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Ruf der Inseln von Walter Kaufmann
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
09.11.2020
ISBN:
978-3-96521-286-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 101 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Multikulturelle Beziehungen, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Geschichten vom Meer
Meeresgeschichten, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Familienleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Liebe und Beziehungen, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales, Erste Hälfte 20. Jahrhundert (1900 bis 1950 n. Chr.), Fidschi
Seefahrt, Rassendiskriminierung, Fidschi-Inseln, Gewerkschaft, Solidarität, Liebe, Armut, Stolz, Unterdrückung, Ausbeutung
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Ich blickte ihm nach, als er zur Tür ging, eine kleine Flasche Whisky in der Hand. Von hinten sah er jetzt so selbstsicher aus wie immer, seit ich ihn kannte. Er stieß die Tür auf und tauchte in das gleißende Sonnenlicht draußen, das von seiner weißen Uniform kräftig zurückgeworfen wurde. Die Tür fiel zu. Er war verschwunden. Ich wusste noch nicht, dass er für mich auf immer verschwunden war. Ich machte mir nicht länger Gedanken über ihn. Aber dann, ich weiß nicht, wie viel Zeit verstrichen war, hörte ich wie aus weiter Ferne die Stimme des Schankkellners, der mich fragte: „Mr. Mason – Sie kennen Mr. Mason gut, Sir?"

„Ziemlich gut.“

„Viel Kummer für Mr. Mason."

„Wieso?“

„Seine Frau – sollte Kind kriegen die Nacht – ist gestorben. Er hat sehen müssen, wie sie gestorben. Mr. Mason – er hat sehr geliebt seine marama.“

Ich versuchte aufzustehen, aber ich merkte, dass ich kaum laufen konnte. Ich war zu taumelig, und meine Hüfte schmerzte mehr als bisher. Ich ließ mich wieder fallen. „Noch einen Whisky!", bestellte ich laut.

Und bei diesem Whisky – es sollte mein letzter an diesem Tag sein – kreisten meine Gedanken unaufhörlich um Hugh Mason und alles, was ich von ihm wusste.

Ich war ihm bisher nur zweimal in meinem Leben begegnet, zum ersten Mal vor einem Jahr und dann fünf Monate später. Man kann nicht sagen, dass wir Freunde geworden waren. Seeleute gewinnen selten enge Beziehungen zu Landratten. Wahrscheinlich aber weiß ich über diesen Mann soviel wie kein anderer auf dieser Welt. Und doch ist das, was ich weiß, wenig genug und schnell erzählt.

Hugh Mason war der Sohn eines Melbourner Maklers. Er wuchs in gesicherten Verhältnissen auf, wie die meisten Jugendlichen aus bürgerlichen Kreisen. In einem Alter, in dem ich bereits Kohlen in Dampfschiffkessel schaufelte, besuchte Hugh Mason Ökonomievorlesungen an der Universität und fuhr in seinem kleinen Morris zum Tennisspielen mit College-Mädchen. Wäre nicht der Krieg ausgebrochen, hätte er den Beruf seines Vaters ergriffen, und zwischen ihm und mir hätte es keinen Berührungspunkt gegeben. Ich bezweifle, dass er imstande gewesen wäre, meine Sprache zu sprechen oder auch nur einen Zug meines Wesens zu verstehen, wäre er nicht in der Armee mit Arbeitern zusammengekommen, Er war ein schlechter Soldat, erzählte er mir, und er wurde nie befördert – trotz seiner Erziehung und militärischen Ausbildung im College. Sicherlich hätte er sich am besten für den Etappendienst geeignet, aber er kam als Schütze an die Front in Neuguinea. Der Zusammenprall mit dem Krieg war zu heftig für ihn. Seine behütete Jugend hatte ihn nicht gegen Erfahrungen gestählt, die ihn an die Grenze des Wahnsinns trieben. Mit zwanzig Jahren wurde er Zeuge so unbeschreiblicher Grausamkeiten auf beiden Seiten der Front, der japanischen und der australischen, „dass ich danach nicht mehr fähig war, je wieder ein normales Leben zu führen“, wie er sagte. „Was ich dort gesehen habe, hat mich physisch und geistig impotent gemacht. Ich musste fort von zu Hause, von Melbourne, von dem, was wir Zivilisation nennen. Ich träumte so lange von Flucht, bis der Gedanke an eine Insel im Stillen Ozean zur fixen Idee geworden war.“

Ich schaudere davor, zu schildern, was Hugh Mason in den Dschungelkämpfen von Neuguinea erlebt hat. Aber wenn ich diese Geschichte überhaupt erzählen will, muss ich mich zwingen, einiges davon zu Papier zu bringen; sonst würden Sie die wahrhaft unvergleichliche und grausige Tragödie dieses Mannes nicht begreifen.

Die australische Einheit, zu der Mason gehörte, hatte eine kleine Abteilung japanischer Soldaten wochenlang verfolgt und sie völlig abgeschnitten; die Japaner waren verurteilt, zu verhungern oder sich zu ergeben. Schließlich schickten die Australier einen Erkundungstrupp in den dichten, tückischen Dschungel, vier Mann, von denen keiner wiederkam. Zwei Mann – Mason und ein anderer – erhielten den Befehl, nach ihrem Verbleib zu forschen. Sie fanden die Kameraden geschlachtet wie Vieh, ihre Bäuche waren aufgeschlitzt, die Herzen aus der Brust gerissen, die Geschlechtsteile abgeschnitten und in die verzerrten Münder gesteckt. Die zwei kehrten zurück und berichteten, was sie gesehen hatten – gebrochen und fast wahnsinnig kehrten sie zurück, und jetzt löste sich eine solche Lawine von wildem Hass, von maßloser Wut und brennendem Rachedurst, dass einen Tag später keiner der eingeschlossenen Japaner mehr am Leben war.

„Wir jagten sie wie wilde Tiere, Jim“, gestand mir Mason, „wie wilde Tiere. Und bei dieser Jagd wurden wir selbst zu Raubtieren. Wir fanden sie, wir fingen sie, und wir haben sie nicht erschossen. Wir schnitten ihnen die Köpfe ab und spießten sie auf Pfähle – ja, Jim, das taten wir, vor zehn Jahren im Dschungel. Krieg, Krieg, grauenhafter Krieg!“

Im Sommer 1950, keine fünf Jahre nach Masons Entlassung aus der Armee, drohte der Konflikt in Korea die Welt in eine neue Katastrophe zu stürzen. Wieder stachen australische Truppen von australischen Küsten in See, und Mason, der wie die meisten sensiblen Menschen geneigt war, alle Kriege als schlimmstes persönliches Unglück anzusehen, geriet völlig außer sich bei dem Gedanken, noch einmal eine Uniform anziehen und noch einmal erleben zu müssen, was er erlebt hatte.

Er verwirklichte seine Träume. Er riss sich los, floh nach Tonga und später auf die Fidschi-Inseln. Und ich, der ich im Gegensatz zu Mason Gelegenheit gehabt habe, in der Gewerkschaft, der ich angehöre, mich zu schulen und meinen festen politischen Standpunkt zu gewinnen, ich halte mich nicht für berechtigt, eine seiner Handlungen zu verurteilen, denn mir ist klar, dass sie alle, bis zum Ende, aus dem Dilemma geboren wurden, dem alle Menschen gegenüberstehen, die vor der Wirklichkeit, vor den Problemen unserer Zeit zu fliehen versuchen.

Dies ist die erste und vielleicht letzte Geschichte, die ich je schreiben werde, und ich schreibe sie vor allem aus Schuldgefühl nieder, aus dem Wunsch, das Empfinden loszuwerden, ich hätte bei Hugh Masons Untergang versagt. Wenn ich anfangs unsere gefährliche Fahrt zu den Inseln so ausführlich beschrieb, wenn ich schilderte, wie wir im Sturm herumgestoßen wurden, und wie ich gleich nachher in der nächsten Kneipe alles tat, meine Sinne zu betäuben – dann deshalb, um meine verhängnisvolle Trägheit zu erklären. Sei es, wie es wolle. Die Wahrheit ist, dass ich lange vor diesem Tag gegen Hugh Mason versagt habe, von Anfang an gegen ihn versagt habe.

Meine erste Fahrt zu den Inseln war glatt verlaufen. Die „Rosa“ hatte die Reise von Melbourne nach Suva in weniger als sechs Tagen bewältigt. Es hatte keine Schwierigkeiten gegeben, und als wir festmachten, war die ganze Mannschaft munter und zu allem bereit. Wir waren großzügig zu den Eingeborenen, deren kleine Kanus die „Rosa“ umschwärmten, beladen mit Früchten, die uns die Händler körbeweis an Stricken zum Kauf an Deck schickten. Wir nahmen ihnen mehr Bananen und Kokosnüsse ab, als wir jemals essen konnten, wir bezahlten die Andenken gut, die uns die Fidschi als Geschenke für unsere Frauen zu Hause anboten; wir erwarben leuchtend bunte Seidenhemden von den indischen Verkäufern draußen vor den Hafentoren, zogen sie an und tobten durch den Hafen wie losgelassene Füllen. Bald waren die meisten mit einem der Mädchen verschwunden, die in jedem Hafen zu finden sind – leicht zugänglich, natürlich und freigebig, genau das, was Seeleute brauchen. Nur ich machte nicht mit; nicht, weil ich besonders wählerisch war oder weniger froh, dass ich auf einer Sonneninsel an Land gegangen war, sondern vor allem, weil ich mich mit Hugh Mason eingelassen hatte. Hugh hatte mich in der Kneipe angesprochen, um – mit geringem Eifer, muss ich sagen – zu erkunden, was in seiner Heimatstadt Melbourne los war, die er vor zwei Jahren verlassen hatte und nie mehr besuchen würde, wie er sagte. Er wirkte selbstsicher, zufrieden und heiter und nicht im Geringsten bedrückt durch die Tatsache, dass keiner der Weißen auf der Insel mit ihm verkehren wollte.

„Darum muss ich mir einen Seemann suchen, wenn ich mich mit einem Australier unterhalten will", erklärte er mir offen.

„Wie kommt es, dass die Weißen Sie schneiden?“, fragte ich geradeheraus.

Er sah mich fest an. „Weil ich eine Eingeborene geheiratet habe, mein Freund, eine Frau von Tonga, die ich mit hierhergebracht habe.“

„Bereuen Sie es nicht?“

„Dass ich Hashata geheiratet habe, ist eine der wenigen Taten meines Lebens, die ich nicht bereue", erwiderte er sehr ernst. „Und ich bereue auch nicht, dass ich auf die Insel gekommen bin.“

Ruf der Inseln von Walter Kaufmann: TextAuszug