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Die drei Freunde starrten durch die Ritzen zwischen den Brettern. Doch sie konnten kaum etwas erkennen. Plötzlich durchschnitt erneut ein Blitz das Scheunendunkel. Und was Til und die Zwillinge in diesem Augenblick sahen, war für sie unfassbar. Der Unbekannte, der ihnen den Rücken zudrehte, schüttete Korn aus einem der Säcke in einen Plasteimer, der in einem Rucksack stand. Als es wieder blitzte, zog er bereits den Rucksack über dem Eimer hoch und verknotete die Schnüre.
Donnerwetter, der Kerl stahl Korn! Das war ja ein Dieb! Wie gelähmt blieben die Freunde hocken. Erst als sich hinter der Gestalt die Scheunentür geschlossen hatte, wagten sie zu reden.
"Mann, habt ihr das gesehen?" Locke sprang auf.
"Hm", machte Wiesel, "der hat richtig geklaut."
Til nickte und fragte mit unsicherer Stimme: "Habt ihr... ihn erkannt?"
"Nein, Til, du etwa?"
"Ich? Wieso gerade ich? Ich hab ihn nicht erkannt, wirklich nicht!" Til tat entrüstet.
"Na, ich meine ja bloß! Hätte doch sein können, oder? Was regst du dich gleich auf, he?" Locke musterte seinen Freund.
Da drehte Til sich um, ging zu den Kornsäcken und hieb mit dem nackten Fuß hinein.
Was weiß Locke schon? dachte er. Til hatte auch nicht feststellen können, wer der Mann war, trug er doch Arbeitszeug und Stiefel wie jeder andere in der LPG und über dem Kopf die alte Sackkapuze. Aber der Rucksack! Den kannte Til nur zu genau - und der gehörte seinem Vater.
"So ein Mist! So ein verdammter Obermist!", keuchte Til. Immer wieder trat er nach den Kornsäcken und schluckte an dem komischen Kloß, der ihm in die Kehle gestiegen war.
"Hast recht, ist wirklich Mist, dass wir nicht wissen, wer das war", sagte Locke.
"Was machen wir nun?" Fragend sah Wiesel ihren Bruder an.
"Mann, ich hab's! Wir legen uns neben der Scheune oder in der Scheune auf die Lauer. Irgendwann werden wir den Kerl schon erwischen! Na, Til, ist das eine Idee?"
"Nein!" Til schrie es fast. "Da mache ich nicht mit! Willst wohl Detektiv spielen? Das ist doch Quatsch, und überhaupt..."
"Hast wohl Angst, weil wir in der Scheune waren, was?"
Til schwieg. Er zitterte vor Erregung, wollte nicht wahrhaben, was vor wenigen Augenblicken passiert war. Doch wenn er die Augen schloss, sah er alles klar und scharf wie in einem Film: Sein Vater stiehlt Korn. Nicht irgendeiner ist der Dieb, sondern sein Vater, der Futtermeister der LPG, der selber Schaufel und Besen in die Hand nimmt und verschüttetes Futter zusammenfegt, damit es nicht zertreten wird. "Wir brauchen jedes Körnchen!" Jedes Körnchen, grübelte Till, und dann nimmt Vadding plötzlich einen ganzen Eimer voll mit?
Und wenn Vadding nun seine Stellung als Speichermeister ausnutzt und regelmäßig Korn mitnimmt? Vielleicht hat er das schon immer getan? Til wurde übel. Plötzlich sprang ihn die Angst an: Wenn es nun herauskäme? Man würde seinen Vadding einen Dieb nennen, ihn in ganz Beesel verachten, vielleicht sogar einsperren. Und ich schäme mich dann für Vadding, dachte Til. Das darf ich nicht zulassen, das muss ich verhindern!
Plötzlich fauchte er Locke an: "Vielleicht rennst du zu deinem Vater und sagst: Ich war wieder in der Scheune, obwohl du es verboten hast; aber ich hab einen Körnerdieb erwischt, und nun kannst du mich meinetwegen verprügeln!"
"Na, und? Mein Vater haut bestimmt nicht, wenn ich ihm einen Dieb abliefere." Locke sah seinen Freund siegessicher an.
"Du", meinte Wiesel, "ob wir nicht sogar eine Belohnung kriegen?"
"Belohnung! Belohnung! Ihr spinnt doch! Außerdem... vielleicht war das gar kein Dieb. Wer weiß, wozu er die Körner geholt hat."
"Das war einer! Wozu sonst der Rucksack! Und wie der geguckt hat!", sagte Locke.
"Du wirst gerade gesehen haben, wie der geguckt hat, bei dem bisschen Blitz!"
"Hab ich auch! Aber wieso verteidigst du den eigentlich?"
"Ich?"
"Ja, du!"
"Du bist ja übergeschnappt!", schnauzte Til, drehte sich um und ging auf den Ventilator zu.
"Feigling!", schrie Locke seinem Freund nach.