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Einmal, noch einmal. Vorsichtige Schritte näherten sich der Tür. Vorsichtig wurde die Tür spaltbreit geöffnet.
Katharina erkannte Nase und Stirn des Jungen.
»Eh, Till«, sprach sie ihn an, »ich bins, Katja.«
Er reagierte nicht.
»Stör ich vielleicht?«, fragte sie verunsichert.
Um eine Winzigkeit öffnete der Junge die Tür. »Entschuldige, ich kenn so viele Leute ... worum handelt es sich?«
»Um nichts«, entgegnete sie verärgert. »Du hattest mich mal eingeladen. Da wollte ich einfach mal vorbeikommen ...«
Er sagte noch immer nichts.
Das ist mir zu blöde, dachte Katharina wütend. Erst führt er mich mit falscher Adresse und falschem Namen an der Nase rum, und jetzt tut er noch, als wenn er mich nicht kennt.
»Das wars dann wohl!« Sie drehte sich entschlossen um und ging.
»Katja«, rief der Junge plötzlich erfreut, »Katja, die Freundin von Ahmchen! Warte doch!«
Sie blieb stehen, vielleicht hatte er sie wirklich nicht erkannt. Sie standen sich auf dem schmalen, luftigen Gang gegenüber. Das T-Shirt »Power trotz Trauer« hatte er gegen eines mit dem Zeichen der Atomkraftgegner eingewechselt.
»Na, du fahrender Held von DT 64«, lenkte sie witzelnd ein, »du hast mich ja ganz schön auflaufen lassen.«
»Moment«, er zog die Tür hinter sich zu. »Wir setzen uns auf die Treppe, ja?«
Er ging vor ihr. Von seiner Arroganz, die sie in der Veranda an ihm bemerkt hatte, war nichts übriggeblieben. Er wirkte kindlich klein, als er mit hängenden Schultern vor ihr hertrottete. Was er als Treppe bezeichnete, war eine eiserne Stiege, die auf das Dach führte. Vor der Luke hing ein dickes Schloss an einer Kette.
Der Junge setzte sich neben sie. Im Arm hielt er einen Umhang oder ein Cape aus leuchtend smaragdgrüner Seide, von goldgelben Flammen durchsetzt. Aufgenähte Pailletten glitzerten.
»Was willst du denn damit?«, sie wies auf das Gewand.
Er schüttelte den Kopf. »Frag mich nichts. Frag mich nichts.« Schweigend saß das Mädchen neben ihm. Er sah durch seine geöffneten Knie auf den Betonboden zwischen seinen Füßen.
»Soll ich lieber gehen«, fragte sie. »Ist wohl nicht der richtige Moment ...«
»Nein!«, entgegnete er heftig, »bleib!« Er sackte wieder in sich zusammen und schwieg.
Da hab ich mir ja den Richtigen ausgesucht, um über mein Dilemma zu reden, dachte sie grimmig.
»Gemütlich ist es hier ja nicht gerade ... wollen wir uns irgendwo hinsetzen ...«, fing sie an.
»Bin pleite«, murmelte er.
»Macht nix. Ich hab genügend dabei. Ich lad dich ein.«
»Nein«, er schüttelte den Kopf.
»Du lässt dich nicht von Mädchen einladen?«, fragte sie ironisch.
»Quatsch!«
Er stierte wieder auf den Boden. Plötzlich legte er die Hände vor sein Gesicht und schluchzte: »Hier ist es die Hölle!«
Ratlos saß sie daneben, er drehte den Kopf zur Seite und wischte sich die Tränen weg. Katharina sah seine Unterlippe zittern. »Dann komm weg hier«, sagte sie energisch. »Gehen wir eben ein Stück.«
»Ich hab Fahrscheine«, sagte er mit belegter Stimme und fügte in eigenartiger Betonung hinzu: »Gefunden.«
Sie ging nicht darauf ein und fragte: »Wollen wir irgendwohin fahren?«
Er nickte. »Ich sag nur schnell Bescheid.«
Als er wiederkam, hatte er die Haare straff nach hinten gekämmt.
»Ich mach das so«, sagte er, als der Fahrstuhl nach unten aufsetzte, »wenn ich mal allein sein will, setz ich mich in die Straßenbahn und fahr von Endstation zu Endstation. Ich hab genügend Scheine«, fügte er hinzu, »auch für dich.«
»Was heißt überhaupt >gefunden<«, zitierte sie ihn. Sie saßen im letzten Wagen der Bahn, fast allein. Auch auf den Straßen waren nur wenig Leute unterwegs.
»Na was schon«, knurrte er. »Geklaut. Was sonst.«
Katharina sah nach draußen. Die sich mit der Fahrt verändernde Stadtlandschaft, die vor den Fenstern vorüberglitt, enthob sic der Notwendigkeit zu sprechen.
Ich lass ihm Zeit, bis er von selber anfängt, dachte Katharina.