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Rote Elefanten und grüne Wolken für Till von Jürgen Leskien
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
18.05.2020
ISBN:
978-3-96521-014-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 80 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Tiere/Elefanten, Kinder-und Jugendbuch/Kunst und Architektur, Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Tod und Sterben, Kinder-und Jugendbuch/Verkehrswesen/Luftfahrt
Kinder/Jugendliche: Gegenwartsliteratur, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Tod und Trauer, Zweite Hälfte 20. Jahrhundert (1950 bis 1999 n. Chr.)
Hiddensee, Ostsee, Malen, Buhnen, Vater, Flieger, Afrika, Hühnergott
6 - 9 Jahre
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Auf dem Weg kommen Till Kinder entgegen. Er kriecht schnell durch den Weidezaun. Beim Bücken reißt ihm der Wind den Umschlag aus der Hand und weht ihn über die Weide.

Till hat die Zeitung an die Brust gedrückt und sieht dem Telegramm nach. Es flattert, fällt ins Gras, wird wieder hochgerissen.  – Und wenn ich es einfach davonfliegen lasse? überlegt er.

Das Telegramm bleibt in einem Strauch am anderen Ende der Weide hängen. Till schlägt Haken um die Maulwurfshügel. Er hat es nicht eilig.

Der Umschlag ist aufgerissen, die Klappe zittert wie ein Wimpel. Till geht nahe heran. Ein Wort ist zu lesen – Interflug. Die Zweige schlitzen das Papier weit auf, als Till es hastig aus dem Geäst zieht. Er streicht das Telegramm auf seinem Knie glatt. Den Umschlag treibt der Wind fort.

„Außergewöhnlicher Flug“, liest er, „Urlaubsunterbrechung für drei Tage notwendig. Start Freitag, 6.7., 10 Uhr. Kienbaum, Interflug.“

Till springt auf. Freitag, das ist ja schon morgen!

Er sieht auf die Zeitung, dort steht: Donnerstag, 5. Juli. Freitag, Sonnabend, Sonntag; danach bleiben ihnen nur noch vier Tage im Ferienhaus!

Till faltet das Telegramm zusammen. Und wenn es vorhin wie ein Vogel davongeflogen wäre? Noch einmal knifft er das Papier. Nun ist es nicht größer als ein eingewickeltes Bonbon. Er steckt es in die Brusttasche. Das Telegramm plustert sich in der Tasche auf. Till schaut an sich herunter. Man sieht, dass ein Telegramm in der Tasche steckt, denkt er.

Ein Pferdewagen zuckelt vorbei. Er ist hoch mit Koffern bepackt, Urlauber sind angekommen. Till läuft ein Stück hinter dem Wagen her, dann stapft er durch den Sand zu den Dünen.

Am Strand steigen die ersten Bälle in den Morgenwind.

Schimpfend kurven die Möwen zum Hafen ab.

Vom großen Stein hinter den Dünen kann Till weit sehen: klein und fern die Dieselramme, auf halbem Weg zu den Bergen mit dem Leuchtturm. Dort oben zwischen Dornen soll die Wunderblume wachsen.

Er hält die Hand über die Augen. Das ist ein weiter Weg. Einen ganzen Tag muss man wandern, bis die Berge erreicht sind. Till kennt außer Herrn Wolters niemanden, der dort oben war.

Der Wind fährt zwischen die Zeitungsblätter, es raschelt laut. Erschrocken greift sich Till an die Brust.

Das Telegramm steckt noch in der Tasche.

Was würde Herr Wolters sagen? Uber Telegramme haben sie noch nicht gesprochen.

Till dreht dem Meer den Rücken zu, sieht zu den weißen Häusern auf der Wiese. Auf dem Weg zum Hafen gehen Leute mit großen bunten Taschen.

Sein Freund Peter Tiefensee, der mit den Eltern die obere Etage des Ferienhauses bewohnt, ist heute nach Stralsund gefahren. In Stralsund kann man lebende Seepferdchen besichtigen, sagt Peter.

Peter ist schon zehn Jahre alt, ob er solch ein Telegramm davonfliegen ließe?

Till sieht den Vater aus der Tür treten. Unter den Armen trägt er ihre Schlafsäcke. Er hängt sie über die Wäscheleine.

Till springt vom Stein herab in den Sand und läuft über den Wiesenweg zum Haus.

„Herr Wolters, ja?“

„Der war schon weg“, ruft Till aus der Küche. Er steht vor den umgestülpten Tellern und Tassen. Vater hat abgewaschen. Bevor Till das Geschirrtuch vom Haken nimmt, sieht er zum Fenster hinaus. Es ist so, wie er es befürchtet hat. Der Seewind hat die Wolken, die über dem Meer angesegelt kamen, ins Land geschoben. Die erste Wolke blieb irgendwo im Süden an einem hohen Berg oder an einem Felsen hängen. Dann kam eine nach der anderen und konnte nicht weiter. Still liegen sie dicht gedrängt nebeneinander, werden immer mehr. Das Himmelsblau verschwindet. Sie werden dunkel vor Ärger, weil sie nicht weitersegeln können. Die Sonne wärmt ihnen die Rücken, sie aber zeigen den Menschen auf der Erde ihre grauen Bäuche.

So weit Till sehen kann, bedecken die Wolken die Insel. Nur fern auf dem Wasser blitzt noch ein Sonnenfleck. Das macht traurig, denn bedeckter Himmel ist das Zeichen zum Aufräumen gleich nach dem Frühstück. Sonnenwetter aber heißt: nach dem Essen sofort an den Strand.

„Was meinst du, Till, ob wir die Fahrräder durchsehen?“

„Und baden?“

„Später, wenn es wieder sonnig ist.“

Till baut die abgetrockneten Tassen auf. Fünf sind es. Eine ohne Henkel, dafür ist sie mit schönen Schiffen bemalt. Aus der hat bestimmt heute Peter getrunken. Peter hat es gut, dort bei den Seepferdchen. Und ich muss mit dem Telegramm allein fertig werden.

Alles ist abgetrocknet. Till stemmt die Arme in die Seite. Er sieht zu den Blumen, die auf dem Regal stehen. Eigentlich hat er beschlossen, die Blumen vertrocknen zu lassen. Den Strauß brachte Fräulein Schlohmeier. Sie fasst Till immer gleich ins Gesicht, und ihre Hände haben schwarz lackierte Fingernägel.

Aber die Blumen können sich gegen Fräulein Schlohmeier nicht wehren, denkt Till, ebenso wie ich unser Haus nicht wegzaubern konnte, als sie über die Wiese gelaufen kam.

Das Regal ist hoch. Er stellt sich auf die Zehenspitzen.

„Was machst du mit den Schlohblumen?“

Till fährt zusammen. Blumen und Wasser regnen auf ihn herab. Aber die Vase hält er fest in den Händen. Der Vater schüttelt den Kopf.

„Gib her! Zieh dir einen Pullover an!“

Als Till das Hemd auf die Leine hängt, beobachtet er misstrauisch den Vater. Sorgfältig schneidet er von jedem Blumenstängel ein Stück ab. Till sieht, wie von Vaters Augen das Lächeln abwärts zum Kinn wandert. Der Vater sieht Till an.

„Die Schlohmeier ist nichts für uns, was?“

„Genau“, sagte Till schnell, „schwarze Fingernägel  – sooo lang! Doch die Blumen können nichts dafür.“

Der Vater reicht ihm die Vase: „Lass Wasser ein!“

Till stellt die Vase unter den Wasserhahn, er dreht sich zum Vater um. Der fegt bedächtig mit der Hand das Grünzeug auf dem Tisch zusammen. Till scheint es, als trüge der Vater die abgeschnittenen Blumenstängel sehr behutsam zum Abfalleimer. Wasser sprudelt über den Rand der Vase und besprenkelt Tills Pullover. Er sieht an sich herunter. Till erstarrt vor Schreck. Das Telegramm!

Das Hemd zappelt übermütig an der Wäscheleine, ein Ärmel umschlingt Tills Hals  – die Brusttasche ist leer. Till läuft zwischen den Wäschepfählen umher. Er sieht die kreischenden Möwen über dem Dach und das Bonbonpapier von gestern und zwei ausgeblichene Kinokarten und einen kleinen eingerissenen Zettel, auf dem steht: Es gibt Pampelmusen im Konsum. Herzlich I. Schlohmeier. Allerlei liegt im Gras. Till springt von Fleck zu Fleck, aber es sind nur Blumen, Steine mit hellen Buckeln und fremde Papierschnipsel.

Der Vater schiebt das Rad aus dem Holzschuppen.

„Das Telegramm ist weg!“ Till sieht den Vater an und beißt die Zähne zusammen.

„Komm schon, nimm mir das Rad ab.“ Der Vater ist ungeduldig. Er bleibt stehen. „Welches Telegramm?“

„Von der Frau Schliebhacke!“

Till lehnt das Rad an die Gartenbank. „Ich habe es in die Brusttasche gesteckt.“

„Nun mal nacheinander!“ Der Vater setzt sich.

Rote Elefanten und grüne Wolken für Till von Jürgen Leskien: TextAuszug