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Glück soll dauern und andere Gedichte von Helmut Preißler
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Preis E-Book:
9.99 €
Veröffentl.:
10.12.2015
ISBN:
978-3-95655-568-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 1038 Seiten
Kategorien:
Lyrik/Deutsch, Lyrik/Allgemein
Lyrik, Poesie, Moderne und zeitgenössische Lyrik (ab 1900)
Lyrik, Gedichte, Limericks, 20. Jahrhundert, Dichtung, Holocaust, 2. Weltkrieg, Satire, Krieg, DDR, Liebe, Militär, Politik, Natur, Zeitgenössisch
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Kleines Plädoyer für die Jugend

O die Jugend! seufzen alte Herren,

ihr fehlt die Kultur, die in uns schwingt.

Sie lässt Kofferheulen Schlager plärren,

statt sie mit uns Wanderlieder singt!

 

Doch ich sagte: Weint euch nicht die Augen blind,

ihr altgewordnen Knaben, lasst das Greinen!

Die Alten scheinen immer besser als sie sind,

die Jungen sind stets besser, als sie scheinen.

 

O die Jugend! seufzen alte Damen,

sie ist unmoralisch und verderbt,

nennt Intimstes frech-frivol beim Namen,

dass ein keuscher Mensch sich jäh verfärbt!

 

Doch ich sage: Weint euch nicht die Augen blind,

ihr altgewordnen Mädchen, lasst das Greinen!

Die Alten scheinen immer besser als sie sind,

die Jungen sind stets besser als sie scheinen.

 

Diese Jugend, Leute, muss ich lieben.

Sie ist herrlich frech und selbstbewusst.

Wenig ist von Stock und Mief geblieben,

klar der Kopf, kein Zensor in der Brust.

 

Also, bitte, weint euch nicht die Augen blind,

ihr tugendhaften Ältren, lasst das Greinen!

Die Alten scheinen immer besser als sie sind,

die Jungen sind stets besser als sie scheinen.

 

Oliven

In den Olivenhainen

sinne ich mich in die Zeit,

da man die Bäumchen

pflanzte als Mitgift,

hoffend, sie mögen gedeihen

den Kindern, den Enkeln

unendlich.

 

Wälder an steinigen Hängen,

umgeformt zu Terrassen,

Quader, Millionen Meter,

mühsam zu Mauern gefügt,

dass machtlos der Sturm und die Flut sei,

den Bäumen den Boden zu nehmen.

 

Narbenzernagtes Holz.

Wurzel: Pfahlbau in Steinen,

Stämme: von Stürmen gezeichnet,

zerlöchert, zerrissen, zerschunden,

unendlich alt und doch fruchtbar,

silbergraugrün noch die Krone.

 

Ehrfürchtig seh ich die Bäume,

die knorrigen, uralten Bäume.

Ehrfürchtig denk ich der Menschen,

der tätigen, freundlichen Menschen,

denk, dass sie Steine erweichten

und Früchte schenkten,

Jahrtausende fort.

 

Der Scheunenbrand von Gardelegen

Von einem Scheunenbrand weiß ich,

aus Dokumenten, von Augenzeugen,

der war fünfundvierzig,

zwölf Stunden vorm Einmarsch der Alliierten.

Da brannte die Feldscheune

bei Gardelegen:

 

Bohlen und Bretter auf Backsteinsockel,

vier Tore, eines weit offen,

und in der Scheune

Häftlinge vom Lager „Dora",

nach langem Hetzmarsch eintausend,

übrig geblieben von zweitausend.

 

hingesunken auf wenig Stroh —

zwei Strohberge neben dem offenen Tor;

da stand der „Schlächter von Dora",

Hauptscharführer Bräuning, rauchend,

warf den Glutrest hinein in das Stroh,

benzingetränkt,

und die Glutwelle sprang durch die Tenne.

 

Eintausendachtunddreißig Häftlinge

standen in Flammen,

drängten zum offenen Tor hin —

brachen dort nieder,

zersiebt von Geschossgarben.

Vor dem einzigen Ausgang

wuchs aus Toten ein Wall.

 

Aber inmitten der Scheune

fanden sich die Genossen,

bargen im Kreis die Schwächsten der Schwachen,

zerstampften das Feuer,

schlugen mit Fetzen der Kleidung

nieder den Brand,

und auf stieg das Lied:

Wacht auf,

Verdammte dieser Erde!

 

Zwei Strophen sangen sie laut

in das Schießen und Schreien,

dann machten Handgranaten,

dass endlich Stöhnen nur war

und Knistern verlöschender Flammen

und endlich dann Stille —

um zwanzig Menschen, die lebten,

umgeben von toten Genossen,

die sie mit ihren Körpern gedeckt hatten

gegen die Flammen und Schüsse.

 

Von zweitausend — zwanzig,

sind sie entkommen,

nachts in den Wald,

ehe am Morgen die Schlächter

Bischoff und Gotthard aus Gardelegen

hineinstiegen in die Berge aus Asche und Fleisch,

abzuschießen,

was Leben noch zeigte.

 

Von diesem Scheunenbrand weiß ich.

Von diesem Massenmord spreche ich,

denn:

In Wolfsburg lebt Bischoff, der Schlächter,

dicht an der Grenze,

unbehelligt lebt Bräuning,

die Globke und Lübke leben,

und Thaddens Schutzstaffeln grölen.

 

Ferne verweht

sind Gesänge der Sterbenden.

Lebende, macht sie lauter,

die Stimmen der Toten!

 

Wacht auf.

Befreite dieser Erde,

eh neu

man euch in Ketten zwingt!

Glück soll dauern und andere Gedichte von Helmut Preißler: TextAuszug