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Das Mädchen Ann und der Soldat von Heinz Kruschel
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
22.10.2014
ISBN:
978-3-95655-112-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 284 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Militär, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Familienleben
Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.), Kriegsromane
NVA, Kubakrise, DDR, Abitur, Naziverbrecher, Studium, Produktion
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Sixtus wartete auf Schlereckes Rückkehr. Er war unruhig und hatte sich eine eigenartige Theorie zurechtgelegt: Schlereckes Besuch bei Ann wird die Entscheidung bringen. Schle hat einen klaren, unbestechlichen Blick, ihm wird kein falscher Ton entgehen. Vielleicht wird es wehtun, wenn er den Schleier zerreißen sollte, durch den ich bisher das Mädchen Ann gesehen habe. War ich für sie nur ein Spaß, hat sie mich betrogen, bedeute ich ihr etwas, Schlerecke wird es mir sagen.

Dann dachte er, wütend auf sich selbst: Ich benehme mich wie ein dämlicher Pennäler, der vormittags auf dem Schulweg die Gesichter der Passanten studiert. Blicken über die Hälfte freundlich, so wird die Mathearbeit gut ausfallen; trifft man sogar einen Schornsteinfeger, so ist die Eins sicher. Was für ein Quatsch, von einem anderen Menschen die eigene Entscheidung abhängig zu machen.

Er saß am Sonntagabend im Fernsehraum. Übertragung eines bunten Programms aus einem Kulturhaus. Um ihn herum lachten die Genossen über die Späße eines kleinen Komikers in weiten Hosen. Sixtus schreckte zusammen und versuchte auch, die Witze zu verstehen („wie viel Zylinder hat denn Ihr Auto?“ - „Zylinder? Gar keinen, die Sportmütze lag im Wagen.“ - „Na, ich meine doch Zylinder, teffteff- teff ...“ - „Denken Sie, ich fahre Leihwagen?“) Haha.

Walter ging, ließ seine Gedanken von Fragen schaukeln, auf die er keine Antwort wusste, und zwang sich später dazu, in einem Buch über die neue Schweißtechnik zu lesen, bis Wendel und Fuchskopf lärmend und ein wenig angetrunken aus der Stadt zurückkamen.

Am Montag traf Sixtus den Unteroffizier Schlerecke beim Mittagessen. „Domine, quo vadis“, sagte Schlerecke und blickte Sixtus sonderbar an, „welche Pfade wandelst du eigentlich, Genosse Sixtus, und wohin treibst du?“

„Lass das“, wehrte Walter unwillig ab, er hatte keine Lust auf Sprüchlein, „erzähle lieber, ich bin gespannt.“

„Das darfst du auch. Es gibt nämlich wenig und viel zu berichten. Mein lieber Freund, du musst die Erinnerung an dieses Dämchen ausmerzen, ihre Eltern sind aus der Steinzeit übrig geblieben, und die Umwelt formt bekanntlich den Menschen …“

„Werde vernünftig, Schle, und spinne nicht. Was soll das heißen?“

Auf dem Tisch dampften die Kartoffeln. Schlerecke seufzte und wischte sich mit seinem grün karierten Taschentuch den Mund ab. Er verzichtete auf eine weitere Ration. „Du kennst ihre Eltern wirklich nicht?“, fragte er misstrauisch.

„Ich habe dir doch gesagt, wo und wie ich Ann kennengelernt habe, zugegeben, es war anders als bisher, besser, ganz anders. Sie ist nicht wie Dutzende.“

„Der Alte auch nicht, er ist eher ein Ladenhüter aus dem ‚tausendjährigen Reich‘. Na gut. Ich kam also an und schien dem alten Herrn schon eine Gallenkolik zu bereiten. Er kam mir übrigens seltsam bekannt vor. Ich habe mal Zeichnungen von einem Franzosen gesehen, Karikaturen von Deputierten der Nationalversammlung 1871, da war so ein gnibbliges, selbstgefälliges Ichgesicht, und der Maler, ich glaube, er hieß Doré, hat darunter geschrieben: Also schön, meinetwegen bin ich Reaktionär ... Genau so war der alte Plitzko. Während nun die Mutter das Töchterchen holen ging, begannen wir unsere Unterhaltung. Meine Tochter, sagte der Alte gleich und ohne Umschweife, und meine Familie dulden keine Verbindung mit einem Soldaten. Wenn sie mit dir getanzt hätte, mehr erzählte ich selbstredend nicht, so sei das noch lange kein Grund, die Familie zu belästigen. Darauf ich: Ist das nicht eine Angelegenheit Ihrer Tochter, mein Herr? Schließlich soll sie volljährig sein. Darauf er: Mit einundzwanzig erst. Nein, sagte ich, mit achtzehn, wenn Sie nichts dagegen haben. Er brummelte giftig, für ihn scheinen unsere Gesetze ungültig zu sein.“

Walter fielen Anns Worte ein: Meine Eltern, da komme ich noch früh genug hin. Oder: Kein Gespräch über Politik. Da ist schwarz, hier ist weiß, dazwischen darf es für euch nichts geben, theoretisch gesehen jedenfalls. Ich bin eine Indifferente.

„Übertreibst du nicht?“, fragte Sixtus, noch hoffend, dass der Freund nach bewährter Art wieder eine Situation zuspitzte, um den andern in der Reaktion zu beobachten.

Doch Schlerecke sagte sehr ernst: „Diesmal leider gar nicht. Ich sagte zu dem Alten: Was rede ich mit Ihnen, ich habe Urlaub und will keinen Streit, sondern möchte die Anneliese sprechen. Da fauchte er mich an, sein Gesicht war eine Wut speiende Fratze, so was hast du noch nicht gesehen. Seine Tochter, jawohl, aber hier in diesem Zimmer, Wort für Wort wolle er mit anhören, nur unter seiner Aufsicht dürfe sie mit mir und meinesgleichen sprechen. Ich: Wie er das meine? Er: Wie er es gesagt habe. Punktum. Ich: Dann gute Besserung, Herr Plitzko, Sie sind doch bestimmt krank, wie? Da wurde er ganz still, ich glaube, er ist wirklich krank. Die Mutter marschierte ein, die Tochter mit sich führend. Das muss ich dir lassen, Geschmack hast du wirklich, ich dachte immer, so was gibt’s nur im Film und dann entsprechend hergerichtet ...“

Während Schlerecke über die kargen Worte sprach, die er mit Anneliese Plitzko gewechselt hatte, bemerkte er mit Erstaunen, wie sich Walters Gesicht entspannte, wie es fast freundlich wurde, als er von der Naziurkunde hörte.

„Du bist Angehöriger der Volksarmee“, sagte Schlerecke, „und Genosse. Dir ist wohl klar, dass das kein Mädchen für dich ist. Ich hätte das in unserer Republik nicht für möglich gehalten. Schön, man weiß, dass es alte Leute gibt, die ihre eisernen Kreuze unter der Käseglocke aufbewahren oder noch ein Bild Kaiser Wilhelms auf dem Klo zu hängen haben, aber der alte Plitzko trägt ja alles offen zur Schau! Nein, ich hätte es nicht für möglich gehalten, man lernt nie aus. Aber ich habe es mit meinen Augen gesehen und mit meinen Ohren gehört!“

Wer hält das schon für möglich, dachte Walter, keiner. Aber mir wird manches klarer, Anns Andeutungen, ihr Misstrauen, ihre Abneigung gegen die Eltern. Schlerecke hat zwar Fantasie, aber das hat er sich nicht ausgemalt.

„Glaubst du“, fragte Schlerecke, eindringlich und betont, als fühle er den Widerstand des Freundes, „glaubst du nun, dass dieses Mädchen kein Verkehr für dich ist, für dich sein kann?“

Und da Walter schwieg: „Das sage ich nur in deinem Interesse, Walter. Mit solchen Menschen, du liebe Güte, da schleppst du uns mindestens den Defätismus ein.“

„Quatsch. Was kann das Mädchen für seinen Vater? Es ist doch nur zu bedauern.“

„Zugegeben, das ist eine andere Frage. Ann lebt in seinem Hause, steht unter seinem Einfluss ...“

„Das ist nicht bewiesen!“

 

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