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Siebzehn Brote von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
0.99 €
Veröffentl.:
01.08.2024
ISBN:
978-3-68912-056-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 18 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Rechtlich, Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichten vom Meer
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane
Deutsche Armee, Don-Region, Friedrich Wolf, Historische Begebenheit, Historische Begegnung, Historische Erzählung, Hoffnung, Kriegsdrama, Kriegserlebnisse, Kriegsgefangene, Menschlichkeit, Mitgefühl, Soldatenschicksale, Solidarität, Sowjetische Truppen, Überleben, Überlebenskampf, Winterkrieg, Wintersteppe, Zweiter Weltkrieg
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Bei krachendem Frost und blendender Sonne fuhr ich mit Tolja, dem Oberleutnant, in Richtung des Hohlweges, wo die deutschen Soldaten lagen. Schnell hatte ich mich mit Tolja, einem Odessaer Studenten für westliche Literatur, angefreundet. Tolja besaß das Temperament eines echten Odessiten; er sprühte nur so von Leben, von Witz und Laune. Abwechselnd befragte er mich über Deutschland, erzählte mir von seinem Studium und konnte sich nicht genug tun, das Loblied seiner Heimatstadt Odessa, der schönsten Stadt der Erde, zu singen.

Ja, er sang es wirklich aus voller Kehle über die frostknirschende Steppe:

 

„Am Schwarzen Meer ein Volk es gibt,

Von früh bis spät Gesang es liebt,

Ach, Odessa –

Als Stadt zwar gebaut,

Doch bist du eine Braut,

Ach, Odessa –

Du Braut am Schwarzen Meer!“

 

Dieses bei unserer Division sehr bekannte Lied, aus jungem Herzen gesungen, von einem in seine „Braut“ verliebten Menschen, flog jubelnd durch den Wintermorgen. Unser Fahrer nahm eine neue Strophe auf, während er den Wagen durch die Schneeverwehungen bugsierte; und jetzt fiel auch ein sowjetischer Truppenteil zwischen den Ruinen eines ehemaligen Kosakendorfes mit ein.

Tolja ließ halten. Er führte mich zum Bataillonsstab. Der Bataillonschef, ein Kapitän, den Tolja kannte, wollte gerade zu einer Lenin-Feier gehen, an der die beiden im Dorf lagernden Kompanien teilnahmen. War das für meine Sache günstig oder ungünstig? Doch schon hatte Tolja den Kapitän informiert; der bat mich, doch ein paar Worte bei der Feier zu sprechen. Ich erklärte ihm nochmals mein Anliegen und meinte, das gehöre wohl kaum in diese Gedenkfeier zu Lenins Tode; zudem sei mein Russisch miserabel.

Er aber erwiderte, mein Russisch sei großartig! Ich solle nur aus dem Herzen sprechen! Das Thema passe sehr gut zu einer Lenin-Feier im Felde.

Da half kein Sträuben.

Vor dem verbrannten Dorf standen die beiden Kompanien in zwei Gliedern im offenen Halbkarree, alle in ihren langen Schafspelzen, umgeschnallt, mit aufgepflanztem Bajonett. Der Kapitän sprach über Lenin, über Lenins Strategie und Taktik während der Interventionskriege 1918 bis 1920, über Lenins Glauben an das russische Volk, über Lenins Patriotismus und über Lenins unerschütterliches Vertrauen zur internationalen Solidarität der Werktätigen. Und hier erklärte der Kapitän, dass Lenin im Dezember 1918 Züge mit Getreide und Mehl für die hungernden deutschen Arbeiter abgesandt habe, die dann an der Grenze von der sozialdemokratischen Ebert-Regierung angehalten und nicht weitergelassen worden seien. Ja, Lenin hütete das Prinzip der internationalen Solidarität wie seinen Augapfel.

 

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