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Küchengespräche mit Frau L. von Elisabeth Schulz-Semrau
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
18.07.2014
ISBN:
978-3-86394-709-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 276 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Königsberg, Kaliningrad, 2. Weltkrieg, Neulehrer, Partisanen, KZ, Schlaganfall, Krebs, Krieg, 20. Jahrhundert
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Aber jetzt las sie endlich. Und wir saßen ohne persönliche Einladung in der zweiten Reihe sogar; wir waren einfach, als die hochgeschlossene Chefredakteurin sich um sie mühte, hineingeschlüpft, so ganz selbstverständlich tuend, zwischen all den festlich gekleideten Kulturschaffenden. Dabei waren gar nicht alle gekommen, diese Kultur- - ach, ich habe keine Lust, das Wort ärgerte mich seit ’ner halben Stunde, in der wir vergeblich versucht hatten, in den Saal dieses Barockschlösschens hineinzugelangen.

Sie las die Geschichte dieses Diplom-Ingenieurs, den wir schon im ersten Band kennengelernt hatten. Seine Frau war nicht mit zu uns gekommen, obwohl sie ihn liebte, er sie liebte. Einige Male war er in den kleinen Ort am Rhein gefahren, den die Schriftstellerin sicher selbst gut kannte, sie war ja aus der Gegend, immer aber ohne sie in das große Werk zurückgefahren, das er nach dem Krieg mit aufbaute. Und als sie sich endlich entschloss, sein Kind bei ihm, bei uns zu erwarten, war es zu spät, starb sie.

Warum ließ sie seine Frau sterben? Nun hätten sie doch endlich leben, miteinander, füreinander leben können. Dazu brauchte sie doch nicht herüberzukommen, wäre sie dann schon lieber dageblieben, auch wenn’s Westen ist, aber sterben? - Im Leben gibt’s oft so uneingeplante Dinge, die schmerzen oder ärgern. Nein, schon richtig, ein Patentschluss wäre unglaubwürdig, zu rosig.

Ihre Stimme ging über die Sätze hin, wie man unermüdlich, unaufhaltsam Wege geht, Landstraßen, Waldwege, Feldwege, Grenzwege, Landstraßen und wieder Landstraßen, manchmal müde, stockend, sich weiterschleppend, aber bis ans Ende, immer bis zum Ziel.

Es war auch etwas von Zügen in der Stimme, irgendwie fahrende Züge, die sich monoton in die Eisenbahnschwellen hineinbeißen, nocheinstück, nocheinstück, nocheinstück, an den Haltestellen da waren die Manuskriptblätter zusammengeheftet; vielleicht machte man es so als Schriftsteller, ein Kapitel fertig, zusammenstecken, vielleicht hatte sie es aber auch zum Zwecke der heutigen Lesung zu Hause vorbereitet, es mit unsicheren Händen auswählend, zusammenlegend.

Alles war irgendwie zerbrechlich an ihr. Als sie sich nach ihrem Eintritt vorhin in der erleuchteten Vorhalle zurechtgefunden hatte, machte sie mit dem linken Fuß ein paar Schrittchen unsicher zur Seite, dabei fiel die linke Schulter hilflos vor, wie ein verwundeter Flügel, der sich nicht mehr richtig dirigieren ließ, und als sie dann noch fragte: »Was soll ich nun tun«, so wie: »was erwartet ihr jetzt von mir, wie muss ich mich nun für euch bewegen«, war mir, als hätte niemand mehr das Recht, sie zu beanspruchen, sie um etwas zu bitten. Die sollten sie zufriedenlassen, sie ganz vorsichtig behandeln, sie hatte doch ihren Teil wirklich und lange übererfüllt. Tapfer habe ich gelebt, habe den Himmel gesehen, den nimmer ihr sehen könnt ...

Nein, »habe ich gelebt« stimmt nicht, darf nicht stimmen, und überhaupt hatte ich ja auch darauf gewartet, die Minuten zählend, trotz der missbilligenden Blicke der zwei Verlagsengel vom Dienst auf meine wenig feierliche Kleidung hatte ich gewartet, dass ich auch ohne Einladung ihr zuhören dürfte.

Der Ingenieur war jetzt noch einmal in die Stadt zurückgekehrt, wo seine Frau zuletzt gewesen war. Er suchte ihre Wirtin auf, sie gab ihm ein blau verwaschenes Kleid seiner Frau, es hatte damals noch auf der Leine gehangen, als sie sich kurz entschlossen zu ihm aufgemacht hatte.

Warum quält man sich selbst so, geht und wühlt in Erinnerungen, die Vergangenes nie wiedergeben können? Kleine durchsichtige Seifenblasen, deren Zerplatzen lauter leere Löcher zurücklässt. Quatsch, dann müsste einem das Innere ja völlig zerlöchert sein. Ist es vielleicht auch, so unter der Haut, wer kann’s sehen? Drüber glatte oder weniger glatte Haut, Lachen, »sie ist doch immer fröhlich«, sagen die Leute, »die kann nichts umwerfen«. Wie gut sie das wissen, die wissen alles.

 

Küchengespräche mit Frau L. von Elisabeth Schulz-Semrau: TextAuszug