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Nach einem recht abenteuerlichen Wegstück, bei dem Raschke über schmale Granitsteine durch ein von einem klaren Bächlein durchflossenes Schotterfeld balancieren musste, kam er in einen Hohlweg, der durch einen dunklen Eichenhain führte. Links und rechts des Weges lugten aus den Spalten mehr als ein Meter hoher Natursteinmauern allerlei Pflanzen hervor. Unvermittelt kam aus einer schmalen Öffnung in der Mauer ein Kampfhund, machte einige Schritte, drehte sich zu Raschke um und blieb mitten auf dem Weg stehen. Ein Mastino, schoss es Raschke durch den Kopf. Der hat mir gerade noch gefehlt. Bisher hatte es auf dem ganzen Weg keine Probleme mit Hunden gegeben. Der hier aber sah gefährlich aus, wie er mitten auf dem Weg stand und ihm entgegenstarrte. Raschke ließ seine Wanderstöcke fallen. Nicht vor Schreck oder Angst, sondern um besser in seiner Tasche nach dem Pfefferspray kramen zu können, das er speziell für solche Fälle mitgenommen hatte. Während er immer hektischer suchte, begann der Hund langsam auf ihn zuzutraben. In diesem Moment erkannte Raschke den Briten, der im Halbdunkel zwischen den Eichen auf der anderen Seite der Feldsteinmauer stand und die Szene beobachtete. Wo der Brite war, konnte auch Ulla nicht weit sein, dachte Raschke und wollte gerade nach ihr rufen, als an dem Weg, wo der Hund hergekommen war, mit ausdruckslosem Gesicht der Mann im Trenchcoat erschein, eine Hundepfeife im Mund und beide Hände lässig in den Taschen. Ein Handy klingelte. Als sei dies sein Startzeichen gewesen, trabte der Hund schneller auf Raschke zu. Noch wenige Meter und er würde zum Sprung ansetzen. Raschke hatte sein Pfefferspray immer noch nicht gefunden und nahm schützend die Arme hoch, weil er jeden Moment den Sprung des Hundes erwartete, als plötzlich ein Schuss fiel. Raschke blieb fast das Herz stehen. Er erwartete den Schmerz oder das Dunkel. Aber er fühlte nichts. Adrenalin schoss durch seinen Körper. Er war keines kontrollierten Gedankens fähig. Wie in Zeitlupe sah er den Hund, der gerade zum Sprung ansetzte, nach vorne wegknicken und in den Dreck fallen. Der massige Körper überschlug sich, rutschte, vom eigenen Schwung getragen, noch einen Meter über den Schotter, blieb genau vor seinen Füßen liegen, zuckte noch mehrmals, dann streckten sich die Läufe. Das Tier war tot. Wie gebannt starrte Raschke auf den toten Hund und nahm kaum wahr, was um ihn herum passierte.
Der Brite war bei dem Schuss oder Sekunden vorher zwischen den Eichen verschwunden. Der Trenchcoatmann, der dem Hund langsam gefolgt war, versuchte nach einem Moment der Schreckensstarre zurück in die sichere Deckung der Mauer zu laufen, hinter der er hervorgekommen war. In diesem Moment rannte ein athletischer Mann im dunklen Sweetshirt und Wanderhose mit gezogener Waffe an Raschke vorbei und verfolgte den Fliehenden. Der blieb mit seinem Mantel an einem Stein in der Mauer hängen, zog seine Hand aus der Tasche, hatte plötzlich eine Waffe in der Hand und zielte auf seinen Verfolger. Raschke ließ sich instinktiv fallen und kam neben der Hundeleiche zu liegen. In den nächsten Schuss mischte sich ein lauter Schrei, der in jammerndes Stöhnen überging. Noch immer am Boden liegend, mit der Nase im Dreck und dem Rucksack im Genick, hörte Raschke das charakteristische metallische Ratschen, das immer dann entsteht, wenn Handschellen einrasten. Jetzt blickte er auf.
Der junge Wanderer hob gerade ein Handy auf, das dem Festgenommenen aus der Tasche gefallen sein musste, blickte auf das Display und hielt es dem Verletzten wortlos unter die Nase. Der reagierte nicht, sondern starrte an dem Beamten vorbei ins Leere, wobei er stöhnend versuchte, trotz der Handschellen seine Hände auf die Verletzung an der Schulter zu pressen. Der Spanier kümmerte sich nicht um ihn, sondern half Raschke auf die Beine. Mühsam, durch den Rucksack behindert, stemmte er sich am Arm des Helfers hoch. Dabei konnte er einen Blick auf das Display des Handys werfen. Plan autorizado. Muy exito.- Plan genehmigt. Viel Erfolg war zu lesen.
Ein zweiter Spanier, ähnlich angezogen wie sein Retter, hastete atemlos auf sie zu und bedeutete Raschke, er möge weiterwandern. Raschke zögerte. Aber die energische Handbewegung ließ es ihm ratsam erscheinen, die Aufforderung nicht zu ignorieren. Ein weiterer Spanier kam, unterhielt sich kurz mit den anderen beiden, grüßte Raschke freundlich, zog ihn mit sich und begleitete ihn die nächsten Minuten. Das war Raschke angenehm, denn der Brite ging ihm nicht aus dem Sinn. Während sie gemeinsam über den Camino wanderten, wollte ein Gespräch nicht so richtig aufkommen. Deshalb stellte Raschke seine Kommunikationsversuche ein und wanderte schweigend neben seinem Begleiter her. Kurz vor Portomarin, als sie auf Pilger trafen, die gerade ihre Rast beendet hatten, machte sein Begleiter unvermittelt kehrt, ließ ihn kommentarlos allein und verschwand in einer kleinen, dunklen Gasse zwischen den Häusern eines kleinen Weilers. Raschke schaute ihm einen Moment irritiert hinterher, drehte sich dann aber um und wanderte noch immer wie in Trance weiter nach Portomarin. Auf einer Holzbank in einem kleinen Park mit Blick auf den Stausee blieb Raschke sitzen. Jetzt fand er Zeit, die Eindrücke zu verarbeiten. Die Stille des Parks und die beruhigende Aussicht auf das ruhige Wasser, aus dem die steinigen Mauern einiger Ruinen ragten, tat das Ihrige. Kaum hatte er sich gesammelt, als sein Handy klingelte. Lopez Castela war am Apparat.