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Wir hatten uns im letzten November kennengelernt. Ich war für eine Woche hochgefahren und verfluchte diese Idee sehr bald, denn es regnete vom ersten bis zum letzten Tag. Unablässig tutete das Nebelhorn auf dem Lüchting. Bald saß die Nässe im Haus, machte sich breit wie ein ungebetener Gast und grinste sich eins über das bisschen Terror, das ich mit dem kleinen Warmluftgebläse veranstaltete, in Szczecin auf dem Flohmarkt gekauft und in Pomellen über die Oder-Neiße-Friedensgrenze geschmuggelt. Mit der Arbeit, die ich mir mitgebracht hatte, kam ich ganz gut voran, aber die Stunden dazwischen ... Ich hatte nicht mal mehr Lust, in Gummistiefeln durch das matschige Hafengelände zu staksen. Mich befiel des Herbstes großer Katzenjammer. Den verlassenen Strand mied ich, um nicht die brandungsüberspülten Burgruinen mit ihren übrig gebliebenen Sonnenölflaschen zu sehen. Zeilen aus Rilkes schönem Herbstgedicht, Erinnerung an die Abiturzeit, verursachten mir einen melancholischen Schluckauf ...
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Dabei hatte ich ein Haus, wenn auch nicht selbst erbaut, wenn auch nicht winterfest. Die Einsamkeit aber war bedrückender als das klamme Bettzeug.
An einem dieser Abende klopfte es an die Tür. Draußen stand die neue Briefträgerin, hielt mir wortlos ein Telegramm hin (der Inhalt war überaus unwichtig, eine Klubhausleiterin sagte einen Lesungstermin ab), zitterte vor Kälte und Nässe am ganzen Körper, und ich wusste nicht, ob ihr Regentropfen oder Tränen über das kleine, schmale Gesicht liefen. Sie war, wie üblich, mit dem Fahrrad hinaus in die Heide gefahren, und das reichte ihr, um sich trotz des Regencapes nasse Beine zu holen.
Ich wusste nicht viel von ihr, nur dass man sie im Dorfe Ilsing nannte, dass sie nicht von hier stammte und dass es mit der Postzustellung wie am Schnürchen klappte, seit sie den versoffenen Edwin Hauck abgelöst hatte, der ohnehin kaum noch krauchen konnte. Es wurde gemunkelt, dass sie ihren Mann hatte sitzen lassen, der irgendwo auf dem Festland was Besseres sein sollte, wie es die Einheimischen ausdrückten. Über den Kerl haben wir kein Wort gesprochen an jenem Abend, als ich sie an der Hand nahm und sagte: Komm rein, du arme nasse Katze!"
Ich habe ihr die alten Jeans von Uwe zum Umziehen gegeben und einen kräftigen Rotweinpunsch gebraut. Dann haben wir noch eine Schallplatte gehört, Mozart, glaube ich, und kaum dabei geredet. Sie kuschelte sich ganz selbstverständlich an mich und sagte irgendwann: Auch eine arme Katze will mal gestreichelt kriegen. Ich glaube, sie muss sehr müde gewesen sein, denn sie ist sehr schnell eingeschlafen.
Als ich am anderen Morgen wach wurde, regnete es noch immer. Auf dem Tisch fand ich einen Zettel. Drauf stand in einer etwas kindlichen Handschrift: Danke schön. Nun ist mir wieder wärmer. I.
Und auf dem Stuhl lagen Uwes Jeans.
Wenn wir uns später begegneten, konnten wir unbefangen über das Wetter sprechen. Von einem zärtlichen gemeinsamen Wachtraum war nie mehr die Rede. Geblieben ist die Freundlichkeit.
Es handelt sich um den Mann unserer Postbotin. Ein Tierarzt namens Doktor Rudolf Boelssen.
Der Wind drehte auf West. Mir wurde kühl. Ich ging eilig nach Hause.