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Vielleicht hätte Wally ruhig bis zum Morgen gewartet und Frank erst dann ohne viel Umstände, aber auch ohne Schnödigkeit, gewissermaßen als Feststellung eines Tatbestands mitgeteilt, dass nunmehr ihre Wege auseinandergingen. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie aus Laune oder Leidenschaft sich mit einem Mann eingelassen, ihr Vergnügen ausgekostet, ihre Neugierde gestillt und dann, unsentimental, wenn auch bisweilen mit etwas Herzweh, etwas vorweggenommener Erinnerungssehnsucht, einen Strich unter das Erlebnis gemacht hatte.
Vielleicht hätte Wally ihm auch gar nichts gesagt, vielleicht hätte sie ihn sogar in dem holden Wahn gelassen, diese Nacht sei ein Vorspiel gewesen, nicht eine unwiderruflich abgeschlossene Episode wenn Frank nur stillgeblieben wäre.
Aber Frank konnte nicht schweigen. Es brach aus ihm hervor, anders als bei seinen sonstigen Ergüssen: gewaltsam, ohne Plan, ohne Kontrolle. So prasselt ein Tropenregen los oder ein Erdrutsch.
Immer habe er es schwer gehabt, trotz aller Tüchtigkeit. Nie noch sei ihm etwas mühelos in den Schoß gefallen wie den Sonntagskindern, den Charmeuren, den im Purpur der Macht Geborenen. Jede Position habe er sich erkämpfen, jede Chance erarbeiten müssen, im Schweiße, jawohl, im Schweiße seines Angesichts. Aber nun sei der Bann gebrochen, das Tor zum Himmel aufgesprengt, der Griff nach den Sternen gelungen, mühelos, wie im Traum, wie im Zustand der Gnade.
Mit wachsender Unruhe hörte Wally ihm zu. Diese Geständnisse ließen sich nicht einfach als aufdringliche Taktlosigkeiten abtun. Frank schauspielerte nicht, diesmal bestimmt nicht! Seine Ekstase war ungekünstelt, sein Wunderglaube echt. Er redete in Zungen wie ein Bekehrter.
Wally war nicht zynisch, sie verwechselte bloß das Fehlen einer festen Weltanschauung mit Vorurteilslosigkeit, und sie glaubte, dass es genüge, keine Grundsätze zu haben, um frei von Spießerei zu sein. Die von ihr schon früh, als Waise im Hause eines reichen und lebensfreudigen Großvaters genossene Unabhängigkeit hatte in ihr vor allem den Hang zur Neugierde und Abenteuerlust entwickelt. In anderen Verhältnissen, wenn Wally es weniger leicht gehabt hätte, wäre sie wahrscheinlich leidenschaftlich und kämpferisch, anstatt sinnlich und bohemienhaft geworden. Immerhin hinderte ihre Vitalität sie daran, stets nur die Wege des geringsten Widerstands zu gehen; ihr Abscheu vor Langeweile führte sie des Öfteren zum Nachdenken; ihre Ironie ließ sie niemals ganz selbstzufrieden werden, wennschon es selten genug vorkam, dass die Selbstbespöttelung sich zu zorniger Unzufriedenheit steigerte.
Jetzt war es wieder einmal soweit. Wally wurde von einer noch nicht gekannten Beschämung überwältigt. Nie hätte sie in diesem Frank, mit dem sie keine Gemeinschaft hatte und keine haben wollte, solche Gefühle hervorrufen, nie hätte sie ihn so aufwühlen und verwandeln dürfen!
Mein Gott, was habe ich da nur angestellt?, dachte sie ratlos und erbittert. Das war gemein von mir. Schmutzig. Ach, pfui, bodenlos gemein und schmutzig! Sie rückte von Frank ab, vergrub sich in den Decken und scheuchte ihn hinaus: ihr sei nicht gut, sie müsse eine Grippe in sich haben, er solle ihr doch etwas Codein besorgen und, wenn möglich, auch einen Glühwein.
Frank hörte aus ihren Reden nur eines heraus: dass sie krank zu werden fürchte. Er fuhr in seine Kleider und stürzte davon.