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Jan Brosek von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
1.99 €
Veröffentl.:
01.10.2024
ISBN:
978-3-68912-289-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 63 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Thriller/Spannung
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Tod, Trauer, Verlust, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historische Liebesromane
Abenteuer, Europa, Exil, Flucht, Flüchtlinge, Frankreich, Freiheit, Freundschaft, Hoffnung, Identität, Krieg, Leidenschaft, Liebe, Revolution, Rüstung, Schicksal, Spanienkämpfer, Tanks, Widerstand, Zweiter Weltkrieg
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Der silbergraue Lancia in seiner Torpedoform mit dem niederen Chassis liegt wie ein Geschoss auf der Straße. Silbern steht die Luft über der asphaltnen Magistrale zwischen Toulon und Marseille, silbern der Dunst über dem morgendlichen Meer. Die Olivenhänge, die Palmen, die Datteln, die Agaven und Mimosen auf der Felsseite sind mit dem Silberstaub des heißen Augustmorgens bedeckt. Der feine Staub überzieht auch die Gesichter der drei Menschen, die in der großen Sportmaschine die Gerade nach Bandol hinabfliegen, das braune Jungensgesicht Gastons am Steuer, neben ihm das helle, flammende Rot seiner Freundin Margret; der Staub überkrustete auch im Fond des Wagens Onkel Robbys dicken, an sich schon grauen Schnauzbart und seinen breiten hochbetagten Filzhut, dessen Hauptfunktion darin zu bestehen scheint, dass Onkel Robby ihn während der sausenden Fahrt immer wieder auf- und absetzt.

Um jedes Missverständnis gleich anfangs auszuschließen: Onkel Robby erfreut sich keinesfalls englischer Abstammung. Sein Name ist anglisiert durch Margrets Anrede. Denn Margret Piersons bloße Anrede ist Befehl. Sie ist die ungekrönte junge Queen der Mannschaft des Wagens. Ihr heller, straffer Staubmantel um ihre breiten Schultern wirkt wie ein silberner Kettenpanzer, ihre fest anliegende Kopfhaube wie ein Helm. Jeden leisen Widerspruch ihrer Vasallen erledigt sie mit einem: „Ihr seid hässlich, ihr seid unmöglich, ihr liebt mich nicht!“ Onkel Robby, der alte Professor und deutsche Kunsthistoriker Dr. Robert Leineweber, besorgt ihr frühmorgens auf dem Markt die ersten frischen Blumen, das erste Obst. Gaston Drumont, der Student am Polytechnikum, der Sohn des Motorenfabrikanten Leon Drumont, der dreiundzwanzigjährige Gaston, ist Margrets Favorit. Er hat die Aufgabe, Margrets bedeutendere Wünsche zu erfassen und ihre Befehle bei Tag und bei Nacht zu vollstrecken. Gaston unterzieht sich erfolgreich dieser Aufgabe mit der Naturbegabung des jungen wohlerzogenen Franzosen. – Onkel Robby dagegen sucht ab und zu aus dem wohlgeordneten, um die Zentralsonne Margrets sich bewegenden Planetensystem auszubrechen. Sagt Margret: „Onkel Robby, Sie könnten heute im ,Fruit de Mer‘ oder im ,La Tour', falls es Seesterne gibt, das Diner für uns bestellen“, so antwortet der Professor: „Bedaure, Miss Pierson, ich bin heute bei mir selbst zu Gaste.“

Worauf Margret nicht mit Unrecht ihn mit ihrem schärfsten Tadel belegt. „Sie sind unmöglich, Onkel Robby! Sie lieben mich nicht!“

„Ich liege, soweit es meine Kräfte erlauben, vor Ihnen auf den Knien, Queen; ich bewundere Sie, Göttin!“, erwidert der Professor.

„Bewundern ist nichts!“, belehrt ihn Margret.

„Ich bewundere sogar Ihre Umgebung, Ihre Freunde …“

„Sprechen Sie nicht weiter, Unglücklicher!“, unterbricht ihn Gaston. „Hören Sie nicht auf ihn, Queen; er weiß nicht mit Frauen umzugehen, er ist ein Deutscher!“

Der Wagen saust durch die besonnte Wein- und Olivenlandschaft, an kleinen burgartigen Gehöften vorbei nach St-Cyr; und wieder öffnet sich das Land zum Meer, durch den silbergrauen Duft leuchtet das Smaragdgrün und Azurblau des klaren, tiefen Wassers, und immer wieder die Hänge mit den sehnigen, uralten Armen der Olivenbäume, die niedrigen, knorrigen biblischen Weinstöcke, dazwischen die strotzenden Agaven mit dem haushohen, einsamen Blütenstängel … welch glückliches, friedliches Land, dieses Frankreich, ein Land, wo jeder unter seinem Weinstock leben kann. Die Weinberge sind geschnitten und gesäubert, die Fischer sind vom nächtlichen Fang heimgekehrt, der Mensch ruht, die Sonne mag die Hauptarbeit verrichten.

Schon kommt die Felsnase von La Ciotat in Sicht. Dort schäumt das Meer um die Klippen. Der Himmel hängt aufgespießt an den Felszacken wie ein blaues Tuch. Auf den Bergkämmen liegen die einsamen, seit Jahrhunderten verlassenen Sarazenendörfer. Und droben auf dem steinigen Plateau – erklärt Gaston – befinde sich das Camp de Carpiagne, das Militärlager, wo er bei den letzten Herbstmanövern als abkommandierter Offizier der Alpenjäger, der „Diables bleus“, zu einer Tankdivision überführt wurde.

„Sie wollen wohl die Motoren Ihres Vaters ausprobieren?“, fragt Onkel Robby.

„Sie sind ausprobiert, mein Lieber, verlassen Sie sich darauf!“, erwiderte Gaston. „Mit den Motoren kommen wir ohne Reparatur bis Berlin!“

„Ich will nichts von euren Soldatengesprächen hören“, protestiert die Queen. „Ein Krieg ist heute ein Unsinn, es wird keinen Krieg geben!“ Die Queen ist ungnädig, sie befiehlt zu halten, sie möchte aussteigen.

Obschon man zu Mittag in Marseille sein will, einigt man sich auf ein Déjeuner à la Suisse am Hafen in Cassis. Der Port de Cassis ist eine jener kleinen intimen Buchten, wie das Meer sie dutzendfach in die Felswände der Cote d’Azur hineingearbeitet hat: marseillewärts gegen den Mistralwind die Felswand, ostwärts nach Toulon eine künstliche Mole. An der Rundung der Bucht, an der Ecke der engen, gewundenen Straße des Städtchens liegt ein kleines Restaurant zwischen Palmen, Mimosen und weißblättrigem Ahorn. Dort gäbe es in einer Stunde sogar eine „Bouillabaisse“, jene Suppensymphonie aus Muscheln, Seesternen, Langusten, in der die Hummern durch geröstete Brotschnitten ersetzt sind, jene Himmelsspeise der Bouches-du-Rhone, von der die Marseiller zu Recht behaupten: Wenn man in Paris eine echte Bouillabaisse bereiten könnte, dann könnte Paris fast Marseille sein.

„Aber wenn eine Bouillabaisse eine halbe Stunde dauert, so bin ich für Weiterfahren!“, entscheidet die Queen.

„Und wenn die Bouillabaisse zwei Stunden dauerte, so müsste man bleiben!“, entgegnet Gaston plötzlich tollkühn, weil man sein Nationalgefühl verletzt hat. Er zeigt, dass er ein Mann und ein Franzose ist. Er ruft den Garcon und gibt die Bouillabaisse in Auftrag. Die Queen widmet sich jetzt geflissentlich Onkel Robby. „Wie steht es mit Ihrer Arbeit, Professor?“, fragt sie, während sie mit einem Mimosenzweig nach einer Fliege schlägt. Onkel Robby ist glücklich; er beginnt eine ausführliche Analyse über den anglikanischen Puritanismus, über Heinrichs VIII. gewaltigen Intrigenkampf mit dem Papsttum, er erklärt, wie er seit einem Jahr an dem letzten Kapitel arbeite, Spiegelung der ganzen Epoche in den grandiosen Porträtzeichnungen des jüngeren Holbein.

„Das ist doch jener Maler“, sucht Gaston sich wieder einzuschalten, „der solch eine bildschöne gelehrte Tochter besaß, die Latein sprach und ihn zum Schafott begleitete!“

„Mein Gott, mein Gott“, erwidert Onkel Robby, „Ihre Kenntnisse der Bouillabaisse und der Panzerwagen berechtigen Sie doch nicht, Hans Holbein mit Thomas Morus zu verwechseln!“

„Seien Sie friedlich, Onkel Robby, auch unsere Panzerwagen sind keine so schlechte Sache“, meint Gaston, „auch dieses Ungeheuer mit seinen tausend Schräubchen, Kugellagern und Gelenken ist ein Porträt unserer Zeit; und unsere französischen Tanks mit ihrer schnittigen Linie, mit ihrer Feuergeschwindigkeit … Sie hätten mal oben mit uns üben sollen, an den Berghängen von Carpiagne, wie die Ziegen klettern diese Stahlbestien, und wenn die Herren Fritzen jenseits des Rheins uns tatsächlich zu einem Tänzchen auffordern sollten, wir werden sehen, wie viel die rollenden Konservenbüchsen der Firma Krupp aushalten …“

„Man soll den Gegner nicht unterschätzen!“, sagt ein Mensch vom Nachbartisch mit einem fremden Akzent. „Verzeihen Sie, wenn ich mich einmische; aber ich finde es schmerzlich, wenn Völker immer die gleichen Fehler machen.“

„Sie denken an Frankreich?“, fragt Gaston pikiert.

„Wie Sie eben über die deutschen Tanks sprachen …“

„Sie sind Deutscher?“

„Meine Nationalität hat man mir einige Male vom Leib genommen“, erwidert der Fremde. „Sie sehen, ich bin hier in Frankreich, ich liebe Frankreich, und ich kenne die deutschen Tanks; verzeihen Sie, wenn ich Sie eben unterbrach.“

Jan Brosek von Friedrich Wolf: TextAuszug