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Frisör Kleinekorte in Venedig und anderswo. von C. U. Wiesner
Autor:
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
20.10.2013
ISBN:
978-3-86394-404-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 160 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Satire, Belletristik/Politik, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Geschichte
Belletristik: Humor, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Satirische Romane und Parodie (fiktional)
Humor, Satire, Berlin, DDR, Friseur Kleinekorte, Fritze Bollmann, Ungarn, 20. Jahrhundert, Humor, Kurzgeschichten, Politik, Satire, Zeitgenössisch
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Die Kellner sind jewetzt, trotzdem se jar kein Trinkjeld kriegten. Und sojar unser Dolmetscher Kartski raste mitm Tablett hin und her. Ham Sie denn dis nötig, frägt ihm Mutter, wie er sich nachher zu uns setzte. Ist auch mein Beruf, sagt er, ich bin Direktor von dieses Weinkeller, aber mach ich nur nebenbei. Also hauptsächlich sindse Dolmetscher, sag ick. Nein, sagt er, mach ich auch nur nebenbei. Mein Hauptberuf ist Frisör. Nu kriegten wir aber langsam dis große Wundern. - Aber wann bedienense denn Ihre Kunden, Haarschneiden und so? - Mein Geheimnis, sagt er und grinst übers ganze Gesicht, müssen Sie wissen, bei uns haben Frisör von morgens sieben bis abends um neun geöffnet. Ich gebe Anleitung in große Salon und machen Abrechnung. Wenn Arbeit ist gut eingeteilt, ich fahren nach Feierabend noch Taxi. Also, wie der det macht, weiß ick immer noch nicht, aber jedenfalls sind wir uns als Frisöre an den Abend mächtig näherjekommen und ham auf de Rückfahrt im Bus immer noch jefachsimpelt, während die andern janz laut Heute blau und morgen blau und andre schöne deutsche Volkslieder jesungen ham. Einmal mussten wir unterwegs anhalten, weil Dokter Bohnstengel ein dringendes Bedürfnis hatte. Jaja, hab ick janz laut zu der Ollen jesagt, wenn man erst habilitiert, ist die Blase meistens ooch schon anjegriffen.

Am nächsten Vormittag machtense mit uns die Stadtrundfahrt, und Kartski erzählte uns ’n Schlag aus die Jeschichte von die ollen Mattjahren, als wie sich die Ungarn nennen, wenn se mehr so unter sich sind. Mit Budapest isses jenau umjekehrt wie mit Berlin. Früher warnse zwei Städte, jetz sind se eine. Aber die Donau kam mir nicht halb so blau vor wie unsere Reisejruppe an dem Weinabend. Und auf alles sind die Ungarn unheuer stolz, zum Beispiel auf ihr Parlament. Dis is zwar ne Nummer jrößer als wie unser Palast der Republik, aber dafür ville unmoderner und hat nicht mal Jastronomie.

Von die Fischerbastei war ick ’n bißken enttäuscht. Dis is nämlich nischt andres als wie ne Art riesiger Balkong mit lauter kleine Türmchen und ein Blick auf dis Parlament, aber dis kannten wir ja schon. Wie nu die Leute aus unsre Jruppe alle schwärmten, hab ick jesagt, wir ham ne ville jrößere Bastei inne Sächsische Schweiz, und in Berlin gibts ne janze Fischerinsel. Denn langsam hatten wir jenug von die Kirchen und andre Altertümer, denn wir mussten doch noch unser Jeld unter die Mattjahren bringen.

Nachs Mittagessen sind Muttern und ick gleich losjepeest, haben uns sojar in die neue U-Bahn jetraut, wo in Budapest Felderlotti heißt und einen janz fremdartig vorkommt, weil se innen und außen blitzsauber is. Da kann man ooch nicht schwarzfahren wie bei uns. Wer dis versucht, kriegt gleich ’n Leberhaken mitm Stahlarm von son einjebauten Robotter.

Mit dis Einkaufen hatten wir leider Pech, weil Silvesternachmittag alleJeschäfte geschlossen sind, und nu wars Essig mit Paprika, Salami und meine jestickte Weste. Dafür sind wir in dis jemütliche alte Café Rußwurm aufm Burgberg einjekehrt. Trotzdem dis bloß klitzeklein is, hamse da über fuffzig Sorten Torte und sone leckeren Petöfis mit Zuckerjuß zur Auswahl, aber mehr als acht Stücke hat Muttern beim besten Willen nicht jeschafft. Bloß mit den Kaffee muss man sich mächtig umstellen. Ick sage in mein bestes Reiseführer-Ungarisch zu den Kellner: Velour, Ketten-Fäkalität, also Herr Ober, zwei Schwarze. Sagt er mit unbeweglicher Miene:

Der Herr können ruhig deutsch sprechen. Und denn kam er mit dem Kaffee, dis war aber bloß ein Schluck für jeden. Dafür musste Muttern gleich ihre Herzdroppen nehmen. Denn konnte se bloß noch jappen : Von soville Kaffee brüh ick uns ne janze Woche lang zum Frühstück. Wenn die so aasen, kann sich derJastwirt von den Kaffee nie ’n jroßes Auto leisten. Du weißt ja nicht, sag ick, wat der sonst noch macht, vielleicht isser nebenbei noch Minister und Donaudampfschiffskapitän.

Wie wir zurück zum Hotel jemacht sind, war schon am hellerlichten Nachmittag ein unjeheurer Trubel inne Stadt. Janz ville Leute, vom Opa bis zum Kleinkind, rannten mit sone bunten Papiertuten durch die Straßen und trompeteten, deß einem beinah dis Trommelfell platzte. Muttern sagte, bei den Lärm jeh ick heut nicht mehr aus mein Hotelzimmer. Völlig falsch, sagte ick, ran an Sarch und mitjeweent. Und denn hab ick uns zwei besonders jroße Pappfanfaren jekauft, bei ein Zigeuner am Stand, und der hat mir gleich noch sone Jesichtslarve anjedreht, damit sah ick denn aus wien janz oller Mann und konnte mir in Budapest sozusagen in Carnito bewegen.

Die Silvesterfeier fand in ein besonders feines Etablissemang statt, im Hungaria, aber dis hieß nur so, denn jespachtelt ham wir da pausenlos, und nur die allerfeinsten Sachen, ick kam mir vor wie son Warenprüfer im Delikatladen. Und zur Verdauung hab ick mit Muttern jescherbelt wie einst im Mai. Und dazu nur Schampus jetrunken, wat wir uns in Berlin nie leisten würden, aber wir hatten ja noch unsere janzen Forinten und konnten sojar die Leute am Tisch, wo ihre schon für Bücher, andere Kinkerlitzchen und Salami ausjegeben hatten, noch mit freihalten. Dabei jabs mächtigen Krach zwischen dis Ehepaar Bohnstengel, weil er andauernd mit Muttern danzen wollte. Da is die Olle schon vor zwölfe jiftig wie ne Natter ins Hotel abjezischt, und er hat mit mir Brüderschaft jetrunken. Hubert heißt der Junge und hat erzählt, deß er ooch bloß aus janz kleine Kreise kommt. Und Waldemar, dis is der Autofritze, hat mir immer wieder jesagt, deß ick von ihm jede Menge Radierreifen für mein Auto kriegen kann, dabei hab ick nie eins besessen. Und Kartschi hat mir auf beide Backen jeküßt, was mir ja an und für sich zuwider is: Wilhelm-Batschi, hat er gesagt, ich kommen dich besuchen in Berlin und zeig dir, dass ich nicht verlernt hab Haareschneiden.

Und denn schlugs auf einmal zwölfe. Alle Ungarn standen auf und sangen feierlich die Nationalhymne mit. Dis stellnse sich mal bei uns in Berlin, beispielsweise im Café Nord, zu ner Silvesterfete vor! Aber hinterher jing der Trubel erst richtig los. Alle Leute, auch draußen aufe Straße, fielen sich um den Hals und riefen: Bulldog, euer Fett! - also: Prost Neujahr! Und darauf muss man antworten: Küssele Wisent! - Danke gleichfalls.

Anschließend kam dis Küchenpersonal mit ein lebendiges Schweineferkel. Dis war in eine Serviette jewickelt, und alle Leute durften ihm an Schwanz fassen, dis bedeutet Glück.

Warum quietscht denn das Tierchen so laut, hat die dicke Hampken jefragt. Und da kann ick mir noch jenau erinnern, wie ick jeantwortet habe: Stell dir mal vor, dis würdense mit dein Waldemar machen!

Da hat Muttern ooch schon ihre schmalen Lippen jekriegt, is aufjestanden und hat jesagt: Willem, es is höchste Zeit für dir. Aber denn fehlen mir ’n paar Meter Fülm.

Am andern Mittag hat mir Muttern mit Mühe und Not und ’n nassen Lappen aust Bette jekriegt, und ne halbe Stunde später brachte uns der Bus zum Flugplatz. Aber so richtig aufjewacht bin ick erst, wie wir wieder in Schönefeld jelandet sind. Drei Tage hat se nicht mit mir jeredet. Da hab ick ebent ooch rumjegnatzt und mir jesagt, Leute, die kein Sinn für jroßstädtische Verjnügungen ham, sollen Silvester auf ne Kuhbläke fahren oder aufm Arsch bleiben. Aber am vierten Tag bin ick los und hab ihr für teures Jeld echte ungarische Konjackkirschen jekauft und se ihr mit ein mattjahrischen Handkuss überreicht, woran man wieder sieht, deß Reisen büldet. Aber nu hab ick Ihnen lange jenug aufjehalten. Macht zweifuffzig! Alles Jute und auf Wiedersehen, oder auf ungarisch: Wisent, Latschen hoch!

 

Frisör Kleinekorte in Venedig und anderswo. von C. U. Wiesner: TextAuszug