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Harte Jahre. Roman von Jürgen Ritschel
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
29.08.2012
ISBN:
978-3-86394-785-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 389 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Liebesroman/Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Liebesroman/Erotika, Belletristik/Familienleben
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
NVA, Drill, Militärknast, Wachvergehen, Sexualität, Schikanen, Demütigungen, Aufbegehren, Liebe, Kalter Krieg
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Eine Woche später zählte der Hauptfeldwebel beim Morgenappell von links nach rechts ab und teilte die Revierdienste ein. Rosenkranz und Brauer erwischten die Toiletten. Ganz zufällig. Wie zufällig, erwies sich bald. Drei der sechs Zylinder waren hoffnungslos verstopft.

Brauer prallte zurück, als die üble Brühe nach dem Ziehen stieg, und er unterdrückte heftigen Brechreiz. Er war ohnehin von zartem Wesen mit heller Knabenstimme, blasser Haut, feinstem rötlichblondem Haar, hellblauen Augen, kleinen Fettpölsterchen hier und da. Er sprach ein gepflegtes Hochdeutsch, Hannoveraner Deutsch, wie er immer versicherte. Er war der friedfertigste, netteste Mensch, der eher ein liebevolles Mädchen hätte sein können als ein Mann im Waffenrock. Irgendwer hatte ihn Lola genannt nach einem alten Armeewitz. Und wie er dort stand, vom Gestank gelähmt, und wie er seinen aufbegehrenden Körper zu bändigen suchte, tat er Rosenkranz leid.

"Komm raus, Lola, ich versuche mich mal." Er stand gleichermaßen hilflos vor dem ersten Becken und schluckte den Ekel weg. Ekel und aufkommende Wut überlagerten sich. Es existierte kein Revierdienstplan. Eine bewusste Unterlassung, um willkürlich diesen oder jenen für bestimmte Arbeiten einteilen zu können. Rosenkranz' Eichstrich war erreicht. "Sauerei, elende!" Dieser Aufschrei, der durch die Flure des Gebäudes schallte und wegen seiner doppelten Deutbarkeit aufmüpfig war, beorderte den Hauptwachtmeister zu den Toiletten. Er schob seine Mütze nach hinten und sah eine Weile amüsiert zu, wie der Abiturient hilflos in der Kacke rührte. "Kommen Sie an die frische Luft, Mann!" Er ging in den Raum, öffnete seelenruhig zwei Fenster. "Hier stinkt's wie im Affenhaus, aber an das einfachste denken Sie nicht."

Rosenkranz duckte sich. Dieser Hieb saß.

"Ich habe etwas gegen Muttersöhnchen, die kotzen, wenn sie ein Klo reinigen müssen." Der Hauptwachtmeister zog seine Uniformjacke aus, streifte beide Hemdsärmel über die Muskeln, rückte Eimer und Wasserschlauch zurecht. Er stellte sich stolz vor das erste Becken: Unterhemd, drüber die derben Hosenträger, die Mütze auf dem Hinterkopf. Ein verächtlicher Blick zu Rosenkranz, dann tauchte er einen Arm bis zum Ellenbogen in die frische Jauche, griff und grapschte und rührte und brachte endlich ein Knäuel Zeitungspapier hervor. Gelassen warf er es in den Eimer und spülte sich den Arm ab. Während er die Uniformjacke überzog, sagte er: "In einer Viertelstunde melden Sie Vollzuck!"

Zeit und Ton und die Hast, in der dieser Befehl ausgesprochen war, ließen Rosenkranz keine Wahl. Er zog seine Uniformjacke aus, streifte die Hemdsärmel hoch, wandte sein Gesicht zur Seite, atmete nicht und zog aus dem zweiten Becken ein Bündel Zeitungspapier. Er grinste Lola an. Den hob es wieder. Und nach Ablauf der Viertelstunde sagte er zu Lola: "Geh und melde Vollzuck!"

Jetzt lächelte auch Lola. Er hatte verstanden. Der Vollzug war ein Vollzuck beim Spieß. Und der schüchterne, blasse Jüngling stellte sich im schallenden Flur drei Meter vor den Hauptwachtmeister hin und rief: "Ich melde Vollzuck, Genosse Hauptwachtmeister!"

Einige lachten über die Parodie, und von diesem Augenblick an verging die Autorität des Oberfeldwebels, des Weibels, des Weibes, der Mutter der Kompanie.

Abends darauf, als die Soldaten stillstanden, abmarschbereit zum Abendessen, umhüllt vom Dunkel, und der Weibel ein letztes Räuspern und Knistern durch Warten und Schweigen merzen wollte, ertönte in den vorderen Reihen der Ruf eines Käuzchens. Der Hauptwachtmeister lief leise nach vorn. Da rief ein Käuzchen hinten. Die Soldaten kicherten. Er wartete, bis wieder Stille eingetreten war, und sagte kurz und schneidig und in einem Atemzug: "Ich habe schon Pferde kotzen sehen, direkt vor der Apotheke, im Gleichschritt marsch, ein Lied!"

 

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