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Frau Kißling verzog ihr faltiges, kränkliches Gesicht zu einem verlegenen Lächeln und verschwand mit dem Topf in der Küche. Dann brachte sie Pantoffeln für ihren Mann und nahm ihm die Pelerine ab. Wir werden nämlich von der Kriegshilfe unterstützt, sagte Kißling. Unser Mittagessen müssen wir vom Kloster holen. Ostermann setzte sich auf die Bank und streichelte die Katze, die durch das Fenster erstaunt auf die durcheinanderspringenden Hagelkörner schaute.
Frau Kißling brachte Hagebuttentee. Brot haben wir leider keines im Haus, sagte Kißling. Wir bekommen erst übermorgen neue Brotkarten, und bei zwei erwachsenen Menschen lässt es sich schwer einrichten. Er wärmte seine Hände am Teeglas und fragte dann: Wie geht es eigentlich den deutschen Kolonisten in Russland?
Ostermann hatte lange Zeit keine Nachrichten aus der Heimat erhalten. Die letzte war von seinem Bruder. Er war an der türkischen Front bei einem Straßenbaukommando. Er hatte geschrieben, dass ihm und seinen Kameraden die Kleider in Fetzen vom Leibe hingen, dass das Essen so schlecht und unzureichend sei, dass schon viele Kameraden gestorben seien. Vielleicht wird der Brief abgefangen, fürchtete der Bruder, dann steht mir sicher noch Schlimmeres bevor! Aber ich wollte Dir schreiben, solange ich noch schreiben kann.
Diesen Brief habe ich noch vor meiner Gefangenschaft erhalten, sagte Ostermann. Ob mein Bruder noch lebt, weiß ich nicht. Meine Schwestern arbeiten als Mägde bei deutschen Bauern, auch meine Mutter, sie ist über sechzig Jahre alt.
Unter den Kolonisten gab es also vor dem Kriege schon viele verarmte?, fragte Kißling.
Viele. In unserem Dorf gibt es heute mehr landlose Kolonisten als Landbesitzer. Auch ich arbeitete von meiner Kindheit an als Knecht.
Kißling stopfte sich eine Pfeife und erzählte dann: Ich war achtunddreißig Jahre Lehrer und kenne die Geschichte unseres Volkes ziemlich gut. Aus unserem Land sind viele ausgewandert. Es war um die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Eine Zeit wie jetzt, wo auch niemand wusste, wann endlich die Menschheit wieder einmal zur Ruhe kommen wird. Auch noch in der Napoleonzeit sind viele fort, nach Amerika, Australien, Argentinien und Russland. Von den Auswanderern nach Russland sind schon auf der Reise viele durch Cholera und Typhus umgekommen und viele andere später, weil sie mittellos und ohne Obdach in den russischen Winter hineingeraten sind. Nun sind wir wieder soweit zum Auswandern, aber wohin? Kißling trank in kleinen Schlucken von seinem Tee und begegnete dem ängstlichen Blick seiner Frau. Er fuhr fort: Sie haben es noch gut getroffen. Die Eckerts sind brave Leute. Die Frau stammt überdies von drüben, aus dem Elsässischen, er hat sie kennengelernt als Soldat.