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1889
Poem
Surka heiß ich, bin ein armes
Judenmädchen. Gott verlieh mir
Keine Schönheit, bin verwachsen
Und bin hässlich von Gesichte.
Wie sollt auch die arme Surka
Wohlgestalt und Schönheit werden!
Ohne Mütterchen und Vater
Wuchs ich auf bei fremden Leuten,
Die mich prügelten und stießen.
Und so lebt ich zwanzig Jahre.
Lebte? Nein, von einer Schenke
In die andre musst ich kriechen,
Musste Tag und Nacht mich rackern.
Faul und leckrig war die Wirtin
Und der Wirt ein böser Frömmler,
Und die Gäste stolz und kiesig
Alle hatten sich verschworen,
Immer nur die Magd zu hetzen;
Und, gekniffen und gestoßen,
Soll sie nicht zu winseln wagen,
Muss zum dummen Spiel noch lachen
Hinter der Empörung Tränen.
Ja, so lebt ich zwanzig Jahre.
Einmal hört den Wirt ich flüstern:
Wirst du zu mir kommen, Surka,
Nachts, wenn meine Frau verreist ist?
Bin ich unschön auch, verwachsen,
Mein Verstand noch dumm und dunkel,
Kann ich auch nicht lesen, schreiben,
Weiß auch nicht, zu Gott zu beten
Ahnt ich doch im tiefen Herzen,
Was der Wirt von mir verlangte.
Erst gedacht ich fortzulaufen,
Dann der Wirtin zu erzählen.
Doch dann kam mir ein Gedanke:
Ist doch gleich, mein Leben rieselt
Wie das Wasser durch die Sümpfe,
Ohne Glück und ohne Freude!
Sterben werd ich und nichts wissen
Von dem Glück, das alle kennen;
Und wer unfruchtbar ist, soll ja
Auch nicht in den Himmel kommen.
Möcht doch gern ein Kindlein haben.
So ein kleines! Gott im Himmel,
Ach, wie werd ich lieb es haben!
Deine Händchen, deine Füßchen
Werd ich mit den Lippen wärmen!
Mir vom Munde werd ich sparen,
Dass von uns doch eines satt wird.
Mögen sie mich schimpfen, schlagen,
Wenn nur wie ein Menschenkindlein
Meine Blume sich entfaltet!
Ja, so gingen die Gedanken,
Wenn am Fluss ich Wasser schöpfte,
Wusch die Schüsseln in der Küche
Und des Schankwirts Krempel putzte.
Und ich fühlte stark und stärker,
Wie sich unter meinem Herzen
Etwas schon begann zu regen.
Oft versetzt es mir den Atem,
Und es fällt, als wär ich trunken,
Mir die Arbeit aus den Händen.
Sitze mit geschlossnen Augen
Und im Halbschlaf flimmerts, wimmerts;
Ach, es ist das liebe Kleine;
Und ich fühl was Weiches, wie es
Nach der Mama Brüsten zappelt,
Lacht und strampelt mit den Beinchen.
Lange hätt ich so gesessen,
Hätte nicht die Wirtin heimlich
Mich beluchst; sie schrie und zankte,
Und sie schlug mich ohn Erbarmen.
So aus meinem Traum gerissen,
Schau sie an doch ohne Bösheit!
Denn in jenen Tagen hatt ich
Nicht ein Krümchen Hass im Herzen
Aber stolz wie eine Zarin
Hätt zum Weib ich sagen mögen:
Bist du auch die reiche Wirtsfrau,
Ich die Schaffnerin, die ärmste,
Bin doch dir jetzt gleich geworden!
Böse, ich bin Mutter, Mutter!
Als die schwere Stunde nahte,
Kam die Wirtin bald dahinter.
O was war das ein Gezeter!
Und in Schnee und Wind und Kälte
Jagten sie mich aus der Schenke.
Und der Wirt, der vor der Alten
Zittert, wagte nicht zu piepsen;
Doch im Herzen war noch Mitleid,
Spannt die Stute vor den Schlitten,
Brachte mich zur alten Amme,
Gab ihr heimlich ein paar Kronen;
Und er sagte: Surka, Ärmste,
Magst, solang du kannst, hier wohnen;
Und ich werde für dich sorgen.
Fürchte Gott, und nie ein Wörtlein
Sollst du meiner Wirtin sagen,
Dass das Kind von mir ist, hörst du?
Weil die Böse sonst mich umbringt!
Einen Jungen schenkte Gott mir,
Schön und kräftig, wie ein Engel.
Einen Monat bei der Amme
Lebt ich, bin schon wieder munter;
Doch mein Wirt lässt sich nicht blicken.
Alt und arm ist doch die Amme
Und hat selber nichts zu beißen.
Keine Arbeit, keinen Kreuzer
Oh, es ging uns bitter, bitter.
Und die alte Amme sagte:
Siehst doch, Surka, Ärmste, dass wir
Hier nicht länger leben können
Jeder muss ein Nest sich suchen.
Mache zu mein Haus im Winter,
Such im Armenhaus ein Eckchen.
Aber du, pack auf dein Kindchen,
Geh zu deinem Wirt, du Ärmste!
Wenn die Wirtin dich nicht einlässt,
Musst du eben weiterziehen.
Grausam war der Frostwind, beißend,
Und im Feld war Schneegestöber.
Barfuß lauf ich, nichts am Leibe;
Alles hatt ich nur gewickelt
Um das Kind, dass es nicht fröre;
An mich selber dacht ich wenig.
Und ich kam zur Schenke wieder,
Trat zur Tür ein. Doch die Wirtin
Fauchte an mich wie ein Sperber
(Hatte eine neue Magd schon).
Böse keift sie: He, was willst du?
Meinen Lohn mir holen, sagt ich,
Denn ich schaffte hier fünf Jahre.
Oh, da fing sie an zu kreischen:
Sag, du liederliche Natter,
Wessen Kind ist das, du Unzucht?
Meines, sagt ich drauf, und Gottes!
Sagst du nicht, von wem das Kind ist,
Kriegst du Lohn nicht einen Kreuzer!
Niemals werd ichs sagen, niemals!
Marsch, dann aus dem Haus, du Fetzen!
Dass du nie mir vor die Augen
Kommst mit deinem grindgen Bankert!
Fürchtet Ihr nicht Gott, Frau Wirtin?
Sag ich. Seht den Schneesturm draußen;
Und ich bin fast nackt und barfuß.
Habe doch ein kleines Kindchen.
Es wird Nacht, wo soll ich hin denn?
Fort, mein Haus wird nicht besudelt!
Scher dich zu des Teufels Mutter!
Wütend sprang sie auf, die Schlange,
Stieß mich aus der Tür. Da stand ich
Nun im Frost und Schneegestöber.
Wie von Sinnen ging und ging ich;
Ach, so schwer war mirs im Herzen
Wo war nur der Wirt geblieben?
Warum ließ er das geschehen?
Warum sprach er nicht, und warum
Wehrt er nicht der giftgen Natter?
Doch wo komm ich nachts nun unter,
Und an welche Türe klopf ich?
Wohl fünf Jahre in der Schenke
Lebt ich, doch war nie im Dorfe,
Kannte nicht die Leute, die dort
In den grauen Häusern wohnen.
Alle sind mir fremd geblieben,
Alle kamen nur, zu saufen,
Alle nur, die arme Jüdin
Zu beschimpfen und zu schlagen.
Und mir wurde schrecklich einsam.
So als wär im tiefen Wald ich
Unter Wölfen.
Dunkel wird es.
Und das Kind fing an zu weinen.
Da ich fühle, dass die Brust noch
Milch hat, setz ich an den Zaun mich
In den Schnee im dunklen Winkel,
Dass ich seinen Hunger stille.
Und auf einmal fängt das Kleinchen
Fest und gierig an zu saugen
Denn noch fühlt es nicht die Kälte.
Aber rote Bäckchen hat es.
Und es trinkt, mit schwarzen Augen
Blickts mir ins Gesicht und schaut so,
Ganz verständig, so als wollt es
Mir mit seinen Augen sagen:
Brauchst dich nicht zu fürchten, Mama!
Und da war mirs so, als wär es
Um mich mild und hell geworden
Und der Schnee schon weggeschmolzen.
Und es wehten warme Winde,
Und es winkten grüne Zweige
Und mein kleines Englein seh ich
An und kann mich gar nicht sattsehn
Ungemach und Leid vergaß ich
Plötzlich heulten wo die Hunde,
Und der Wind pfiff um die Ohren,
Warf den Schnee mir in die Augen
Und auf einmal kam ich zu mir,
Fühlte, wie mir Händ und Füße
Hart und taub wie Eis geworden.
Auch das Kindlein fror und weinte,
Und so müde wurd ich, müde
Gott im Himmel! Ich erfror ja!
Und in der Minute blitzte
Durch den Kopf mir der Gedanke:
Ja, erfriere, nichts ist besser!
Wirst nicht mehr zu leiden haben.
Doch des Kindes Weinen ging mir
Wie ein Messer durch die Seele;
Schändlich war ja, was ich dachte.
Mag ich selbst zugrundegehen!
Aber warum solls das Ärmste?
Alle Kraft nahm ich zusammen,
Wühlt und grub mich aus der Schneelast,
Denn ich war schon halb verschüttet,
Wickelte mein Kindchen fester
Laufen, doch Gott weiß wohin nur,
Ohne Kräfte. Es zu wärmen,
Drückt das arme Kind ich an mich,
Doch war selbst schon ohne Wärme.
Und es war kein Weg zu sehen.
Ich versackte in den Schneewehn,
Und der Wind schlug ins Gesicht mir
Fühllos stapf ich; und da seh ich:
Dort aus einem Häuschen blinzelt
Ein ganz schwaches Licht im Fenster.
Und auf einmal dacht ich: soll ich
Nicht mein Kindchen dort ins Vorhaus
Unters helle Fenster legen?
Denn hier schliefen noch nicht alle.
Wenn ein Kindlein weint, sie hörens,
Und dann holen sies und wärmens
Und dann lauf ich weg vom Hause,
Bis ich wo im Schnee verende.
Ja, so dacht ich und so tat ich;
Küsste zärtlich sein Gesichtlein,
Das schon angehaucht vom Frost war
Und beweht von kalten Flocken,
Packt es ein, so fest ich konnte;
Heimlich in die Mauernische
Unters helle Fenster schob ichs.
Und ich selber wie im Schlafe
Ging nun, ging nun übers Schneefeld.
Ach, das war ein Weg, ein schwerer!
Und es war, als ob die Beine
Immer schwer und schwerer würden;
Keine Kraft mehr, sie zu heben.
In die Augen schlägt der Wind mir,
Pfeift um mich und richtig hör ich
Wie er Worte pfeift: Unzüchtge
Surka, schändliche, was tust du?
Und da bleib ich stehn Im Herzen
Wie mit Nadeln stichts. Ich lausche
In den Wind, und aus dem Rauschen
Immer wieder, denk ich, hör ich
Wie das Kindlein bitter winselt.
Und ein schrecklicher Gedanke
Fing mir an im Kopf zu wühlen:
Wie nun, wenn sie alle schliefen!
Niemand hört des Kindleins Weinen,
Und mein Kindlein muss erfrieren!
Wie, und wenns die Hunde hören,
Und sie fressen es lebendig!
Und im Schnee versunken steh ich,
Wende mich mit allen Kräften,
Und ich fange an zu schreien:
Rettet mir mein Kind! Zu Hilfe!
Doch ringsum nur taube Leere,
Und der Wind frisst meine Stimme
Wie ein Pferd sich losmacht, reiß ich
Aus dem Schnee mich, laufe, laufe
Nach dem Dorf zurück. Ich strauchle,
Falle, laufe, stürze wieder,
Schrei und weine doch vergebens!
Laufe, unter Qualen lauf ich;
Und mir ists, als ob ich Stunden
Schon gelaufen, Ewigkeiten
Doch das Licht ist nicht zu finden.
Schober seh ich, Weidenbäume,
Höre fern die Hunde bellen,
Hör die tiefen Schleusen gurgeln,
Doch das Haus ist nicht zu sehen!
Nun ergriff mich die Verzweiflung
Und zerriss mir meine Seele.
Plötzlich wie Wahnsinn ras ich,
Und im Toben schrei und heul ich.
Was ist los?, so fragt mich jemand.
Schau mich um und der Gendarm ists!
Seh den Karabiner blinken
Und am Koppel ein Laternchen.
Als ich in der Schenke schaffte,
Hatt ich Angst vor dem Gendarmen,
Aber noch viel mehr der Schankwirt.
Aber hier auf einmal hatt er
Gar nichts Schreckliches mehr an sich.
Vor ihm auf die Knie hin sank ich
Wie vor meinem heilgen Retter.
Herr, so fleht ich, Surka bin ich,
Die dort in der Schenke diente,
Und ich bin mein Kind am Suchen!
Und erzählt ihm alles, alles.
Der Gendarm nahm an der Hand mich.
Führte mich herum im Dorfe,
Bis wir wo ein Lichtchen sahen.
Ist es dieses Haus hier?, fragt er.
Herr, ich weiß nicht, ich will nachschaun!
Ich ging hin o Gott im Himmel!
Ja, es wars, und auch die Nische
Doch das Kindchen war verschwunden!
Und wie leblos stand ich, sagte:
Fort das Kind! Doch da, im Hause
Ward es hell, ich hörte sprechen
Der Gendarm klopft an Wir treten
In die Tür, da hör ich weinen
Schon mein Kindchen. Gott im Himmel!
Konnt ich nur noch schrein, dann fiel ich
Draußen auf dem Flur in Ohnmacht.
Weiß nicht mehr, was dann geschehen,
Nur noch eins, als wenns ein Traum war,
Dass im Bauernhaus ich liege,
Hell die Stube, warm und sauber
Bei mir sitzt die gute Alte,
Sitzt, und traurig wiegt den Kopf sie,
Und ganz leise, leise sagt sie:
Ach, wie dumm doch warst du, Surka!
Warum klopftest du nicht? Sind wir
Solche Hunde wie dein Schankwirt
Und sein Schandweib? Wir sind Menschen!
Sag, ist das erhört, im kalten
Schnee ein Kindchen auszusetzen?
Noch ein Glück wars, dass ich wach war
Und gebetet hab. Da hör ich:
Dort im Vorhaus, unterm Fenster
Kläglich mauzt es wie ein Kätzchen
Wieder kam die Ohnmacht
Hier erst
Kam ich zu mir, im Gefängnis,
Im Spital. Drei Wochen hätt ich,
Sagen sie, verbracht im Fieber
Und nun soll ich vor den Richter.
Mag er richten, meinetwegen!
Ist mir gleich, wie sie mich richten!
Ist mir gleich, wie sie mich strafen!
Stand ich nicht in jener Nacht schon
Vor dem Richter? Überstand ich
Etwa nicht die schwerste Strafe?
Was nun wird soll mich nicht kümmern.
Arbeit hab ich nie gefürchtet;
Und vor nichts im Leben schreck ich,
Hab ich nur mein Kindlein bei mir.
Dafür will ich alles leiden
Einmal sagten sie, sie wollten
Mir das Kind nicht wiedergeben.
Nun, und weil ich so gefiebert,
Haben sies nicht zugelassen.
Denn sie sagen, unaufhörlich
Hätt gerast ich und geschrien,
Immer nur gesucht das Kleine,
Dass der Doktor schließlich sagte:
Gebt das Kind ihr, sonst kann ich mich
Für ihr Leben nicht verbürgen!
Und es ist schon schön gewachsen,
Und sogar schon lächeln kann es.
Seht doch, wie es spielt und zappelt,
Mit den Händchen nach der Brust langt!
Ach, mein einzger Schatz, mein kleiner.
Du mein ausgelassner Wildfang!