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Manhattan-Sinfonie von Walter Kaufmann
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
17.11.2020
ISBN:
978-3-96521-290-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 278 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Afroamerikaner/Allgemein, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Tod, Trauer, Verlust, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Seelenleben, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Vereinigte Staaten von Amerika, USA, Erste Hälfte 20. Jahrhundert (1900 bis 1950 n. Chr.)
USA, Kapitalismus, Rassismus, Afroamerikaner, Ausbeutung, Mord, Gefängnis, Martin Luther King, Ku-Klux-Klan, Gewalt, Angst, Armut, Not, Kennedy, Präsidentenmord
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Die beiden Männer stiegen gleichzeitig aus dem Wagen, warfen die Türen zu und kamen über den Hof. Ihre Schatten verschwanden im Schatten eines Magnolienbaumes und fielen danach auf eine Zapfsäule und einige Öltonnen. Die Sonne brannte auf ihren Rücken, und sie gingen schneller. Als sie in den Laden traten, fuhr die schwarze Frau hinter der Theke zurück, hob im gleichen Moment die Hände und versteckte Gesicht und Augen. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie begriff, dass das nichts nützte, und die Hände wieder herunternahm.

„Ja“, sagte sie leise, „was möchten Sie?“

Der ältere der beiden Männer fragte, wie es mit Mittagessen wäre. Seine Stimme klang beruhigend. Er wischte sich den Schweiß aus den Augen und trocknete das Gesicht und den Nacken mit einem Taschentuch. Sollte es schon zu spät für Mittagessen sein, sagte er, dann brauchten sie nur einen Tank voll Benzin, damit sie weiterfahren könnten. Er sprach die Frau mit Namen an, und als auch das ihre Angst nicht minderte, nannte er seinen eigenen.

„Art Bradford“, sagte sie, aber der ängstlich forschende Blick verschwand nicht aus ihren Augen. „Drei Jahre sind eine lange Zeit. Du hast dich ziemlich verändert.“

„Ziemlich“, stimmte Bradford zu, „aber so viel auch wieder nicht.“

Er stellte seinen Begleiter vor: ein ausländischer Reporter mit Namen Jan Krystians.

„Aha“, sagte die Frau und nickte.

Sie wandte sich ab. Ihre Hand zitterte noch immer, als sie den Riegel vor einer Klapptür in der Wand wegzuschieben versuchte. Die Tür fiel mit einem dumpfen Knall auf, der die Frau zusammenzucken ließ. Sie sprach mit der Köchin in der Küche, dann wandte sie sich wieder den Männern zu. „Es ist nicht mehr viel Auswahl“, sagte sie, „aber wir werden euch schon etwas machen.“

„Nur keine Umstände“, sagte Bradford.

„Wenn ich gewusst hätte, dass ihr kommt –“, sagte sie, noch immer mit dem gleichen Ton von Angst in der Stimme. Sie ließ den Satz unvollendet.

„Ist dein Mann da?“, fragte Bradford.

„Nein.“

„Pech, ich hätte gern mal mit Carlton gesprochen.“

„Er ist nicht da“, sagte die Frau mit Bestimmtheit. „Er ist schon fast einen Monat weg.“

„Was du nicht sagst!“, meinte Bradford. „Wegen des Geldes brauchst du dir übrigens keine Sorgen zu machen. Da kannst du ganz beruhigt sein. Ich bin nicht deswegen gekommen, würde das auch nie tun, so aus heiterem Himmel. Du kannst mir also ruhig sagen, wo Carlton ist.“

„Ich weiß es selbst nicht“, sagte die Frau. „Keiner weiß das.“

„Familiensorgen?“

„Ja, Sorgen“, bestätigte sie und beließ es dabei. – Später, im Speiseraum nebenan, wo mehrere junge Schwarze auf hohen Hockern an der Theke saßen – keiner schien die weißen Männer zu beachten, doch im Stillen waren alle gespannt –, wandte sich Bradford an Krystians: Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich weiß nur nicht, was.“

„Mir kommt das Ganze auch merkwürdig vor.“

„Viele Schwarze haben kein Gedächtnis für weiße Gesichter, sie können sie einfach nicht unterscheiden“, sagte Bradford. „Aber als ich ihr meinen Namen sagte, war sie auch nicht beruhigt.“

„Es ist tatsächlich merkwürdig“, wiederholte Krystians, „besonders, wo sie doch alles hier mit deiner Hilfe eingerichtet haben – die Tankstelle, den Laden, diese Imbissstube.“

„Und alles andere“, sagte Bradford. „Wir haben ihnen auch geholfen, das Land zu kaufen. Was wir nicht bedauern. Sie haben schwer gearbeitet, und in den drei Jahren haben sie bis auf sechshundert Dollar alles zurückgezahlt.“

Die Frau brachte das Essen auf einem Tablett, und die beiden Männer fielen in Schweigen. Jetzt, endlich, zeigte sie einen Anflug von Lächeln, und als sie die Teller auf den Tisch setzte, war ihr Benehmen gelassener. Trotzdem hatte sie es eilig, wieder in den Laden zu kommen.

„Jedenfalls tut sie nicht mehr so, als ob wir sie jeden Moment niederknallen würden“, bemerkte Krystians.

Bradford runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. „Du sagst es. Sie hat sich genau so benommen, als ob sie eine Schießerei erwartete.“

„Fayette County, Tennessee“, sagte Krystians. „So manches wird hier unten mit dem Revolver erledigt – hast du mir immer erzählt.“

„Mich hat noch keiner mit einem Revolver gesehen.“

„Zugegeben.“

Danach versiegte das Gespräch, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Als sie gegessen hatten, gingen sie in den Laden, um zu zahlen. Die Frau winkte ab. „Nein, das ist schon in Ordnung.“

„Wir werden aber den Tank voll Benzin bezahlen“, sagte Bradford.

„Das ist was anderes“, sagte sie. „Im Übrigen freue ich mich wirklich, dass ihr bei mir eingekehrt seid. Ich bin froh, dass ich ein bisschen gutmachen kann – für mein Benehmen von vorhin.“

Krystians klopfte auf die Taschen seiner Jeans und lachte. „Nichts Gefährlicheres hier drin als ein Bund Autoschlüssel“, sagte er, „und Art hat auch noch keiner mit einem Revolver gesehen.“

Das Gesicht der Frau blieb starr. „Kann ich dich mal eine Minute sprechen?“, fragte sie Bradford.

Krystians verließ den Laden. Ein Schwarzer trat aus dem Schatten des Magnolienbaumes, kam quer über den Hof zu der Zapfsäule vor dem Laden, barfuß auf der glühenden Erde, und begann den Tank des Wagens zu füllen.

Durch die Schaufensterscheibe konnte man in den Laden sehen: Die Frau beugte sich über die Theke und sagte etwas dicht an Bradfords Ohr.

Krystians ging nicht wieder in den Laden zurück. Er wartete, und es dauerte eine ganze Weile, bis Bradford zu ihm herauskam und sie losfuhren, zurück auf der heißen, ausgestorbenen Straße nach Memphis.

„Unglaubliche Geschichte“, sagte Bradford, als sie ein Ende weg waren. „Es war genau, wie wir angenommen hatten: Sie schwebte in Todesängsten, dass wir sie erschießen würden.“

„Das ist doch nicht möglich!“

„Doch“, sagte Bradford, „sie hielt uns für Killer, die sie erschießen wollten.“

Eine Weile sprach dann nur Bradford, die Augen starr auf die Straße gerichtet, ohne einen Blick für seinen Begleiter und mit leiser, gleichförmiger Stimme.

Krystians unterbrach ihn nicht. Beim Zuhören sah er vor seinem geistigen Auge Carlton, den Mann der Frau, in dem menschenleeren Lagerhaus am Schalter stehen, sah, wie er eine Nachbestellung aufgeben wollte zu der Warenliste, die er am gleichen Morgen gebracht hatte. Still und ohne sich zu rühren, stand er da und wartete, dass der Großhändler sein Telefongespräch da hinten im Büro beendete. Die Tür stand halb offen, und er konnte den Mann deutlich hören: Schieß den Nigger vom Balkon, dann hau ab aus Memphis und sieh zu, dass du nach New Orleans kommst! Da kriegst du deine 50 000 Dollar.

„Großer Gott“, sagte Krystians, „wann war das?“

„Am vierten April“, sagte Bradford, „nicht ganz sieben Stunden, bevor Martin Luther King ermordet wurde.“

„Und dann?“

„Du wirst es nicht glauben“, sagte Bradford. „Nur einen Tag, nachdem Carlton beim FBI ausgesagt hatte, was er mit anhörte, tauchte im Fayette County ein ehemaliger Sträfling auf und fragte nach ihm. Er trug eine Pistole bei sich, und jeder sah, was er vorhatte. Zum Glück war Carlton gerade nicht im Laden – sonst wäre er heute nicht mehr am Leben. Und jetzt hält er sich versteckt, bis Gras über die Sache gewachsen ist.“

„Das erklärt alles“, sagte Krystians.

„Und ob“, sagte Bradford. „Es war immer ungesund, in Gottes eigenem Land zu viel zu wissen; heute ist es absolut tödlich.“

„Eine Frage: Kann ich darüber schreiben?“, sagte Krystians.

Bradford zögerte. Nach einer Weile sagte er: „Einverstanden – vorausgesetzt, du schreibst es so, dass es sich wie eine Story anhört. Ja“, fügte er hinzu, „einstweilen ist es besser, wenn es sich wie eine Story anhört.“

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