Home
eBook-Shop (nur Verlagstitel)
Links
Warenkorb
Die Zeit war schnell vergangen. Jens wartete am Eingang des Marktes auf uns. Als wir einige Nebenstraßen weiter wieder auf unseren Toyota stießen, stand sein individueller Parkwächter treu wie ein Zinnsoldat auf dem Bürgersteig daneben. Doris suchte in ihrer Geldbörse nach Münzen und gab ihm einige. Nach seinem Mienenspiel zu urteilen, schien er mit dem Salär zufrieden. Wir ließen uns viel Zeit beim Verlassen der Innenstadt. Irgendwann rollten wir auf der Ausfallstraße Richtung Süden. Dörte hatte das Ziel vorgegeben: Simons Town und seine südafrikanischen Penguine. Am Montag schienen nur wenige Ausflügler unterwegs zu sein. Jens fand einen Parkplatz, der es mir ermöglichte, vom Beifahrersitz aus die gesamte False Bay zu überblicken. Linkerhand sah ich den markanten The Boulders, der Pinguinen und Robben als Rückzugsgebiet dient, sollten die Menschen an Land zu aufdringlich werden.
Da auch Jens im Wagen sitzen blieb, zog Doris allein los. Ich hatte den Eindruck, dass dem Jungen irgendetwas durch den Kopf ging. Abends war leise von draußen zu hören gewesen, wie er eine Zeit lang sowohl mit Kerstin als auch mit den Töchtern Beatrice und Kim in Deutschland telefonierte. Und weil bekannt ist, dass er sein Geld gut zusammenhalten kann, musste ihm doch sehr daran gelegen sein, ihre Stimmen vom anderen Ende der Welt zu hören. Trotz der hohen Telefonkosten. Ja, unsere großen Kinder: Coole Typen und Mitte dreißig. Sollte ich fragen, ob es daheim Probleme gab? Mit den beiden Mädchen? Ich fand, dass es gut sei, auch mal eine halbe Stunde miteinander zu schweigen. Bis jetzt war unsere Reise ohne große Pannen verlaufen. Das war vor allem auch Jens Verdienst. Morgen würden wir den Mietwagen abgeben, eine Sorge weniger für ihn.
Als Dörte zurückkam, sprudelte sie über im Bericht über die possierlichen Tierchen. Wo in aller Welt kam ein normaler Bürger so dicht an Pinguine heran? Sie hoffte auf schöne Aufnahmen. Damit waren für meine Frau die wesentlichsten Bildmotive, die sie vor der Reise angemerkt hatte, abgearbeitet.
Als wir, von der Felsküste kommend, wieder auf die Straße Nummer 4 einbogen, begriff ich, dass wir in diesem Augenblick wohl ein letztes Mal in erreichbarer Nähe zum Kap der Guten Hoffnung standen. Nach kurzem Stopp schlug Jens das Lenkrad rechts ein und wir fuhren zurück nach Kapstadt. Er hielt sich südlich, um auf dem kürzesten Weg weiter nach Somerset West zu gelangen. Es war nicht zu vermeiden, dass wir die Townships streiften. Aber es war ein sonniger Spätnachmittag, deswegen glaubte ich es verantworten zu können. Wir fuhren jetzt quasi auf Horst van Biljons Spuren vom Wochenende. Ein Hinweisschild tauchte auf, den Weg nach Norden zu Philippi weisend. Wir erinnerten uns, dass er diesen Ort als Ausgangspunkt seiner Familie für Südafrika bezeichnet hatte.
Die Road 310 folgte unmittelbar dem Küstenverlauf der False Bay. Kilometerlange Strände, aber weit und breit kein Mensch zu sehen. Bei Monwabisi mit seinem relativ neuen Beach & Holiday Resort war es belebter. Wie Veras Mann schon gesagt hatte dorthin fuhr kein Weißer zum Baden. Hier blieben die Schwarzen aus der nahe gelegenen Township Macassar unter sich. Und überall das gleiche Bild wie es unser Albtraum Khayelitsha mit seinen etwa 700 000 Schwarzen bietet: Nissenhütte an Nissenhütte. Was für ein Jahrhundertwerk, solche Townships durch normierte Häuser mit Wasser, Strom und Kanalisation zu ersetzen! Jährlich eine Million neue Wohnungen will die ANC-Administration bereitstellen. Eine funktionierende Verwaltung ist dafür unabdingbar. Und spätestens jetzt kommt der Knackpunkt für die Bewohner und die neue Macht gleichermaßen: Jedermann wird sich, wie in der zivilisierten Welt üblich, mit Name und Adresse registrieren lassen müssen. Gebühren für Dienstleistungen, Steuern und Mieten fallen an, bislang unbekannte Kosten und Regulationen für Township-Bewohner. Wer beispielsweise die 110 Rand (etwa 25 Mark) Sozialhilfe für Kinder bis zu sieben Jahren abholen möchte, muss dessen Geburtsurkunde vorzeigen. Angesichts einer herrschenden Armut und der 500 vornehmlich schwarzen Südafrikaner, die täglich an AIDS sterben - da verkündet Präsident Mbeki seine utopisch anmutende Prognose: Bis 2015 erwerben alle Kinder im Lande zumindest einen Grundschulabschluss; ihre Sterberate soll um zwei Drittel, die der Mütter im Kindbett um drei Viertel reduziert werden.