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Stimmen im Sturm von Walter Kaufmann
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
20.10.2020
ISBN:
978-3-96521-266-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 334 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Jüdisch
Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Historischer Roman, Familienleben, Thriller / Spannung, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Deutschland, Erste Hälfte 20. Jahrhundert (1900 bis 1950 n. Chr.)
Faschismus, Nationalsozialismus, KZ, Konzentrationslager, 2. Weltkrieg, Gräuel, Jude, Holocaust, Deportation, Hass, Zusammenhalt, Menschlichkeit, Grausamkeit, Freundschaft, Flucht, Versteck, Familie, SS, SA, Kristallnacht
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Drei Monate später, in einer stürmischen, mondhellen Februarnacht, stapften zwei Männer über den lehmigen Boden einer Autobahnbaustelle bei Duisburg. Der eine trug eine Lederjacke, der andere hatte einen Mantel um, den Hut tief in die Stirn gezogen. Ihre Gestalten hoben sich kaum von dem Werkzeugschuppen ab, an dessen Wand der jüngere mit großen Kreidestrichen „Freiheit für Thälmann“ schrieb. Der ältere, der Mann in dem Mantel, trieb ihn zur Eile an. Zwischen entwurzelten Bäumen und Erdballen gingen sie rasch davon und verschwanden im Wald. Geschützt vom Wind, erreichten sie in kurzer Zeit die Lichtung an der Eisenbahnbrücke von Dörnerhof. Im fahlen Licht des Mondes glänzten die Schienenstränge und strahlten in alle Richtungen. Matt schimmerte die Ruhr jenseits der Siedlung. Ziehende Wolken warfen Schatten über das Brachland, verdeckten den Mond, und die Konturen der fernen Brücke über dem Fluss verschwammen im Dunkel.

Schweigend verharrten die Männer im Unterholz, bis ein Güterzug über die Flussbrücke donnerte, dann langsamer die Biegung nahm und über die eingleisige Dörnerhof-Brücke rollte. Durch den schwarzen Rauch der Lokomotive ließ sich nur schwer erkennen, dass ein Mann, aus dem Führerstand gebeugt, etwas hinauswarf. Erst als der Rauch sich verzogen hatte, konnten sie das Paket sehen, das auf der Brücke lag.

Papa Müller blickte Erwin Schmitz an. Der nickte und kletterte die Böschung zur Brücke hinunter, während Papa Müller die Siedlung im Auge behielt. Er sah zwei Männer näher kommen, war aber beruhigt, als er sie erkannte. Keine halbe Stunde später saßen die vier in der Waldhütte beim Wasserturm. Papa Müller schob das Paket tief unter die Bank. Wie immer bei diesen Treffs sprach er gedämpft.

Die drei anderen, Erwin Schmitz, Hermann Kerkow und Wilhelm Bottrop, mussten dicht heranrücken, um ihn zu verstehen.

„Für die nächsten Wochen kennst du Erwin und Hermann nicht“, sagte er zu Bottrop. „Das sind Fremde für dich, genauso fremd wie die anderen Zimmerleute und Maurer, die in den Schlinke-Werken auftauchen werden.“ Er hielt inne und sah, dass Bottrop nickte. „Nach der Reparatur wird auf dem Dach von Halle Vier dicht beim Schornstein eine Kiste stehen, von der am Blitzableiter entlang ein Draht bis zur Erde reicht. Ziehst du an dem, dann fällt die Kiste auseinander. Hermann hat das gründlich ausprobiert.“

„Ein fester Ruck, du merkst dann schon, wenn es funktioniert“, bestätigte Hermann Kerkow.

„Das hört sich gut an“, wandte Bottrop ein. „Aber was passiert, wenn ein Inspektor darauf besteht, die Reparatur zu überprüfen“

„Soll er“, sagte Papa Müller. „Ist jedoch unwahrscheinlich, dass so einer bis zum Schornstein klettert. Schlimmstenfalls machst du ihm klar, wie gefährlich das ist.“

„Das krieg ich schon hin“, sagte Bottrop, „bleibt nur noch die Frage, wer die Flugblätter in die Kiste schafft.“

„Für dich gibt’s nur eines“, entschied Papa Müller. „Und das ist, zum Schichtwechsel den Draht zu ziehen. Alles andere ist unsere Sache.“

„Hast dich mächtig verändert“, sagte Bottrop.

„Die Zeiten haben sich verändert“, erwiderte Papa Müller und schwieg. Er müsste eigentlich Bottrop berichten, wie die SA Czamy zugerichtet hatte, um ihn zum Sprechen zu bringen.

Doch sollte er ihn jetzt unsicher machen? „Für jeden von uns ist es besser, so wenig wie möglich zu wissen“, erklärte er eindringlich. „Normalerweise würde ich dir alles sagen, das weißt du! Uns geht es um dich. Was du in den Schlinke-Werken in geduldiger Kleinarbeit aufgebaut hast, dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Wir brauchen dich da, und ich denke nicht daran, dich mehr zu belasten als unbedingt nötig.“ „Verstehe“, sagte Bottrop. „Die Sache steigt, wenn euer Bautrupp weg ist und kein Hahn mehr nach Erwin oder Hermann kräht. Ein paar Tage nach der Reparatur.“

„Richtig“, sagte Papa Müller. „Und kein Risiko eingehen, hörst du!“ Er sah dabei vor allem Erwin Schmitz an. „Keiner arbeitet mehr im Alleingang wie Czarny. Hunderte von Flugblättern in den Schlinke-Werken sind wichtiger als ein paar Losungen hier und da.“

Er stand auf. Als er sich nach dem Paket unter der Bank bückte, kam ihm Schmitz zuvor.

„Die überlass ruhig mir. Der Boden meines Zimmers …“

Papa Müller unterbrach ihn. „Musst du mir das sagen?“, fragte er ohne Vorwurf.

„Sind wir hier unter Genossen oder nicht?“

„Manchmal“, antwortete Papa Müller ruhig, „liege ich in der Nacht lange wach und frage mich, was ich aushalten würde, sollte ich einmal hochgehen. Wer weiß das von sich selbst? Weißt du es? Darum sag mir nie zu viel, sag keinem zu viel.“ Aber er ließ Schmitz gewähren, als dieser das Paket unter seine Lederjacke schob. „Macht’s gut, Genossen. Passt gut auf euch auf. Wir werden alle noch gebraucht.“

Sie verabschiedeten sich. Hermann Kerkow und Wilhelm Bottrop verließen als erste die Waldhütte. Papa Müller und Schmitz warteten einige Minuten, dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg.

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