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Der blaue Helm von Günter Görlich
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
07.06.2022
ISBN:
978-3-96521-693-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 149 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Werte und Tugenden, Kinder-und Jugendbuch/Action und Abenteuer/Allgemein, Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Geschwister, Kinder-und Jugendbuch/Leser/Anfänger
Kinder/Jugendliche: Gegenwartsliteratur, Kinder/Jugendliche: Familienromane
Baustelle, Brunnenbauer, Baggerfahrer, Vermesser, Motorrad, Angeln, Bruder, Diebstahl, Reue
6 - 9 Jahre
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Wo sind die verlassenen Gärten? Vor wenigen Tagen noch haben sie die Straße begrenzt, und Mirko hetzte durch die Büsche, presste den blauen Helm an die Brust. In den Gärten hatte er von der großen Baustelle nichts mehr gesehen, nur noch den Bagger gehört …

Dieter bockt die Maschine auf.

Der Junge steht neben dem Motorrad und starrt auf das veränderte Bild. Ungehindert kann er über das Baugelände blicken, alles hat sich verändert.

Kräne, wie Giraffen aussehend, stehen verteilt auf der Fläche.

Bagger ziehen ihre Bahn, auch andere Maschinen kann der Junge erkennen, er weiß aber nicht, welche Aufgaben sie haben. Die Planierraupen haben die Gärten weggeschoben und auch den kleinen Erdhügel, auf dem der Junge gelegen hat, um die Brunnenbauer zu beobachten.

Doch die sind nicht mehr da, kein dreibeiniger Bock wächst, so weit der Junge blicken kann, aus der Erde empor.

„Wach auf!“, sagt Dieter. „Wir sind da.“

Der Junge erschrickt.

„Heute sieht hier alles so anders aus“, klagt er.

Dieter blickt auf die Baustelle.

„Ja, wo gebaut wird, muss man schnell gucken, wenn man sich zurechtfinden will“, sagt er gleichmütig.

„Und wo ist Charlie?“, ruft der Junge verzweifelt.

„Irgendwo wird er schon stecken“, bemerkt der Bruder, „musst ihn suchen. Schließlich hast du ja einen Mund, um zu fragen. Oder?“

Mirko spürt den aufmerksamen und, wie er glaubt, strengen Blick des Bruders und schaut weg.

Du musst dich eben anstrengen, denkt Dieter bestimmt, du hast den Unsinn mit dem blauen Helm gemacht. Und jammern ändert nichts.

Sie gehen in die elterliche Wohnung, in der es dämmrig und kühl ist, weil alle Vorhänge zugezogen sind.

Wenn Mama wüsste, denkt der Junge, dass wir hier sind, wäre ihre Ruhe hin.

Aber sie weiß es nicht. Für sie sind sie über Land gefahren, zu einem der vielen Seen, ihre beiden Söhne, der große und der kleine. Und sie und der Vater haben Ruhe. Die brauchen sie sehr und haben sie verdient.

Der Junge steigt in den Keller, holt aus dem Versteck den blauen Helm. Der ist verstaubt und hat ein wenig seinen Glanz verloren. Der Junge wischt den Staub ab, doch der Helm gewinnt den alten Glanz nicht zurück. Notizbuch und Brief legt der Junge wieder unter die Kopfeinlage und schiebt den blauen Helm in einen grauen Beutel.

Er wird nun losziehen und Charlie suchen.

Vor dem Haus wartet Dieter.

„Zeig mal das Prachtstück“, sagt er.

Der Junge öffnet den Beutel, herausnehmen will er den Helm nicht.

„Das ist er also“, sagt der Bruder.

Rasch schließt der Junge den Beutel.

„Mach dich auf die Suche“, sagt Dieter, „ich wünsch dir Glück dabei. Und wenn dir Charlie die Ohren lang zieht, musst du es ertragen, ohne mit der Wimper zu zucken.“

Unsicher blickt der Junge zur Baustelle hinüber.

„Uhrenvergleich“, sagt Dieter und streckt seinen Arm vor.

Der Junge sieht ebenfalls auf seine Uhr.

Die Uhren stimmen überein.

„Pünktlich um fünfzehn Uhr bist du wieder hier. Keine Minute später. Du weißt, ich hab heute noch was vor“, sagt Dieter mit Nachdruck.

Ja, denkt der Junge und blickt auf das Zifferblatt seiner kleinen Armbanduhr, mit der hübschen Frau Monika aus dem Rathaus willst du tanzen gehen. Was haben die Großen nur davon. Auch die Mädchen in meiner Klasse wollen immer tanzen. Dieser Abend scheint für Dieter sehr wichtig zu sein, er will sich noch ein schickes Hemd und sogar eine moderne Hose kaufen. Und alles wegen der Frau Monika. Der Junge Mirko versteht, dass er nicht eine Minute zu spät kommen darf.

Dieter startet die Maschine, klopft dem Bruder tröstend auf die Schulter und fährt ab.

Der schaut ihm nach, bis er um eine Hausecke biegt.

Jetzt ist er allein, ganz allein.

Den Beutel unter den Arm gepresst, geht er langsam auf das Baugelände zu. Je näher er kommt, umso riesiger erscheint ihm die Fläche, umso verzagter wird ihm zumute.

Keine Spur ist von den Gärten übrig geblieben. Alles ist glattgewalzt, damit etwas Neues entstehen kann, ein Haus oder eine Straße.

Ein Schild, an einem schiefgedrückten Pfahl befestigt, kann der Junge nicht übersehen: Achtung Baustelle! Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder!

Der Junge liest, geht dann vorbei.

Unschlüssig läuft er im hellen Sand, sackt manchmal ein, wenn er in die breiten Radspuren der Dumper oder der Lastkraftwagen gerät.

Er entdeckt zwei Leute, die voneinander entfernt stehen und sich Zeichen geben. Als er näher kommt, sieht er eine junge Frau hinter einem Gerät stehen, das wie ein Fernglas aussieht, nur dass es auf ein Dreibein geschraubt ist.

„Etwas mehr nach rechts, Werner“, ruft sie, „ja, noch ein Stück. Gut so.“

Der Werner rammt eine Latte fest in den Boden.

Der Junge steht jetzt dicht hinter der Frau, die ihn noch nicht bemerkt hat. Sie blickt angespannt durch das Gerät, hat den Schutzhelm nach hinten geschoben. Hin und wieder pustet sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

Als sie sich aufrichtet, bemerkt sie den Jungen.

„Nanu“, sagt sie, „wie kommst du denn hierher?“

Der Junge presst den Helm fester an den Körper. Die Frau hat auch einen blauen Helm auf dem Kopf.

„Was macht ihr hier?“, fragt der Junge.

Die Frau lacht.

„Kommst du von der Zeitung? Also, lieber Kollege, wir vermessen hier.“

Sie zeigt nach rechts, dann nach links.

„Hier wird eine Straße angelegt. Dort wird eine Kaufhalle gebaut. Zufrieden, Reporter?“

„Eine richtige, große Kaufhalle?“, fragt der Junge. „Dann haben wir’s ja nicht mehr weit. Meine Mama wird froh sein. Wir wohnen dort drüben, wissen Sie.“

„Na prima, bauen wir ja das Richtige hierher“, sagt die Vermesserin lächelnd, „aber nun musst du wieder gehen. Hier ist’s nicht ungefährlich.“ Und sie weist auf einen Bagger, der in einiger Entfernung Erde aushebt.

„Ich suche Charlie“, sagt der Junge, „kennen Sie Charlie?“

 

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