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Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnten. von C. U. Wiesner
Autor:
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
20.10.2013
ISBN:
978-3-86394-420-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 213 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Satire, Belletristik/Politik, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Geschichte
Belletristik: Humor, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Satirische Romane und Parodie (fiktional)
Humor, Satire, Berlin, DDR, Wende, Friseur Kleinekorte, Treuhandgesellschaft, 20. Jahrhundert, Humor, Kurzgeschichten, Politik, Satire, Zeitgenössisch
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Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht jehabt? Tschuldigense die dusselige Frage. Ick weiß ja, deß Sie nu ooch schon zu die Kurzis jehören. Neuerdings sagt man zu sone wie Ihnen auch Schweigarbeiter. Dis hat nischt mit Schweiß und schon jar nischt mit Streik hat dis zu tun. So nennt man die Nullkurzis, die bloß noch in Betrieb auftauchen tun und sich ihr Schweigejeld abholen, damit se nicht auf der Straße rennen und sich bei ne Demo den Katarakter erkälten. Wissense, was mir so jar nicht einleuchten will? Jeder zweite Kunde heutzutage setzt sich auf den Rasierstuhl und fangt an zu meckern. Meistenteils gehts um de Arbeit. Haltense mal den Kopp ’n bißken stille!

Unser frisch gewählter Bundeskanzler Helmut Bismarck hat jesagt, die Beschäftigungslage is so jut wie nie, jedenfalls in dis Altenreich, und da brauchen die paar Müllionen Einwohner aus dis frühere Anastasien nicht dauernd rumzujaulen, die hat es noch nie zuvor so jut jegangen wie jetz. Keinen soll noch öfter schlecht werden als wie vorher. Falls es doch mal passiert - da inne Ecke steht wie janz früher wieder ein echter Spucknapp.

Mann, wenn Se jestern jekommen wären - da hättense Atze Langerwisch jetroffen, wenn Se den Luhmich noch kennen. Erst war er Maurer und denn jeriet er in den Apperat und mittenmang die Spitze von diesen Blauhemdenverein. Nach den hüstologischen Oktober vorigtes Jahr hat er die verfluchte Scheiße noch bemäntelt und hier im Salong rumjekräht: Wo jehobelt wird, fallen Späne.

Heute isser im Aufsichtsrat von dis neujegründete bundesdeutsche Salzamt und als Jeneralbeauftragter zuständig für Honeckers Konkurrenzmasse hier bei uns im Osten.

Einktlich hätt ick mir schlapplachen können: Atze mit Schlips und Kragen und ne joldene Brille und ’n schwarzen Mercedes. Aber irjendwie ’n Stücke Mensch muss er an irjend ne Kante doch jeblieben sind. Machste dein Salong für heute dichte, Vater Kleinekorte, sagt er, und denn kommste mit Herrn Kafforke in Blauen Affen - jenau wie früher. Da jehn wir nicht mehr hin, sag ick, dis kann sich unsereener nicht mehr leisten. Unser Bier koofen wir bloß noch bei ALDI.

Wie wir denn doch in unsre alte Stammkneipe saßen, dis ging denn alles auf Rechnung vons Salzamt, hat uns Atze mal aufjeklärt:

Die Leuten brauchen Optimismus, sagt er, es geht vorwärts in die FNL. Wat issen dis nu schon wieder? frägt mein Jehülfe, dauernd muss man nu neue Abkürzungen lernen.

FNL, meint Atze, sagt man bei uns inne Regierung, wenn man von die fünf Neuen Länder sprechen tut, aber der Herr Waigel hinterpretiert dis ville passender: Fürchterliche Nächstenliebe.

Dis hat mir ehrlich jesagt ’n bißken jeärgert. Dein Herr Waigel, sag ick, der soll man janz stülle sind. Wenn ick da mal inne BILD-Zeitung auspacke, is der Mann jeliefert: In meinen Berliner Herrensalong hat seinerzeit dis Müllionenjeschäft stattjefunden, die jeheimnisvolle Überjabe von den Kurier von den KaGeBe an den Bayrischen Jeheimdienst, und ick selber habse Theon mit Mastix ankleben gemusst: die berühmten Augenbrauen von Leonid Breschneff.

Hör doch auf, Vater Kleinekorte, sagt Atze, sowat intressiert doch nicht mal mehr die Arbeitslosen in die FNL. Jetzt muss endlich mal Schluss sein mit diese linke Schümpferei.

Da is mir der Kragen jeplatzt. Die Tuhr kenn ick, sag ick, unter Willem hieß et vaterlandslose Jesellen, bei Goebbels Nörgler und Miesmacher, bei Honecker und Mielke klassenfeindliche Alimente ...

Lass mal Luft ab, sagt Atze, jetz musste dir endlich mal daran jewöhnen, deß du ein freier Mensch bist.

Jut, werd ick ihm antworten: Ick jeh mal spaßhalber auf dein Ulk ein. Früher war ick zwar unfrei, aber ick hatte zumündest dis Recht, mir zu beschweren; ick konnte ne Einjabe machen und bis zum Staatsrat jehn, und die mussten mir binnen vierzehn Tage antworten, und heute?

Heute, sagt Atze, biste frei und hast also keen Jrund, dir zu beschweren.

Hör uff, sag ick und merk schon, wie mir die Jalle zu pieksen anfangt, Post, Telefon, Finanzamt, Pulleßei, ick weiß jar nicht wo ick zuerst mit Ärjern anfangen soll.

Siehste, sagt Atze, jetzt hab ick dir, wo ick dir hinhaben will: Demokratie is ein Jeschäft, und dis muss man ehmt mühsam erlernen. Also wennsde dir irgendwie ärjern tust, denn schreibste an meine neue Arbeitsstelle, ans Salzamt, und weil wir uns schon so lange kennen, noch aus die unselige Stasizeit, wo man ohne Beziehungen nicht leben konnte, schreibste gleich zu Händen Herrn Müsterialrat Artur Langerwisch, denn kommts stantepeze auf mein Schreibtisch, und ich kann die betreffenden Herren aus die FNL ein Wink geben.

Herr Kafforke hatte an den Ahmt wohl schon ’n bißken zu ville jetrunken. Sonst hätte er sone dusslige Frage nicht jestellt: Und dis soll helfen, sone Beschwerde ans Salzamt?

Was heißt helfen? meint Atze. Alle Beschwerdeführer erhalten eine Eingangsbestätigung mit Registriernummer: Hiermit nimmt das Bundessalzamt von Ihren Kümmernissen Kenntnis. Sie werden von uns hören, und Sie werden sich noch wundern.

Echt geil, sagt Herr Kafforke und bestellt gleich noch ne Lage. Und denn rotiert ihr, dass dis Bonner Wasserwerk nur so sprudelt?

Du hast et erfasst, sagt Atze zu mein Jehülfen, du warst schon früher nicht der schnellste. Weißte noch, wie wir dir zum Sieger vons Fritze- Bollmann-Aufjebot erklärt ham, ohne deß du den Schwachsinn jeschnallt hast? Mann, ihr blöden Säcke, die Beschwerden werden alle in ein alten Salzstollen im Heidepark Soltau einjelagert. Die meisten Meckerköppe tun überhaupt nicht nachfragen, und wenn, denn hamse ihren Frust längst abreagiert und wir können ihnen mit ein Zwischenbescheid die Luft rauslassen.

Atze, sag ick, ick hab ja selber ein Problem. Es soll da eine neue Verfügung geben: Jeder Frisörmeister, der SED-Mitgliedern die Haare jeschnitten hat, soll abjelöst und durch einen unbelasteten aus Niedersachsen oder Bayern ersetzt werden.

Onkel Willem, meint Atze, dis lässte dir auf kein Fall bieten, da beschwerste dir doch glatt beim Salzamt. Und dis mach ich! Worauf Sie sich verlassen können. Macht sechsachtzig. Und wenn der Hund jelogen hat, sorg ick bei die nächste Bundestagswahl dafür, deß dis Salzamt da landet, wo der Pfeffer wachsen tut. Und wenn ick damit nicht durchkomme, mach ick ’n Fass uff: Beim Salzamt!

 

Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnten. von C. U. Wiesner: TextAuszug