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Die Welt der schriftlichen Anträge ignorierend schreite ich zur Glaskanzel (auch Hausbüro genannt) des Diensthabenden und erkundige mich nach dem Sportplatz. Nach heutigem Wissen hätte ich eigentlich Pech haben müssen, denn Herr Graukopf war an diesem Wochenendnachmittag der Herrscher des Geländes und für seine Ein-Satz-Kommunikation mit den Häftlingen bekannt: Gehen Sie weg!
Aus bis heute unerfindlichen Gründen wird mir die Ehre des folgenden Dialogs zuteil (Vielleicht liegt es auch daran, dass das Wort Sportplatz schon seit sehr langer Zeit in keiner Unterhaltung vorgekommen war):
Entschuldigung, darf der Sportplatz benutzt werden?
Äh, der Sportplatz? Ja ..., mal sind die Frauen und mal die Männer dran.
Wer ist heute dran?
Heute, ähm, heute müsste offen sein.
Das ist zwar nicht die Antwort auf meine Frage, stimmt aber sowieso nicht.
Nein, das Tor ist verschlossen.
Ich befürchte, dass der Aufenthaltsort des Schlüssels seit längerer Zeit zu den ungelösten Rätseln der Anstalt gehörte.
Aber nein: Ich komme aufschließen.
Halleluja! Nur noch ein winziger Schritt ... Gibt es auch einen Ball?
Einen Ball? Da müssen Sie den Sportwart fragen!
O.K.- Instinkt und Verstand lassen mich den Mund halten und ahnen, dass ich Graukopfs Geduld für diesen sonnigen Nachmittag genug strapaziert habe. Stattdessen lenke ich meine Füße in Richtung Häftlingstrakt, um den Sportwart ausfindig zu machen. Dabei ist mir klar, dass auch dies mit einem gewissen Risiko verbunden ist, denn es kann sich natürlich nur um einen etablierten Häftling handeln, der solch eine Funktion innehat. Genau den will ich jetzt womöglich in seiner Samstagnachmittagsruhe stören!
Kurzum, es geht gut. Nach weniger als 10 Minuten habe ich ihn in seinem Zimmer gefunden. Bereits nach leichtem Klopfen öffnet sich die Tür und der Häftling starrt mich unbekanntes Wesen an. Nachdem ich mein Anliegen so kurz wie möglich vorgetragen habe, rollt kommentarlos ein Ball über die Schwelle und die Tür fällt wieder zu.
Sportsachen habe ich noch nicht, also mache ich Torschussübungen in Jeans und Straßenschuhen. Es geht erstaunlich gut. Nach etwa 30 Minuten kommen ein paar Neugierige dazu. Schließlich sind wir neun Leute und es kommt ein kleines Spielchen zustande. Aber selbst damit lässt sich die Realität nicht lange wegschieben. Ein Fehlschuss reicht. Der Ball fliegt über den Zaun auf den Frauenhof. Mehrere Versuche, Graukopf zu überreden, uns den Ball zu holen, scheitern natürlich. Pech gehabt, da müsst ihr ordentlich spielen. Game over.