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Licht auf dunklem Grund. Ein Rembrandt-Roman von Renate Krüger
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
07.07.2014
ISBN:
978-3-86394-322-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 328 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Biografisch, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Jüdisch, Kinder-und Jugendbuch/Biografisch/Europäisch, Kinder-und Jugendbuch/Geschichte/Europa, Kinder-und Jugendbuch/Kunst und Architektur
Biografien: Kunst und Unterhaltung, Historischer Roman, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Europa, Kinder/Jugendliche: Historische Romane, Biografischer Roman, Bezug zu Juden und jüdischen Gruppen
Rembrandt, Manasse ben Israel, Amsterdam, Judentum, Tora, Nachtwache, Hendrikje Stoffels, Saskia
12 - 99 Jahre
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„Nun, Senor Mordechai? Was bringt Ihr heute? Leider werde ich Euch nichts abkaufen können, denn ich habe augenblicklich wenig Geld."

„Ich möchte Euch nichts verkaufen, ich will kein Geld von Euch. Ich brauche Euren Rat, Mijnheer van Rijn."

„Meinen Rat?"

Rembrandt war verwundert.

„Ja, wenn Euch damit gedient  ist ... Kommt doch bitte herein."

Wir gingen in Rembrandts Atelier. Argwöhnisch blickte die Magd, die den kleinen Titus auf dem Arm trug, uns nach. Heute hatte ich für Rembrandts Bilder und Requisiten keinen Blick. Ich stellte ihm sogleich mein Anliegen vor.

„Mijnheer van Rijn, ich bin in arger Gewissensnot. Es ist gewiss eine Zumutung, Euch damit zu belästigen, aber ich habe zu Euch Vertrauen. Ihr seid ein gebildeter Mann und wisst mehr von uns Juden als andere Christen."

„Das mag sein. Doch ich weiß längst nicht alles, denn Eure Religion ist manchmal etwas schwer zu verstehen - oder irre ich mich?"

„Nein, Mijnheer van Rijn, Ihr irrt Euch nicht. Unsere Religion ist in der Tat oft eigenartig, und ihre Forderungen sind manchmal hart, selbst für uns. Denn Israel soll sich radikal in allen seinen Lebensformen von anderen Völkern unterscheiden, damit es nicht von ihnen aufgesogen wird. Nur so ist es zu erklären, dass Israel als Volk am Leben geblieben ist nach so vielen Gefangenschaften, Tempelzerstörungen und blutigen Verfolgungen.

Und so beten wir beim Sabbatausgang diesen Segensspruch: ,Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, der du unterscheidest zwischen Nacht und Tag, zwischen heilig und unheilig, zwischen Israel und den Völkern ...’

Und wir alle beugen uns dieser Unterscheidung, wenn es auch oft sehr schwer ist, sich immer von den ,anderen` unterscheiden zu müssen ... Ihr achtet uns; Mijnheer van Rijn, und deshalb wagte ich, zu Euch zu kommen.

Mein Bruder Abraham hat den Unterschied vergessen. Er will sein wie alle anderen. Und so geht er ins anatomische Theater des Dr. Tulp und studiert geschändete Leichen. Kennt Ihr, Mijnheer van Rijn, unsere strengen Vorschriften über den Umgang mit Toten? Wisst Ihr, dass wir durch diesen Umgang unrein werden?

Wisst Ihr, was Moses über die Unreinen sagte? ,Naht sich einer von euren Nachkommen in euren Geschlechtern den heiligen Gaben, die Israels Söhne dem Herrn weihen, im Stande der Unreinheit, soll er weggetilgt werden vor meinem Angesicht: Ich bin der Herr!‘"

,Ja, aber wozu soll ich Euch da raten, Senor Mordechai?"

Ich wusste es selbst nicht. Langsam kam mir zum Bewusstsein, was ich eigentlich von Rembrandt erwartete, und ich erschrak. Rembrandt sollte mir sagen, ob der Umgang mit Leichen tatsächlich unrein macht. Doch das war ja längst entschieden! Unser Lehrer Moses hatte es für alle Zeiten festgelegt! Er hatte bis in die Einzelheiten aufgezeichnet, wodurch der Mensch unrein wird: Glaubte ich das etwa nicht?

Rembrandt blickte mich durchdringend an.

„Ihr seid Jude, Mordechai, und Euer Vater ist ein Rabbiner. Ihr müsst wissen, wie Ihr Euch zu entscheiden habt - oder? Zweifelt Ihr an der Richtigkeit Eurer Entscheidung?"

Es klang nicht spöttisch, eher ein wenig besorgt oder gar mitleidig. Ich stöhnte.

„Ja, Mijnheer van Rijn, ja! Ich zweifle. Zum ersten Mal, dem Ewigen sei es geklagt!"

„Dankt Gott, dass Ihr noch zweifeln könnt, Senor Mordechai! Habt Ihr Lust, mich auf einem kleinen Spaziergang zu begleiten? Vielleicht kann ich Euch helfen. Ich will Eure Hoffnung und Euer Vertrauen nicht enttäuschen."

Rembrandt warf seinen schwarzen Mantel um, setzte den Schlapphut auf und trat dann in die Diele des Hauses. Mit lauter Stimme rief er: „Geertje Dircx!"

Sogleich kam die mürrische Magd. Noch immer trug sie den kleinen Titus auf dem Arm. Sie blickte Rembrandt unterwürfig, ja fast ein wenig liebevoll an.

„Mijnheer?"

„Geertje Dircx, ich gehe mit Mijnheer Mordechai fort. Ich werde nicht zum Essen zurück sein. Hüte unterdessen gut das Haus und den kleinen Titus. Leb wohl."

„Nicht zum Essen?"

Es klang enttäuscht.

„Ich habe Eure Lieblingsspeise vorbereitet, einen saftigen Kalbsnierenbraten. Ihr müsst zurückkommen!“

„Nein, Geertje Dircx, es ist unmöglich. Leb wohl!"

Wütend maß mich die Magd von Kopf bis Fuß. Sie hielt mich für schuldig, dass sie um die Anerkennung ihrer Kochkünste durch den Hausherrn kam. Und - ich war es ja auch. Schon wollte ich Rembrandt bitten, unsern Gang zu verschieben. Aber er hatte bereits die Haustür geöffnet, und so traten wir auf die Straße.

Ein heller, leuchtender Amsterdamer Herbsttag empfing uns. Der Himmel war durchsichtig und von einem so intensiven Blau, wie ich ihn auf den Bildern unserer Maler noch nicht gesehen habe.

„Das Jahr nimmt Abschied", sagte Rembrandt.

Auf den Grachten fuhren die kleinen Boote wie jeden Tag. Wir mussten vielen Fuhrwerken ausweichen, die über die gepflasterten Straßen donnerten. Überall Arbeit, allenthalben Fleiß und Anstrengung.

„Wohin gehen wir?", fragte ich.

„Ins Rathaus, Senor Mordechai!"

Ich war erstaunt. Was wollte Rembrandt im Rathaus?

Noch nie hatte ich den stolzen Bau am Damplatz betreten. Hier war der Mittelpunkt Amsterdams, hier schlug das Herz Hollands. Hier war der Sitz des Stadtparlaments, dessen Entscheidung als Maßstab für das ganze Land galt. Hierher kamen die bedeutendsten und fähigsten Männer Amsterdams, um über Wohl und Wehe der Stadt zu beraten. Schon überquerten wir den Damplatz.

Wie immer schlug mein Herz erregt, wenn ich mich auf diesem belebten Platz befand. Was gab es hier nicht alles zu sehen! Da standen Amsterdamer Handelsherren in ihrer schwarzen, vornehmen Kleidung im eifrigen Gespräch beieinander. Wurden hier Geschäfte abgeschlossen? Es ging ruhig und gemessen zu.

In langer Reihe zogen hochbeladene Fuhrwerke in die Markthalle und zu den städtischen Warenlagern. Pferdegetrappel, Peitschenknallen. In malerischer Kleidung die Fuhrknechte. Hatten ihnen die Landsknechte, die weiter östlich, in Deutschland, nun schon seit vielen Jahren, ihr Unwesen trieben, als Vorbild gedient?

Noch malerischer aber wirkten die fremden Kaufleute, die hier und da auftauchten und sich durch ihre lebhaften Reden und Bewegungen auffällig von den schwerfälligen, bedächtigen Holländern unterschieden. Es waren Pelzhändler aus Nowgorod, das am Ende der Welt, kurz vor dem ewigen Eis lag. Sie trugen lange blaue oder rote Gewänder, die mit Pelz verbrämt und mit unzähligen Knöpfen verziert waren.

Dort stolzierten türkische Seidenhändler mit gewaltigen Turbanen und Schnurrbärten, krumme Säbel in den Seidenschärpen und krummgebogene Pantoffeln an den Füßen. Ich sah Gewürzhändler aus unseren brasilianischen Kolonien mit ihren schwarzen und braunen Sklaven. Welch ein Bild! Das war Amsterdam!

Auch Rembrandt schaute sich angeregt um.

„Ein herrliches Bild, nicht wahr? Mir ist es nicht gegeben, solche Bilder zu malen. Leider. Ich bin dazu aufgerufen, mit meinen Bildern Anstoß zu erregen."

Schon standen wir vor dem großen Portal des Amsterdamer Rathauses, das weit geöffnet war. In ununterbrochenem Zuge strömten Menschen hinein und heraus. Auch wir gingen hinein. Wir kamen zuerst in die große Toreinfahrt, die fast wie eine Straße wirkte. Nach beiden Seiten zweigten sich endlos wirkende Gänge ab.

Rembrandt bog in den Gang zu unserer Rechten ein. Wir gingen ihn bis zum Ende. Dann hielten wir vor einer mächtigen zweiflügeligen Tür, vor der ein buntgekleideter Ratsdiener stand. Rembrandt nannte seinen Namen, und der Ratsdiener verbeugte sich ehrerbietig. Wir durften eintreten.

„Hier seht Ihr den Sitzungssaal der Amsterdamer Chirurgengilde. Ihr wundert Euch, dass er sich im Rathaus befindet? Das hat seine Ursache! Das Oberhaupt der Chirurgengilde, Professor Tulp, ist, wie Ihr vielleicht wisst, viermal hintereinander Bürgermeister von Amsterdam gewesen. Das ist fast 15 Jahre her, doch die Stadt gewährt ihm wegen seiner großen Verdienste manche Sonderrechte, darunter auch, dass er mit seiner Gilde hier im Rathaus zusammenkommen darf!

Er ist heute hochbetagt, aber so frisch und rüstig wie kaum einer! Er lebt nur für seine Wissenschaft und seine Schüler, zu denen sich auch Euer Bruder zählen darf ... Vor nunmehr zehn Jahren erhielt ich den Auftrag, Dr. Tulp mit den berühmtesten Mitgliedern seiner Chirurgengilde zu malen. Seht, dort hängt das Bild!"

Rembrandt wies auf die Stirnwand des Raumes. Dort hing ein großes, breites Gemälde, von dem ich sofort erschrocken meine Augen abwandte. So also sah es im anatomischen Theater aus! Rembrandt spürte mein Entsetzen, ja meinen Abscheu.

Licht auf dunklem Grund. Ein Rembrandt-Roman von Renate Krüger: TextAuszug