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Ein unverantwortliches Buch
Erich-Günther Sasse hat einen „Roman einer Kindheit“ geschrieben
Als dieses Buch 1980 erstmals im Rostocker Hinstorff Verlag erschien, da hatte es schon höchst unterschiedliche Reaktionen ausgelöst – Schriftstellerkollege Joachim Nowotny lobte den „Brunnen“ in der Zeitschrift „Sinn und Form“ der Akademie der Künste der DDR geradezu überschwänglich und empfahl ihn seinen Studenten am Leipziger Literaturinstitut zur Lektüre. Besonders hervorhebenswert erschien Nowotny damals die „unbedingte Ehrlichkeit des Autors“. Ganz anders dagegen fiel die Einschätzung der DDR-Staatssicherheit aus. Danach sei die Fabel von Sasses Romans autobiografisch angelegt und zugleich der Versuch, den Typ des historischen Gesellschaftsromans mit betont kritischer Position zu bewältigen. Dabei dürfte dem Autor der Romantyp Erwin Strittmatters („Der Wundertäter“) als eine Art Vorbild gegolten haben, so die Einschätzung. Die reale Geschichtlichkeit der Vorgänge sei auch bei Sasse weitgehend verzerrt und subjektivistisch dargestellt. Der Autor wende die Methode des indirekten Angriffs auf Partei, Staatsmacht, allgemeine Erziehung im Sozialismus an, insofern er die negativen, zum Teil gehässigen Reflektionen in die Haltungen von literarischen Figuren verlege. Ein hervorstechendes Gestaltungsmittel sei „das prononcierte Unsympathischmachen von Vertretern der Partei der Arbeiterklasse und der Staatsmacht“. Förderung und Herausgabe des Romans seien objektiv unverantwortlich im Sinne sozialistischer Kulturpolitik und ihrer Prinzipien, hieß es damals inoffiziell.
Aber genau diese sich widersprechenden Einschätzungen machen die Lektüre dieses kritischen Buches auch heute noch sehr interessant. Interessant aber ist vor allem das Buch selber – Sasse beschreibt darin das Schicksal einer Großbauernfamilie. Ort der Handlung ist Wallkau. „Wallkau war ein Dorf von zweihundert Seelen, das im platten Land lag, ungefähr dort, wo die Saale in die Elbe fließt, dreißig Kilometer von der großen Stadt entfernt und gut zweihundert von Berlin.“ So steht es am Beginn dieses noch immer lesenswerten Buches, in dem von Weltveränderndem die Rede ist, allerdings nicht im Großen und Ganzen, sondern im Kleinen und Konkreten – eben in Wallkau. Und man versteht auch, was es mit dem Brunnen auf sich hat, ein tiefer Brunnen mit gutem, gesundem Wasser, der auch bei der größten Trockenheit nicht versiegte.
Zum besseren Verständnis sind dem E-Book die Besprechung von Joachim Nowotny in „Sinn und Form“ sowie die Stasi-Einschätzung beigegeben.