Fenster. Zwei Treter wie Kohlenkähne! Plötzlich. Ja wie?! Der Vater!! Der Vater!!

KORITKIN den Vorhang zurückziehend: Bist du närrisch?

MIA: Der Vater!!

KORITKIN aus dem Alkoven steigend: Backe! Mit deinen Flausen steht nichts auf dem Tisch! Stellt schnell Brot, Speck, Messer und Gabel hin.

 

Schwere Schritte. Es klopft links an das Portierfensterchen; dann tritt Koritke ein. Er ist ein Mann wie ein Kasten, viereckig, breitbrüstig, riesig, fünfundvierzigjährig, mit dunklem Haar. Sein Rücken ist vom Tragen, Ringen oder von zu starker Muskulatur etwas gekrümmt, sein Gesicht ist rot und gutmütig. Unter einem grauen Mantel trägt er einen ziemlich speckigen Kellnerfrack. Seine linke Hand ist mit verblutetem Verband umwickelt; er sucht sie zu verbergen.

 

KORITKE Zorn markierend: Ist die Blase noch auf?!

KORITKIN Brot schneidend: Kommst ja so früh heut!

MIA an ihm: Hast was mitgebracht, Vatting?

KORITKE zieht Pralinés aus dem Mantel: Katze! MIA aufschreiend: Blut!!

KORITKE: Still doch!

KORITKIN die verbundene Hand nehmend: Is das, is das??

KORITKE: Klappe! Wenn der droben uns hört, gibt’s wieder Stunk! Sich setzend. Lasst Vatern erst mal schanzen; komm her, Katze, musst das Kind heute füttern! Berufskrüppel auf dem Felde der Arbeit! Aber geflogen sind sie wie die Fladen aus dem Kuhstall, hahaha!

KORITKIN: Was hast du wieder geschafft?

KORITKE feierlich: Ordnung geschafft! Da gibt’s keine Widerrede! „Koritke!“, ruft der Chef, „Koritke, ausmisten!“ Machen wir! Vier Kellner von der Schwemme und ich hinüber zum Kolosseum, da flogen schon die Flaschen und Gläser, zwei Klumpen hatten sich verknäult, Röcke, Luftschlangen, Bänder, Tanzbeine, und dazu spielte die Musik! Jetzt war Koritke wieder in Form, entschwundene Zeiten: Hier mit „Krawatte“, da mit „Halbnelson“, mit Schulterzug und Hüftschwung sauste durch die Tür, was noch Rückgrat markierte, da gab’s keine Widerrede!

MIA begeistert: O Vater!!

KORITKE: Auf einmal: pingpeng! Wie zwei Funken springt’s mir in die Hand, da hatte so ’ne Wanze mit dem Nicker gestochen …

MIA: So ’n Hund!!

KORITKE: Ein feiner Hund, sag ich, trug ein rotgerändertes Monokel und im Jackett ’ne grüne Aster …

MIA: Und du jetzt??

KORITKE: Ich jetzt? Er jetzt … ja wie … er war im Nu verduftet wie ’n nasser Wind!

KORITKIN: Sollst nicht mehr kellnern!

KORITKE: Wegen dem Wanzenstich! So ’n bisschen Aderlass ist gar nicht übel! Legt einen Schein auf den Tisch. Und Schmerzensgeld hat’s auch, hier, vom Chef, für treue Dienste! Zu Mia. Da ’s Schulgeld, Katze! Sag mir noch mal das Rattata, aber mit Vollgas!

MIA im schnellsten Tempo: a + b mal a + b = a2 + 2ab + b2, a + b mal a - b gleich a2 — b2!

KORITKE strahlend: Donnerwetter! – Mal Englisch!

MIA mit “Vollgas“: At a small visit, which the Queen Elizabeth made to Lord Bacon, she asked him why he had built his house too small for himself. „It is not I“, answered he, „who had built this house too small for myself, but Your Majesty has made me to big for my house!“

KORITKE nimmt sie auf den Schoß: So ’n Teufel! Das Geld ist angelegt, was, Mutter!

 

Man hört draußen lallenden Gesang.

 

GESANG:

Mensch, beachte mein warnendes Flüstern,

Komm dem Mond nicht zu nah an die Nüstern,

Hat der Mond dich gepickt,

Wird dein Hirnlein verrückt,

Und dein Herzlein wird …

 

KORITKE zum Fenster, öffnet: Ich werde dich gleich mal beflüstern, dich dufte Nachtamsel, dich Mondkikeriki, pass uff!

KOPF AM Gitter: „Und dein Herzlein wird mir sich verschwistern!“ – Räumen Sie doch den Schirmständer da weg! Treten Sie an, mein Herr! Achtung! Sind Sie fertig? Avancieren! Haut lärmend mit dem Stock gegen das Gitter.

KORITKIN das Fenster zuschlagend: Lausejunge!!

KORITKE zieht seine Jacke an: Mal sehen! Hinaus.

KORITKIN durchs Fenster: Ruf ’nen Grünen, Vater!

MIA ebenso: Vater, mach ihn nicht tot!

KORITKIN: Still! Wenn’s den droben weckt!

 

Koritke kommt von links; er trägt einen elegant gekleideten jungen Mann wie eine Puppe unterm Arm; er geht zum Sofa und setzt ihn dorthin.

 

KORITKE: Da!

KORITKIN: Was! Das Ziefer in die Stube?!

KORITKE: Aus, Mutter! Guck nur, wie das Kerlchen schnattert! Wollt partout hier herein! Könnt ihn doch nicht auf dem Pflaster anfrieren lassen!

KORITKIN: Jaja … dein Herz!

DER JUNGE MANN schnellt mit einem Ruck den Kopf hoch, starrt mit abwesenden Augen zur Decke:

 

Ja, das Herz ist der stärkste Propeller,

Trägt zur Sonne dich schneller und schneller,

Doch das Herz ist aus Wachs,

Macht auf einmal Knacks …

 

MIA die auf ihn starrt, plötzlich: Die Aster, die grüne …

DER JUNGE MANN hochspringend, reißt die Hacken zusammen: Miltiz! Praktikant und Volontär …

KORITKE mit vorgestrecktem Nacken sich nähernd: Wie … was?!

MILTIZ hat ein rotgerändertes Faschingsmonokel eingeklemmt, die Hacken zusammenschlagend: Miltiz! Handelshochschüler!

KORITKE ausholend: Wanze!!

MILTIZ vom Luftdruck schon aufs Sofa fallend: Erlauben Sie!!

KORITKIN dazwischen: Herrje, Vater! Weg, Vater! Ist doch der junge Herr von Herrn Lomm droben! Weg, Vater! Hält ihn fest.

KORITKE sie mit einem Ruck abschüttelnd, drückt Miltiz aufs Sofa: Die Wanze! Schwitzen muss die Wanze … Saft!

MIA hängt sich an ihn: Mach ihn nicht tot, Vater! Mach ihn nicht tot!

KORITKE sie abschüttelnd: Satan!

MILTIZ unter ihm wegschlüpfend, hat seinen Spazierstock gefasst und fuchtelt mit ihm wie mit einem Säbel in Auslage: Unerhört! Exorbitant! Primen und Terzen schlagend. Ersuche, mir nicht zu nahe zu treten! Verbitte mir jegliche Annäherung! Bedinge mir ehrenvollen Abzug! Jede Berührung …

KORITKE mit verbundener Faust vor ihm: Und diese Berührung! Du Affenschwanz! Du Lausekerl!

MILTIZ an der Wand: Bin nicht gewohnt, in Gegenwart von Damen zu karambolieren! Legt den Stock aufs Bett und steht groß mit verschränkten Armen da.

MIA bewundernd: Das war nobel, Vater! Lass ihn!

MILTIZ Mia fixierend: Bin erheblich erstaunt … die Dame in diesem Milieu!

KORITKE auf ihn: „Die Dame“ … ist Ihnen Mondschein, verstehen Sie mich, Sie Würstchen! Gegen Mia. Die Dame ist ein Milchbalg, ein Schulbankhintern, den man blau schlägt, wann sie maunzt!

MILTIZ vor Mia springend: Kein Wort mehr! Groß. Armseliger Polyphem, blindäugiger Gorilla, was hast du an dieser Nymphe begangen! Vor den Karren gespannt habt ihr diese gluthaarige Bajadere, auf die Schule geschickt, auf welche Schule, eine Kochschule zum Pastetenbacken? Eine Schneiderschule, Altledigen sprossende Natur in die Mieder zu zaubern? In eine Schreibschule … – Mia nickt – in – eine – Schreibschule, –gegen Koritke – Sie unqualifizierbarer Verbrecher, schämen Sie sich nicht?!

KORITKE: Sagen Sie das noch einmal!!

MILTIZ: Jawohl, Verbrecher!! Streng. Sind Sie dieses Mädchens Vater?

KORITKE stolz: Will ich meinen!

MILTIZ: Ja, stellen Sie sich nur neben diese Menschenblüte! Tag und Nacht! Urian und Eva! Völlig Herr der Situation. Ja, Mann, sehen Sie denn nicht, was für Gaben in Ihrem Kinde schlummern … das ganze Füllhorn der Natur … diese Gestalt einer Diva, diese Rasse, diese Aufzäumung, verzeihen Sie, meine Gnädigste …

KORITKE strahlend: Das Mädel ist Gold wert!

MILTIZ: Und da schicken Sie es auf eine Schreibschule, Tinte zu nässen oder als Klapperschlange mit hundert Mark je Monat durchs Leben zu schleichen! Mit diesem Tizianhaar, mit dieser Ephebenfigur! Toll, mein Freund Spee sucht diesen Typ durch alle Gassen und Schenken, und hier unter dem Asphalt schlummert die Schlange! Tänzerin, das ist der Weg aller Mutigen! Ich spreche nicht im Rausch, ich wende mich an die Damen: Leuchtet das Gold unter der Erde? Muss es nicht hinauf, ans Licht, Spiegel der Sonne?

MIA zitternd: Hinauf …

KORITKIN: Still, Ratte! – Setzen Sie dem Mädchen keine Rosinen ins Hirn! Auch will Herr Lomm über uns seine Ruhe!

MILTIZ: Herr Lomm … richtig: Herr Lomm! Was ist uns Herr Lomm? Ich wollte ihm gerade melden, dass nur fünfzig Kisten für den großen Englandauftrag noch auf Kante, und dass er zum Direktor geeignet ist wie ein Nussknacker zum Staatspräsidenten! Was also soll uns Herr Lomm! Stellen wir ihn beiseite! Groß. Hier geht’s um Höheres, um ein Menschenschicksal, um Menschenglück! Plötzlich erschöpft, sitzt aufs Sofa. Herrschaften … versäumen Sie nichts!

KORITKIN erregt: Was sollen wir nicht versäumen?

MILTIZ: Versäumen Sie … nichts … Plötzlich aufspringend. Da ist eine blinkende Kugel!!

MIA atemlos: Ja!!

MILTIZ: Ein Diamant! Ein Ring! Ein Blitzball! Ein Sonnenruch … der will funkeln, rollen, sprühen, flitzen, hei, sich regen, recken, drehen, juchzen … Klatscht in die Hände, während Mia fasziniert sich zu heben, biegen und wenden beginnt. Hoppla ja so … hassa ja fein … siehst du wohl, gittigittjuh, rapplahassajeh … windiwitt, Kind, gib dich hoch! Rhythmisch in die Hände klatschend, während Mia berauscht tanzt. Da lachen und klimpern die Sternlein!

 

Links in der Tür steht ein beleibter Herr von etwa Fünfzig in Hausschuhen, schwarzer Hose, gestärktem Hemd mit Kragen und Morgenjackett: Direktor Lomm. Er kreuzt die Arme auf der Brust und schaut mit regloser Miene, von den andern noch unbemerkt, dem Tanz zu – Plötzlich applaudiert er.

Alle fahren zusammen.

 

KORITKIN entsetzt zu ihm eilend, fast auf den Knien: Ja, Herr Lomm!! Oje! Verzeihen Sie, bester Herr Lomm … das Mädchen ist ganz rapplig, quasselt von ’ner goldnen Kugel, auf der sie tanzen müsst, und da kommt noch dieser junge Herr, setzt ihr Rosinen in Kopf: sie sei ’nen Diwan, ’ne Tänzerin, die mit ihren Beinen mehr verdienen könnt als mit zehn Händen …

LOMM ruhig: Miltiz!

MILTIZ schlägt die Hacken zusammen: Herr Direktor!

LOMM: Verschwinden!

MILTIZ: Jawohl, Herr Direktor! Nimmt Hut und Mantel.

LOMM: In vierzehn Tagen ist Ihre Volontärzeit beendet!

MILTIZ: In dreiviertel Jahr, Herr Direktor!

LOMM: In vierzehn Tagen! Richten Sie sich danach! Wendet sich.

MIA zu ihm: Onkel Lomm, Onkel Lomm, so warte doch, was hast du nur? Was hast du gegen ihn?

LOMM herum: Gegen … wen? Fast zärtlich zu Mia. Schafskopf!

MILTIZ zackig: Ich verbitte mir das!

LOMM: Dackel! – Koritke, bring den Knaben ins Freie!

KORITKE: Jawohl, Herr Direktor! Ich möchte mir nur erlauben …

LOMM: Was möchtest du dir erlauben?

KORITKE: Ich möchte mir erlauben, dass Herr Miltiz keine schwachen Ideen vom Leben hat!

KORITKIN: Und dass er die Ideen von dem Mädchen gestärkt hat!

LOMM: Ihr seid wohl alle heut … gestärkt! He! Habe ich euch als senkrechte Pförtnersleute ins Haus gesetzt, dass ihr zwischen Mitternacht und Hahnenschrei Orgien feiert? Antwort!

KORITKIN: Nein, Herr Lomm!

LOMM: Sind euch die Flötentöne dieses jungen Sumpfhuhns wichtiger als mein sauberer Schlaf und meine Nerven? Wollt ihr jeden Asphaltflamingo in eure Stube und mein Haus quartieren?!

KORITKE: Nein, Herr Direktor! Packt Miltiz mit Hausknechtsgriff

MILTIZ vergeblich sich wehrend: Ich verbitte mir das!

KORITKE ihn die Treppe hinaufschiebend: Klappe!

MIA hinzu: Loslassen, Vater!

LOMM packt sie am Haar: Willst du wohl! Schafskopf! Ins Bett jetzt! Ausgeschlafen! Und morgen zur Schule! Das Leben will Leistung, nicht ein Beingetrippel, zum „Tanz“ gestempelt, zu dem nicht die geringste Begabung vorhanden!

KORITKE: Wenn ich mir erlauben darf, Herr Direktor, so möchte ich doch protestieren, dass die Beine von der Mia bloß Getrippel und keine Begabung sind! Das Mädel kann tanzen wie der Teufel! Und Herr Miltiz hat ganz recht, wenn er …

LOMM erregt: Ihr wollt sie wohl in eine Bar oder auf die Bühne verfrachten?

MILTIZ von der Treppe: Sie wird den Dreh von selbst schon finden! Wenn ihr die Beine jucken, dann helfen keine zwanzig Ketten!

MIA mit einem Sprung: Richtig, du oben! Bravo, du da! Ich springe über die Ketten und tanze mich frei, toll, tot und lebendig, eh ich mit krummem Finger und Buckel sterbe!

LOMM starr: Das ist sie … Auf sie zu – Nein, Kind!!

MIA zurückweichend: Lassen Sie mich! Sie haben mir nichts zu befehlen! Gar nichts haben Sie mir zu befehlen!

LOMM sie anstarrend: Ja … ja …

MILTIZ: Der Fall ist doch fertig, meine Herrschaften, sauber fertig! Fräulein Mia spürt in sich einen tänzerischen Trieb, einen förmlichen Urtrieb, die Mehrzahl unter uns wittert ihr Talent. Wenn man nun einen seltenen Ring, einen Diamant, auf der Straße plötzlich findet, was tut man? Man geht zum Juwelier und fragt, ob er ein Edelstein. Und wir mit unserm Juwel? Wir gehen ebenfalls zu einem Fachmann und lassen unsern Fund prüfen!

KORITKE: Da wird sich’s zeigen!

MIA: Mir ist nicht bange! Gleich morgen, Herr Miltiz …

LOMM scharf: Gleich morgen, Punkt acht, meldest du dich bei mir! Auf dem Büro! Der Hexensabbat ist aus! Der Spuk vorbei! Wilde Gäule nimmt man auf Kandare! Still! Ich rufe die Handelsschule an, das letzte halbe Jahr wird in der Praxis absolviert! Für dein Examen stehe ich!

MIA wild: Aber ich stehe nicht!! Ich laufe davon!!

MILTIZ: Mord! Seelenmord!

LOMM vor ihm: Klappe, Sie Spritzer!

MILTIZ: Spritzer?

LOMM: Spritzer!!

MILTIZ: Die Verbindung Hammonia wird Ihnen einen Kartellträger …

LOMM: Ihr Kartellträger soll seine Kinnladen versichern!! Sie betreten das Werk nicht mehr!

MILTIZ betroffen: Herr Direktor!

LOMM: Ich pfeife darauf! Erobert euch mit euren Bierzipfeln die Aufsichtsratsessel, doch lasst mir die Menschen in Frieden! Wir sind keine Glücksritter! Wir wollen ehrliche Arbeit, ehrliche Leistung, ehrlichen Gewinn! Keine Zirkussprünge! Das könnte sich jeder rechtliche Mensch zur Richtschnur nehmen und vor allem jeder Vater, der sein Kind nicht aufs Spielbrett wirft!

KORITKE: Herr Direktor, wenn ich mir erlauben darf …

LOMM: Wem aber meine Grundsätze nicht passen, der sollte auch keinen Wert darauf legen, in meinem Haus zu weilen!

KORITKIN: Aber Herr Direktor, so war’s doch nicht gemeint!

MIA jäh: Doch so gemeint! Geradeso! Ich springe eher …

KORITKIN hält ihr den Mund zu: Still, Ratte!

LOMM auf Mia: Das ist sie! Sich zusammenreißend. Gute Eltern, harte Eltern! Das Bäumlein braucht die Stange! Morgen Punkt acht steht das Kind im Büro!

KORITKE: Ich bringe sie!

LOMM zu Miltiz: Sie … können Ihre Papiere morgen empfangen!

MILTIZ: Jawohl, Herr Direktor! Ab.

LOMM steigt die Treppe hoch, sich wendend: Ich wünsche künftig nach zehn Ruhe im Haus … lautlose Ruhe!

KORITKE: Jawohl, Herr Direktor!

 

Lomm schweigend links ab. Stille.

 

KORITKIN: Ein forscher Mann, der Herr Lomm, und gerecht!

KORITKE: Und um die Mia hätt er mit dem „Spritzer“ fast Schlitten gefahren, so hängt er an dem Mädchen!

KORITKIN vor Mia: Was stehst du wie angefroren! Jetzt kommst du ja von der Schule, ins Büro, zu ihm selbst, da fällst du gleich drei Treppen nach oben, da gibt’s gleich Pinke …

KORITKE mit Ellbogen: Und abends kannst du tanzen!

MIA wie erwachend: Ihr habt mich verraten!! Mit einem Sprung ins Bett, zieht die Decken über die Ohren.

Koritke. Ein Schauspiel von Friedrich Wolf: TextAuszug