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Jules. Eine Erzählung aus dem Camp du Vernet von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
2.99 €
Veröffentl.:
01.08.2024
ISBN:
978-3-68912-052-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 92 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Rechtlich, Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichten vom Meer
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane
Entschlossenheit, Erinnerung, Faschismus, Freiheit, Freundschaft, Gerechtigkeit, Geschichte, Hoffnung, Internierung, Kameradschaft, Kampfgeist, Krankheit, Menschlichkeit, Pyrenäen, Solidarität, Straflager, Überleben, Wahrheit, Widerstand, Zweiter Weltkrieg
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Ernst aber hat gegen das Mäntelchen – es ist der Pariser Lederarbeiter Aron Liter –, Ernst, der saubere, blitzblanke, korrekte deutsche Junge, er hat gegen Aron Liter eine schier unüberwindliche Abneigung; Ernst, der sofort aus einem Stück Holz sich einen Bügel für seinen Rock macht, der sofort anfängt, sein Hemd und seine Taschentücher zu waschen, er sieht, wie Aron Liter die erste Woche überhaupt nicht aus seinen Kleidern steigt, wie er sich nicht einmal von seinem Mäntelchen trennt. Ernst ekelt sich, wenn Aron neben uns isst; er ekelt sich, wenn der andere Tag und Nacht schrecklich hustet und dicke gelbe Klumpen an Ernsts Nase vorbei durch unsere Fensterluke hinausspuckt. Ernst verlangt schließlich von mir, ich solle meinen Nebenmann zwingen „auszuziehen“. Abgesehen davon, dass Aron Liter dieses Ansinnen nur mit Hohn und den schrecklichsten Flüchen der Welt beantwortet hätte, fühle ich mich auch nicht berechtigt, ihn von seinem Platz zu vertreiben. Ernst wendet sich jetzt selbst an das Mäntelchen. Es kommt zu einem Wortwechsel in einem unmöglichen Deutsch-Polnisch-Französisch, da Ernst dem Monsieur Aron Liter die Anfangsgründe der Hygiene klarmachen will, während Monsieur Liter ihm einen seiner furchtbarsten Flüche entgegenschleudert: „Ein Tausendfüßler sollst du sein und dir jeden Abend die Füߒ waschen müssen!“ Als Ernst in seiner Erregung sich sogar erbietet, lieber ein Tausendfüßler zu sein mit tausendfacher Fußwaschung als ein Schwein mit zwei schmutzigen Füßen, da fordert ihn sein Gegner mit bösem Hohn auf, ihm doch heißes Wasser, Seife, Handtücher und ein warmes Zimmer herbeizuschaffen, da er als Lungenleidender nicht so verrückt sei, sich draußen vor den offenen Waschtrögen den Tod zu holen. Im Übrigen habe er, Aron Liter, den jungen Mann nicht angeredet, ein Zeichen dafür, dass er, Aron Liter, keine Unterredung mit ihm wünsche. Ernst appelliert jetzt an uns alle, ob wir die Gefahr einer Verlausung oder gar einer Infektion dulden wollten? Da er meines Nachbarn Namen vergessen hat, spricht er von dem „Nebenmann Juil“.

Der aber hat dieses Wort noch einmal herum missverstanden; er protestiert: „Ich heiße nicht Jules, mein Herr! Ich heiße für Sie Monsieur Aron Litère! Einen Menschen nennt man bei seinem richtigen Namen, oder gar nicht! Aron Litère, mein Herr, nicht Jules!“ Seine großen Hände, die kräftigen Hände eines alten Lederarbeiters, spannen sich vorn am Saum des Mantels. Sein Kopf steht plötzlich mitten unter uns. Dieser Kopf ist zugleich von einer bemerkenswerten Hässlichkeit und Schönheit: die Stirn ist klein, gebuckelt, verbeult, Adern durchziehen wie knotige Stränge Schläfen und Nasenwurzel, rötlich-blondes Haar sträubt sich in dünnen Büscheln an beiden Seiten des Schädels, die starken, kreisrund geschnittenen Lippen sind halb geöffnet, die breite Nase ist etwas plattgedrückt und gibt dem Profil den Ausdruck eines Raubtiers … aber das Eindringlichste sind doch die Augen, zwei harte, kampfwütige dunkelblaue Augen von einer Wildheit, Kraft und Schönheit, die sein eigenes Wesen und die Entschlusskraft seiner Gegner völlig zu beherrschen scheinen. „Mein Name ist Aron Litère, meine Herren, nicht Jules!“

Keiner wagt, dem Wütenden zu antworten. Er zieht sich das schwarze Mäntelchen wieder über die Ohren, legt sich auf die mit dünnem Stroh bedeckte Holzplanke und rollt sich zu einem Nichts zusammen. Von dieser Stunde an heißt Aron Liter bei uns nur noch Jules.

 

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