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In die Schwärze der Nacht hatten sich graue Streifen geschoben, die rasch zu Flächen wurden und das Schwarz allmählich verdrängten. In diesen Vorgang hinein brach plötzlich ein ungeheuerliches Getöse ein. Als erbreche sich die Erde, strömten, reißenden Fluten gleich, Massen von Granaten aller Kaliber in so dichter Folge vom Himmel herab, dass man glauben musste, alle Lebewesen und Gegenstände auf der Welt seien zerstört. Sogar die Luft wurde undurchsichtig. Das dauerte bis zum kommenden Mittag.
Allmählich wurde die Luft wieder klarer. Erdklumpen und Metalle der Granaten, untermischt mit Stücken von Menschen, bedeckten die Oberfläche dieser Kriegswelt. Aus den Steinfundamenten des Hauptverbandsplatzes holten Pascal und Georg eine noch intakte Bahre und liefen frontwärts.
Erstaunlich, aus den Gräben der Front kamen noch Soldaten hervor, als triebe sie eine Macht an, die nicht rational zu erklären war. In diesem Areal, wo doch, wie es schien, jeder Quadratmeter mehrfach umgepflügt worden war. In der vordersten Linie trafen sie auf einen Offizier, dessen Gesicht zerstört worden war. Der Oberkieferknochen war zertrümmert. Die Spitze des Kinns und das Nasenbein waren weggerissen. Man konnte den vorderen Rachen einsehen, Zähne und Gaumen waren verschwunden. Pascal hatte solche Verstümmelungen noch nicht erlebt. Er spürte, wie er zitterte, er musste sich zwingen, den Blick nicht von den Verwüstungen in diesem Gesicht abzuwenden. Der Mann war bewusstlos und blutete aus zahlreichen Wunden.
Die Kanonade hatte erneut begonnen. Pascal und Georg hoben den Schwerverwundeten auf die Bahre und trugen ihn durch das Granatfeuer und schleppten ihn keuchend zu dem Verbandsplatz, vielmehr zu den Trümmern, die von ihm übriggeblieben waren. Die Chirurgen dort versorgten die Blutungen.
Der Stabsarzt rief Pascal zu sich: Der Mann muss schleunigst in eine Spezialklinik. Sie haben ja einige medizinische Kenntnisse und können den Verwundeten auf dem Transport überwachen.
Nach Einbruch der Dunkelheit kam das Sanitätsauto, das den Verletzten nach Sermatt bringen sollte. Pascal, der auf den Wagen gewartet hatte, hörte endlich das Motorengeräusch zwischen den Abschüssen der feindlichen Artillerie. Er trat aus dem zerstörten Gebäude, in dem der Hauptverbandsplatz immer noch untergebracht war, und winkte dem Fahrer des Wagens, um ihm die Stelle zu zeigen, wo er den Verletzten übernehmen konnte.
Plötzlich glaubte er, einer optischen Täuschung zu erliegen: der Fahrer glich Erwin Stadtier. Er war es. Auch er erkannte Pascal. Der stürzte auf ihn los, blieb vor ihm stehen, von einem starken Gefühl übermannt. Stadtier hatte die Arme ausgebreitet. Dass ich Sie hier treffe, rief er, und in seinen Augen standen Tränen. Pascal ließ sich umarmen und lehnte sich an die Brust des Fahrers. Ein sehr trauriges Ereignis, das uns zusammenführt, sagte Pascal. Und: kommen Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren.
Der Gesichtsverletzte stand unter Morphium, er war nicht ansprechbar. Er war schon auf eine Trage gebracht worden, jetzt trugen sie ihn in das Fahrzeug. Der Stabsarzt gab Pascal noch einige Anweisungen, dann fuhren sie los. Zusammen mit dem Offizier waren noch drei weitere Schwerverwundete in dem Wagen.
Sie befuhren ein Waldstück, in dem zwischen Granattrichtern nur noch Baumstümpfe und Äste vorhanden waren. Erwin Stadtier musste alle Fahrkünste einsetzen, um alle Hindernisse zu umfahren. Es schien kein Mond. Man hatte den Eindruck, durch einen Gespensterwald zu fahren. Hinter einer Buschgruppe brach plötzlich ein Wesen hervor und stürzte auf das Fahrzeug zu. Nach einem kurzen Schreck erkannten sie ein Wildschwein, das an ihnen vorbeischoss und frontwärts verschwand.
Der Mann ohne Gesicht stieß mit einem Male einen quiekenden Laut aus. Pascal sah nach den Verbänden des Verwundeten. Es war keine neue Blutung zu erkennen. Er fragte den Mann, ob er ihn hören könne. Und ob er Durst habe. Aber er bekam keine Antwort, auch kein Zeichen. Pascal blickte auf Erwin Stadtier. Er sah ihn nur von hinten, mitunter im Profil, wenn er seitlich Ausschau nach dem Weg hielt.
Endlich hatten sie eine Straße erreicht. Zerschossene Fahrzeuge standen an den Rändern, manchmal auch inmitten der Fahrbahn. Als sie wieder durch ein Schlagloch fuhren, sagte Stadtier: Wir können übrigens froh sein über dieses Fahrzeug. Es ist eine MAG Sanitätsdroschke. Noch anfangs 1914 gab es Pferdegespanne vor solchen Gefährten. Dann begann Stadtier von früher zu reden: Wie lange ist das her, seit ich Ihnen den Benzinkocher gegeben habe? - Reichlich zwei Jahre, sagte Pascal. Es scheint mir heute wie ein Märchen. Unsere Zeit an der Ostsee, das bunte Leben am Strand. Überall gesunde Menschen. Lachen und ... lieben. Ich kann es nicht fassen, dass sich die gleichen Menschen in Kriege treiben lassen. Unmenschliche Strapazen aushalten, qualvolle Schmerzen erleiden und sterben. Nach einer Weile des Schweigens sagte Stadtier: So genannte Wissenschaftler sitzen in Labors und an Schreibtischen und brüten Waffen aus, die Menschen unter Qualen töten und verstümmeln. Ist das nicht unfasslich?
Sie hatten inzwischen das Hinterland der Front durchquert, fuhren durch Dörfer und kleine Städte. Sterne standen jetzt am Himmel. Pascal erkannte den großen Wagen und das Siebengestirn. Ehemals hatte er diese Himmelsbilder über dem Meer gesehen, wenn er mit Loritta auf einer Düne saß, redend, küssend und sich an den Händen haltend. Wo waren sie jetzt, seine Lieben?