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Auftritt der Geister. Szenen gegen das Vergessen von Erich Weinert
Autor:
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Preis E-Book:
2.99 €
Veröffentl.:
11.06.2025
ISBN:
978-3-68912-523-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 201 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Kurzgeschichten
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Budapest, Bolschewiki, Dialektik, Emigration, Empörung, Exil, Faschismus, Gerichtsdrama, Hinrichtung, Imperialismus, Justizwillkür, Klassenkampf, Klassenverrat, Köln, Kommunismus, Konformismus, Machtmissbrauch, Manipulation, Medienkritik, Menschenverachtung, Militärgewalt, NS-Zeit, Opportunismus, Pazifismus, Politische Satire, Proletariat, Repression, Revolution, Rhetorik, Schulalltag, Shanghai, Sozialdemokratie, Systemkritik, Unrecht, Weltkrieg, Kriegspropaganda, Widerstand, Zeitkritik, Zensur, Zivilcourage
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DER ERZIEHER

PERSONEN:

Frau Butz, Beamtenwitwe

Ferdinand, ihr Sohn

Kniebus, Gymnasialdirektor

Der Schuldiener

 

ORT:

Sprechzimmer des Direktors

 

SCHULDIENER

(führt Frau Butz und Sohn herein) Bitte nehmen Sie Platz! Herr Direktor kommt gleich. (Er geht wieder.)

FRAU BUTZ

Danke.

FERDINAND

(weist auf ein Riesenbild Hitlers über dem Schreibtisch) Guck mal da, Mama!

FRAU BUTZ

Ist doch jetzt Vorschrift, Junge!

FERDINAND

Aber Goethe ist weg. Da hing nämlich früher Goethe!

FRAU BUTZ

So. Mhm. Also, Ferdi, ich bitte dich, sei nicht wieder vorlaut! Denk immer daran: Der Mann hats jetzt auch schwer – muss doch mit den Wölfen heulen!

FERDINAND

(grinst).

FRAU BUTZ

Ich denke, er wird ja auch unsere Lage verstehen – wo wir doch früher …

DIREKTOR KNIEBUS

(tritt ein, hebt die Hand zum Gruß) Heil!

FERDINAND

(steht auf, hebt die Hand ein wenig).

KNIEBUS

(setzt sich) Sie haben mich zu sprechen gewünscht, Frau Butz. Ich nehme an, es handelt sich (er blättert im Terminkalender), es handelt sich um den Sohn. (Er mustert Ferdinand.)

FRAU BUTZ

Ganz recht, Genosse Kniebus.

KNIEBUS

Wenn Sie sich dieser schlichten Anrede bedienen wollen, Frau Butz, dann bitte entwürdigen Sie sie nicht durch Unvollständigkeit! Es heißt: Volksgenosse!

FRAU BUTZ

Ich weiß schon, was Sie sagen wollen – aber ich dachte, hier, wo wir unter uns sind …

KNIEBUS

Was heißt unter uns?

FRAU BUTZ

Sie kennen mich wohl nicht mehr? Wir waren doch im sechzehnten Kreis in der SPD zusammen! Sie hatten doch immer die Kulturabende bei den Frauen geleitet. Mein Mann hat immer große Stücke auf Sie gehalten. Er ist ja im Juni gestorben. Hat immer gesagt: Das ist eine Säule der Republik, der Genosse Kniebus!

KNIEBUS

Gestatten Sie, dass ich Sie unterbreche, Frau Butz! Sie sprechen von einer nun Gott sei Dank ausgelöschten, entehrenden Vergangenheit.

FRAU BUTZ

Ich wollte Sie ja auch gar nicht in Verlegenheit bringen, Herr Direktor. Ich weiß ja, dass Sie Rücksicht auf Ihre Stellung …

KNIEBUS

Ich darf wohl zur Sache kommen! Also – Ihr Sohn läuft Gefahr, den Reifegrad nicht zu erwerben. Der junge Mann hat sich durch sein renitentes Wesen, die Prinzipien der Unterordnung und des Gehorsams noch nicht begriffen habend, die Sympathie seines Ordinarius verscherzt – und ich glaube, dass jede mütterliche Intervention hier überflüssig ist, so gut sie gemeint sein mag.

FRAU BUTZ

(nach einer Pause) Es war ja auch nicht so, dass ich eine Protektion wollte. Ich dachte nur daran, wie sehr Sie sich damals in Ihren Vorträgen für Gerechtigkeit eingesetzt hatten. Ich dachte, um es ganz offen zu sagen, mit dem Genossen Kniebus kann man ja ein menschliches Wort reden.

KNIEBUS

Sie scheinen doch einer etwas deutlicheren Aufklärung zu bedürfen. Frau Butz. Ich habe in der Tat einmal die Mitgliedskarte dieser vaterlandsverräterischen Partei gehabt. Haben müssen. Sie haben es natürlich nie erfahren können, unter welchem Gesinnungsterror der Systemparteien, besonders der SPD, wir Kämpfer an der Kulturfront standen. Jahrelang habe ich gestöhnt unter der Heuchelei, zu der die schwarz-rot-gelben Unterrichtsministerien die leitenden Schulmänner zwangen. Und – Sie können mir glauben, werte Frau – mit einem Schrei der Erleichterung haben wir am dreißigsten Januar anno domini neunzehnhundertunddreiunddreißig dieses Joch von uns geworfen, da wir wussten: Nun endlich ist die Bahn den aufrechten Männern frei gemacht. In dieser Stunde bereits erwarb ich das Mitgliedsbuch der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Nun, hoffe ich, wissen Sie, mit wem Sie reden!

FRAU BUTZ

(verwirrt) Entschuldigen Sie vielmals, Herr Direktor!

KNIEBUS

Sehen Sie, wir Nationalsozialisten …

FRAU BUTZ

Entschuldigen Sie. Ich möchte nicht länger stören – ich wusste nicht …

KNIEBUS

Nun wissen Sie also. Der Fall Ihres Sohnes Ferdinand liegt, nach dem Rapport seines Ordinarius, folgendermaßen: Der Schüler Butz erlaube sich des Öfteren, besonders bei Behandlung des Pflichtthemas „Deutschlands Verfall und Aufstieg, 1918 bis 1933“, ungehörige Fragen zu stellen und Einwürfe zu machen, die deutlich als Ausflüsse unvölkischer und zersetzender Ideologien erkennbar seien.

FRAU BUTZ

Ich habe nicht ganz verstanden. Was hat er gemacht?

FERDINAND

Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Herr Direktor?

KNIEBUS

Bitte.

FERDINAND

Es ist anders. Herr Doktor Spannlang gibt mir seit längerer Zeit auf Fragen überhaupt keine Antwort mehr.

KNIEBUS

Es gibt Fragen, die keine Antwort verdienen.

FERDINAND

Ich weiß nicht. Darf ich Ihnen ein Beispiel anführen? Als er neulich ein Lebensbild von Karl Marx entwarf und diesen als einen perversen jüdischen Syphilitiker und stümperhaften Philosophaster bezeichnete und ich ganz bescheiden fragte, wie es dann aber zu erklären sei, dass selbst bürgerliche Kritiker, die ich gelesen hatte, ihn als einen der größten, wenn nicht den größten Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts hinstellten …

KNIEBUS

Da hat er Ihnen keine Antwort gegeben, nicht wahr?

FERDINAND

Nicht nur das – er hat mir drei Striche wegen flegelhaften Betragens eingetragen!

FRAU BUTZ

Hast du denn das so flegelhaft gesagt, Ferdi?

FERDINAND

Nein.

KNIEBUS

(steht auf) Seien Sie doch mal ganz ehrlich, junger Mann. Sie haben doch mit dieser Frage eine bestimmte Absicht verbunden, nämlich Ihren Ordinarius in den Augen Ihrer Mitschüler zu diskreditieren!

FERDINAND

Nein, Herr Direktor!

KNIEBUS

Unterbrechen Sie mich nicht. Und nicht nur Ihren Ordinarius, sondern auch die leuchtende Weltanschauung unseres Führers verächtlich zu machen? Wie?

FERDINAND

(steht auf) Nein, Herr Direktor!

FRAU BUTZ

Mit Absicht sicher nicht, Herr Direktor! Aber ich bitte Sie, bedenken Sie doch, wie der Junge erzogen worden ist!

KNIEBUS

Gar kein Milderungsgrund, gar kein Milderungsgrund! Ein Jüngling, der von der heiligen Welle der nationalen Revolution nicht höher getragen wird und mit der greisenhaften ratio an der Welt herumtüftelt, anstatt – wie sich das gehört – zu glauben, ein solcher Jüngling hat das Anrecht verwirkt … nun, ich möchte nicht beleidigend werden.

FRAU BUTZ

Nun, Herr Direktor, dann wird wohl auch jede Anstrengung meines Sohnes vergeblich sein. Verzeihen Sie die Belästigung, Herr Direktor! (Sie steht auf.)

FERDINAND

Einen Augenblick, Mama! (Sein Gesicht ist gerötet.) Herr Direktor, wenn wir auch glauben und nicht mehr denken sollen – darf ich Sie dennoch um eine Aufklärung bitten?

KNIEBUS

(unruhig am Fenster) Stehe zur Verfügung.

FERDINAND

Ich entsinne mich, dass Sie einmal bei einem Jungbannerabend die Festrede gehalten haben. Da stellten Sie die Prinzipien der Demokratie, des Humanismus und der Meinungsfreiheit als die unzerstörbaren Säulen der menschlichen Gesittung hin.

KNIEBUS

(gereizt) Na und?

FERDINAND

War das bei Ihnen damals Überzeugung, Herr Direktor?

KNIEBUS

Schon die Frage ist eine Unterstellung, junger Mann! Das war meine Überzeugung; aber Überzeugungen ändern sich mit den Erlebnissen. Wer gegen seine Überzeugung spricht, ist ehrlos!

FERDINAND

Das meine ich auch. Und deshalb werde ich meinem Ordinarius nie die Antwort geben, zu welcher er mich zwingen möchte, sondern nur die, welche ich für richtig halte!

KNIEBUS

Soso! Sprechen Sie übrigens auch mit Ihren Mitschülern in dieser Weise?

FERDINAND

Ja.

KNIEBUS

So. Dann wären Sie ja relegationsreif.

FRAU BUTZ

Herr Direktor, er spricht unüberlegt.

FERDINAND

(heftig) Nein, ich weiß, was ich spreche!

KNIEBUS

Soso! Sie machen also marxistische Propaganda in der Anstalt.

FERDINAND

Jawohl. Weil ich nicht so feige bin, meine Überzeugung für eine Karriere zu verkaufen!

FRAU BUTZ

(entsetzt) Ferdinand!

KNIEBUS

(geht zur Tür und öffnet) Ich darf wohl bitten!

FRAU BUTZ

(im Hinausgehen) Verzeihen Sie …

FERDINAND

(geht mit stolzem Schritt hinaus, sehr laut) Mahlzeit!

KNIEBUS

(aufgeregt ihm nachrufend) Wissen Sie nicht, was sich gehört? Können Sie nicht Heil Hitler sagen?

FERDINAND

(von der Treppe heraufbrüllend) Nein!

KNIEBUS

(ruft in den Korridor nach dem Schuldiener) Dießel, kommen Sie mal rein!

SCHULDIENER

(kommt) Herr Direktor?

KNIEBUS

Notieren Sie mal: Schüler Butz, Ferdinand, Untersekunda III, darf das Gebäude der Anstalt nicht mehr betreten. Staatsfeindliche Betätigung.

SCHULDIENER

(schreibt) … Staatsfeindliche Betätigung.

KNIEBUS

Sie informieren wohl Ihren Pg. Sturmführer.

SCHULDIENER

Den Jungen werden wir uns mal angucken!

Auftritt der Geister. Szenen gegen das Vergessen von Erich Weinert: TextAuszug