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"Ich weiß nicht ..." Er drehte und wendete meinen Arm, bis ich aufschrie. "Das dachte ich mir."
"Was dachten Sie, Herr Doktor?" Die Stimme meiner Mutter klang ängstlich. "Ist irgendwas nicht in Ordnung?"
Dr. Sommer schob nun meinen Arm mehrmals von einer Seite zur anderen, als handele es sich um ein Uhrenpendel, sodass ich mir auf die Lippen biss, um nicht noch einmal aufzuschreien. Dann wollte er ihn wie ein Scharnier auf- und abwinkeln, aber ich riss mich rechtzeitig von ihm los.
"Das tut weh!", rief ich und zog mich vorsichtshalber von dem Mann zurück und stellte mich neben meine Mutter.
"Der Arm bleibt wahrscheinlich steif. Jedenfalls teilweise", fügte er schnell hinzu, nachdem er sich anscheinend bewusst geworden war, dass weder meine Murrer noch ich auf diese Diagnose vorbereitet waren.
"Also sagen wir es so: Er wird ihn wahrscheinlich nicht uneingeschränkt benutzen können. Zum Beispiel wird ihm das Schreiben Schwierigkeiten bereiten ... Außer an der Schultafel", ergänzte er und versuchte ein Lächeln. "Da hast du den genügenden Abstand und der Winkel stimmt. Zur Schule wirst du also weiter gehen müssen, Adolfchen."
"Wie stellen Sie sich das vor?" Meine Mutter war von ihrem Stuhl aufgesprungen und baute sich vor Dr. Sommer bedrohlich auf. Dabei stemmte sie ihre Hände in die Hüften, sodass ihre Ellbogen spitz zu beiden Seiten hervorstachen. "Sie sprechen von seiner geschickten Hand, Herr Doktor! Links ist er so ungeschickt wie ..." Vergeblich suchte sie nach einem Vergleich. "Da muss Ihnen noch etwas einfallen! Er braucht seine rechte Hand! Soll er vielleicht sein Leben lang ein Krüppel sein? Ich darf gar nicht daran denken, was mein Mann dazu sagen wird!"
"Also, liebe Frau Oberschmidt, erstens kann ich daran nichts ändern, außer ich breche Adolfchens Arm noch einmal und versuche ihn zu richten. Aber was dann daraus wird, ist gar nicht abzusehen. Das geben seine Knochen nämlich nicht her. Zweitens kann er ja seine rechte Hand ganz gut gebrauchen und drittens müssen viele Menschen ihr Leben mit kleinen Handicaps bestreiten ..." Er lächelte mir zu und knuffte derb auf meinen krüppeligen Arm. "Und den Hitlergruß schaffst du ja immer noch, Adolfchen. Und das ist doch das Allerwichtigste. Da wird auch dein Vater ganz bestimmt zufrieden sein."
"Machen Sie sich über meinen Mann lustig, Herr Doktor Sommer?" Die Stimme meiner Mutter horte sich zischend an und unwillkürlich fiel mir das Geräusch einer Schlange ein, wenn sie, hoch aufgerichtet, sich ihrer Haut wehren muss. "Wie könnte ich das, Frau Oberschmidt? Ich kann sehr wohl nachfühlen, wie es Ihren Gatten treffen muss, wenn nun das Adolfchen nicht so geraten wird, wie er es sich gewünscht hat. Ich kann es sehr wohl nachfühlen ... Aber so ist das Leben. Nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Auch die Ihres Gatten nicht!"
Dr. Sommer war währenddessen zu seinem Schreibtisch gegangen und unterschrieb einige Papiere, die er daraufhin meiner Mutter reichte.
"Damit können Sie alles regeln, Versicherung und Sportbefreiung und auch Befreiung vom Jungvolk. Was sollten die auch mit einem armversehrten Jungen anfangen?"